»Kummer!« sagte Lussin. »So ein Kummer, Eli!«
»Ringsum waren Feinde!« schollerte Trub. »Allan und Leonid erforschten, die rätselhaften Erscheinungen wissenschaftlich, anstatt zu kämpfen! Du hättest gekämpft, Eli, davon bin ich überzeugt! Schade, daß ich nicht dabeigewesen bin! Ich hätte sie dies und das aus der Erfahrung der Schlachten auf dem Dritten Planeten gelehrt!«
Zu uns traten Orlan und Grazi. Auf Planeten, wo Menschen sind, erscheinen sie stets zusammen. Das ist rührend naiv, ein Galakt und ein Zerstörer demonstrieren, daß die erbitterte Feindschaft, die vor Millionen Jahren ihre Völker trennte, von herzlicher Freundschaft abgelöst worden ist. Nach alter Weise habe ich Orlan einen Zerstörer genannt, obwohl ihnen die Bezeichnung »Demiurgen« zuerkannt wurde.
Sie sind ungeheuer stolz auf den neuen Namen, der so etwas wie Mechaniker oder Erbauer bedeutet, jedenfalls Schöpfer und nicht Zerstörer. Das Wörtchen »Demiurg« umreißt zwar genau die Rolle der ehemaligen Zerstörer in unserem Sternenbund, dennoch glaube ich nicht, daß die zur Schau gestellte Freundschaft Orlan und Grazi leichtgefallen wäre, besonders dem Galakten nicht. Die Astropsychologen behaupten, wie man den Menschen keine Liebe zu üblen Gerüchen und schlechten Handlungen einimpfen könne, so lasse sich auch den Galakten nicht anerziehen, künstliche Organe und Gewebe zu dulden, die Demiurgen aber haben nur ihren Namen gewechselt, keineswegs die Struktur ihrer Körper, die fast durchweg künstliche Organe und Gewebe enthalten.
»Sei gegrüßt, Eli, mein alter Freund und Führer!« sprach der Galakt feierlich, wobei er mir nach Art der Menschen die Hand darbot. Meine Finger verschwanden in seiner Pranke wie in einem Kasten.
Ich murmelte eine passende Antwort. Was den hochtrabenden Ausdruck anlangt, so vermögen die Galakten, selbst einem Romero den Rang abzulaufen. Orlan beschränkte sich darauf, sein bläuliches Gesicht grüßend erstrahlen zu lassen, den Kopf hoch zu erheben und krachend zwischen die Schultern zu ziehen. Alle miteinander betraten wir den Saal. Im Pantheon finden bekanntlich seit langem keine Beisetzungen mehr statt, in Ausnahmefällen wird der offene Sarg mit dem Toten zunächst zur allgemeinen Besichtigung mitten im Saal aufgestellt. An Allans und Leonids Expedition hatten hundertvierzehn Menschen teilgenommen, acht Demiurgen, drei Galakten und zwei Engel. Die Katastrophe, von der beide Sternenflugzeuge ereilt wurden, hatte die Lebewesen und die Mechanismen in ein unteilbares Gemisch verwandelt. Eine Urne mit ihrer Asche wurde hereingebracht, eine Handvoll toter Materie, der ehemalige geistige und dienstliche Bund der Besatzungsmitglieder war zur stofflichen Einigkeit der Atome geworden, aus denen sie sich zusammengesetzt hatten. Voller Bitterkeit dachte ich in diesem Augenblick, daß wir alle auf den verschiedenen Sternen in bezug auf die uns bildende Materie Brüder sind, doch nur im Tode ist unsere innere Einheit spürbar.
Die Urne wurde von Romero und Oleg hereingetragen der eine vertrat den Großen Rat, der andere die Astronauten. Auch ich war gebeten worden, die Urne zu tragen, aber Zeremonien, wo man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, sind nichts für mich. Desgleichen hatte ich es von vornherein abgelehnt, etwas zu sagen. Romero hielt eine kurze Rede, und dann erklang Musik. Bei der Musik muß ich verweilen. In dem merkwürdigen Konglomerat von Ursachen, die zu unserem heutigen Hin und Her in dem wilden Sternenstrudel des Kerns führten, spielte sie ebenfalls eine Rolle. Es erklang die Symphonie »Dem Andenken eines Freundes« von Zbyszek Polanowski.
Unzählige Male habe ich erklärt, daß ich nur individuelle Musik mag, die vertonte Harmonie meiner eigenen Stimmung. Wahrscheinlich liegt das daran, daß es mir schwerfällt, mich auf fremde Gefühle einzustimmen, Melodien für die Allgemeinheit empfinde ich als Befehl, als Vorschrift, so und nicht anders zu fühlen, als Verbot, ich selbst zu sein.
