Mary und ich flogen in einer Aviette, wie wir sie auch auf der Erde haben. Das furchtgebietende Antlitz der kosmischen Festung der Zerstörer würden wir nie vergessen – nackte Bleioberfläche mit goldenen Findlingen. Jetzt sahen wir blaue Wälder, glitzernde Seen und Flüsse.
»Ich möchte hier herunter.« Mary wies auf einen Hügel, dessen Gipfel die andrängenden Büsche noch nicht erreicht hatten.
Wir verließen die Aviette und spürten zum erstenmal, daß wir uns auf dem Planeten von einst befanden. Die Gravitationsschirme der Aviette hatten uns vor seiner schrecklichen Anziehungskraft geschützt, im Bezirk der Station war sie nicht stärker als auf der Erde, doch hier wurden wir buchstäblich zu Boden gedrückt. Ich vermochte mich nicht gerade aufzurichten, in meinem Kopf rauschte es, nach dem zweiten Schritt taumelte ich. Mary stützte mich, da sie die Überlastung besser ertrug.
»Jenen Marsch von der Landungsstelle zur Station würde ich nicht mehr überstehen«, sagte ich und versuchte zu lächeln.
»Erkennst du den Platz, Eli?« fragte sie.
»Nein.«
»Am Fuße dieses Hügels ist unser Sohn gestorben…«
Die Vergangenheit erhob sich vor mir. Zaghaft blickte ich Mary an. Sie lächelte. Ihr Lächeln überraschte mich, so viel stille Freude lag darin. Zögernd sagte ich: »Ja, das ist die Stelle. Aber komm nun!«
Sie wies mit der Hand in die Runde, »In meinen Träumen habe ich diesen goldenen Hügel und die tote Wüste ringsum oft gesehen! Und stets war mir bewußt, wie leidenschaftlich Aster wünschte, daß die metallischen Landschaften ungestüm zu leben begännen. Erinnerst du dich, wie er sich einen Lebensspender nannte? Auf dem Nickelplaneten war es leicht, dort ist die Gravitation niedrig. Auch hier gelang es, dem Metall Leben einzuimpfen. Ich wollte wissen, wie sich unsere neuen Gewächse fühlen, die speziell für Gegenden mit erhöhter Anziehungskraft gezüchtet wurden.«
»Sind das die Gewächse, mit denen ihr euch im Institut für Astrobotanik befaßtet?«
»Ich allein habe mich damit befaßt, Eli! Sie sind meine Schöpfung speziell für den Dritten Planeten, mein Denkmal für unseren Sohn. Aster würde zufrieden sein. Sein Wunsch ist Wirklichkeit geworden.
Kehren wir nun zur Station zurück.«
Die beiden anderen Ereignisse, die ich erwähnen will, stehen unmittelbar mit der Expedition im Zusammenhang. Unter denen, die uns begrüßten, fehlte Vagabund.
Lussin rannte zu ihm, sobald er Boden unter den Füßen hatte. Lussin ist gewissermaßen der Schöpfer dieses seltsamen Wesens, und er ist so stolz darauf wie auf keines seiner anderen Werke. Vagabund war krank, Medikamente halfen nicht mehr. Lussin teilte traurig mit, daß Vagabund zu menschlich sei, obwohl er einen nichtmenschlichen Körper habe, und ebensowenig wie den Menschen lasse sich ihm solide Langlebigkeit, geschweige denn Unsterblichkeit verleihen.
»Will sehen. Sehr. Dich«, äußerte Lussin in seiner üblichen abgehackten Sprechweise. Und am nächsten Morgen begaben wir uns zu dem Drachen.
Äußerlich hatte sich Vagabund fast überhaupt nicht verändert. Die fliegenden Drachen magern nicht ab und werden nicht dick, sie fahlen nicht aus, ergrauen nicht, erschlaffen nicht. Vagabund war noch wie beim Abschied – bläulichorange, mit mächtigen Tatzen und riesigen Flügeln. Aber er flog nicht mehr. Als er uns erblickte, kam er aus seiner Höhle gekrochen und rutschte uns mühsam entgegen. Die wellenähnlichen Falten verlagerten sich so geschwind wie früher auf dem Rücken und an den Flanken, der massive Rumpf schlängelte sich mit der früheren Eleganz, der lange, mit festen Schuppen gepanzerte Schwanz stellte sich zur Begrüßung kerzengerade, polternd durchschnitten die Flügel die Luft. Doch alle diese bekannten Bewegungen waren trügerisch, sie konnten den Vagabund nicht über den Boden erheben aus einem fliegenden Drachen war er ein kriechender geworden.