Für »Dem Andenken eines Freundes« von Zbyszek mache ich die einzige Ausnahme. Diese Symphonie ist mir stets willkommen. Sie ist in mir, dringt nicht auf mich ein. Sie ist mein, immer mein, und an diesem Tag klang sie so wehmütig, so eindringlich, daß ich selbst diese gramvolle und mannhafte Musik wurde; in ihren Tönen verschmolz ich mit den Freunden, mit der Welt. Ich blieb ich selbst und war alle Menschen, die gesamte Welt zugleich. Wahrscheinlich hatte es Zbyszek Polanowski auf diesen Effekt abgesehen.
Und wenn er sich das tatsächlich zum Ziel gesteckt hatte, dann hatte er es erreicht.
Romero und Oleg traten zu mir, als ich mich noch in der durch die Symphonie hervorgerufenen Bestürzung befand. Romero sagte: »Ich muß Ihnen mitteilen, lieber Admiral, daß der Große Rat beschlossen hat, eine zweite Expedition zum Galaxiskern auszurüsten. Zum Oberkommandierenden des Sternenflugzeuggeschwaders hat er Sternenfahrer-Kapitän Oleg Scherstjuk ernannt, unseren gemeinsamen Freund.«
Oleg ergänzte rasch, ohne mir Gelegenheit zu geben, ein Wort einzuflechten: »Ich habe mich nur unter der Bedingung einverstanden erklärt, das Oberkommando zu übernehmen, Eli, wenn Sie an der Expedition teilnehmen!«
Ich hätte genauso kategorisch ablehnen müssen, wie ich frühere Vorschläge beantwortet hatte, Sternfahrten zu befehligen oder daran teilzunehmen. Seit der Befreiung des Perseus und Asters Tod auf dem Dritten Planeten waren Mary und mir ferne Reisen gleichgültig. Wir waren auf die grüne Urmutter Erde zurückgekehrt, um sie nie mehr zu verlassen. So hatten wir vor zwanzig Jahren beschlossen und uns immer daran gehalten.
Es war eine Überraschung für mich selbst, als ich sagte: »Ich bin einverstanden. Kommen Sie heut abend zu mir. Wir wollen beraten.«
3
Mary wollte zu Fuß nach Hause gehen. Der Tag war trüb, dunkle Wolken trieben am Himmel. Auf dem Ring-Boulevard ließ der Wind die Blätter tanzen.
Tief atmete ich die kalte Luft. Ich liebe solch trockenes, heftiges, energisches, vom Rauschen des Windes und dem Leuchten der gelb gewordenen Bäume erfülltes Wetter; der Herbst ist für mich die beste Zeit.
Mary sagte leise: »Wie schön sie ist, unsere liebe alte Erde! Werden wir sie wiedersehen, oder verschwinden wir für ewig in den Sternenweiten?«
»Du kannst hierbleiben«, versetzte ich vorsichtig.
Ironisch blickte sie mich an. »Das könnte ich, gewiß. Aber brächtest du es fertig, ohne mich…«
»Nein, Mary, ich brächte es nicht fertig«, bekannte ich ehrlich. »Ohne dich zu sein wäre genauso, als müßte ich ohne mich sein, als wäre ich außerhalb meiner selbst. Das ist mein Schicksaclass="underline" die Hälfte meines Ganzen zu sein. Kein besonders angenehmes Gefühl.«
»Laß wenigstens heute die dummen Witze, Eli!«
Sie runzelte die Brauen.
Eine Weile gingen wir schweigend. Ah und zu schaute ich sie zaghaft an. So viele Jahre sind wir zusammen, aber immer noch fürchte ich ihre Stimmungsumschwünge. Schließlich fragte ich sie nach ihrer Meinung über die Ursachen der Katastrophe von Allans Expedition.
»Ich meine das genaue Gegenteil von dem, worauf Pawel beharrt«, antwortete sie abfällig. »Ihr Männer seid ein komisches Volk. In jedem Rätsel sucht ihr eine böse Absicht. Der kriegerische Geist ist so tief in euch verwurzelt, daß ihr bereit seid, ohne weiteres anzunehmen, die Natur kämpfe unaufhörlich gegen uns und sei darauf erpicht, uns in die Knie zu zwingen. Es ist ein leichter Weg, der Natur unsere eigenen Fehler zuzuschreiben, aber wohl kaum ist es der richtige!«
»Ihr Frauen seid schuld, daß wir kriegerisch sind, ihr bringt uns so zur Welt«, gab ich zurück. »Dennoch hast du Romeros Argumente nicht überzeugend widerlegt.«