Auch weniger Feuer ging von ihm aus. Die Flamme, nach wie vor purpurn, war kleiner, und der blaugraue Rauchdünner. Ich ironisiere nicht, ich sage es tief bekümmert.
»Gruß dem Ankömmling!« vernahm ich die lange nicht gehörte heiser lispelnde Stimme. »Ich freue mich, dich zu sehen, Admiral! Setz dich auf meinen Rücken, Eli.«
Ich hockte mich auf eine Tatze und stieß ihn scherzhaft mit dem Fuß in die gepanzerte Flanke. »Du bist noch stark, Vagabund, wenn du auch die jungen Drachen sicherlich nicht mehr überholst.«
»Genug geflogen, genug gelaufen, genug geflirtet jeder Begriff meines heutigen Seins verlangt den Zusatz ,genug’«, konstatierte er ungerührt und blickte mich mit den vorgewölbten gelbgrünen Augen klug und traurig an. »Ich beklage mich nicht, Eli. Ich habe vollauf gelebt. Alle Freuden, die die Existenz in einem lebendigen Körper vermitteln kann, habe ich ausgekostet. Je stärker die Freuden, desto kürzer sind sie.
Ich werde bald sterben. Sei versichert, ich werde die Ruhe nicht verlieren, wenn die Stunde kommt, da ich vom Leben Abschied nehmen muß.«
In dieser Tonart wollte ich das Gespräch nicht fortsetzen. Fröhlich wippte ich auf der harten Tatze »Auf der Erde sind neue Methoden zur Stimulierung des Organismus erarbeitet worden. Wir probieren sie an dir aus, und dann wirst du mich über dem Planeten spazierenfliegen. Wehe, wenn du mich wie damals wieder abwirfst!«
Er lächelte ironisch. Immerhin ist er der einzige Drachen, der über ein Mienenspiel verfügt die anderen sperren einfach, Dampf ausstoßend, den Rachen auf, und man weiß nicht, ob sie bloß gähnen oder einen verschlingen wollen.
Niedergeschlagen kehrte ich heim. Ich fühlte mich schuldig vor dem Drachen. In seiner früheren Verkörperung, in der Gestalt des regierenden träumenden Hirns, hätte er zehnmal länger leben können als wir.
Ich hatte ihn mit einem Körper ausgestattet, aber die Freuden körperlichen Seins sind kurz und enden mit dem unabwendbaren Tod. Obwohl spät, fragte ich mich jedoch eindringlich, ob ich richtig gehandelt habe.
Das zweite wichtige Ereignis war die Begegnung mit Ellon.
Zu sechst gingen wir in Ellons Werkstatt Mary, Olga, Irina, Orlan, André und ich. Früher war ich oft in das Innere des Planeten hinabgestiegen, wo seine ungeheuren Mechanismen konzentriert sind, aber in solche Tiefe war ich noch nie vorgedrungen. André sagte, wir brauchten mit dem Lift nur dreihundert Kilometer abwärts zu fahren, aber mir kam es so vor, als wären wir tausend und mehr Kilometer abgestürzt.
Wenn die Sündervorausgesetzt, die Hölle besaß keine Schnellaufzüge – kriechend in solche Tiefen hätten vordringen müssen, so wäre schon die Höllenfahrt eine geringere Strafe gewesen als das spätere Kochen im Schwefelkessel.
In einem riesigen sonnenhellen Saal empfing uns Ellon. Ich muß ihn beschreiben. Er steht vor mir. Ich trete zu ihm und sehe ihn unverwandt an. Ich versuche zu ergründen, woran es liegt, daß er unweigerlich diesen Eindruck machte. Und ich frage mich, ob sich die Empfindung bei eingehendem Betrachten nicht ändert, bei langem Studieren. Gar nichts ändert sich.
Alles ist richtig. Es gibt keine Fehler. Wenn ich in meinem Leben ein Wesen getroffen habe, das im vollen Sinne des Wortes ungewöhnlich ist, so heißt es Ellon!
Zunächst einmal ist er genauso wie alle Zerstörer wie alle Demiurgen, korrigiere ich mich, um keinen von ihnen zu beleidigen -, und schon allein dies ist ungewöhnlich für unseren Menschenblick. Er kam mir nicht entgegen, er wandte nur den Kopf auf dem langen, schlangenhaften Hals. Orlan hebt ihn und läßt ihn zwischen die Schultern klappen, Ellon würdigte uns keines Grußes. Er weiß einfach nicht, was Begrüßen ist, er ist in solchem Anstand nicht unterrichtet.