»Die Symphonie fiel bei der Uraufführung auf der Erde durch, die Himmelsbewohner auf der Ora gerieten ebenfalls nicht in Begeisterung. Wahrscheinlich war sie verfrüht. Ich fürchte, auch wir sind verfrüht, Eli.
Einstweilen setzt sich die Sternenharmonie nur mühsam durch. Und mit den Ingredienzien der Harmonieerstaunlicher als Hitze und Kälte , werden wir es sicherlich noch zu tun bekommen.«
Unser Gespräch wurde von dem Alarmsignal unterbrochen. Oleg und ich eilten in den Kommandeursaal. Die Analysatoren meldeten, daß sich mit dem Roten Stern Seltsames tue. Er schien einem Überfall ausgesetzt zu sein. Alle vier Schiffsmaschinen wählten einhellig, wie wir später feststellten, und unabhängig voneinander eben diesen ungeheuerlichen Terminus »Überfall« aus der Unmasse von Begriffen, die ihr Gedächtnis speichert.
Wir ließen kein Auge von den Sternen-Bildschirmen. Aus der Ferne, dem Bezirk, auf den wir Kurs nahmen, kam ein gewaltiger Strahlungsstrom, ein gigantisches Strahlenbündel, das genau auf den Roten zielte. Der Strom dahinjagender Energie war von so hoher Intensität, daß er uns wie eine blasse Silhouette vorkam, wie ein schwach leuchtendes Band, das die Sterne leicht beschattete. Und hätten wir nicht deutlich gesehen, was mit dem Roten geschah, wäre uns nicht klargeworden, welche Macht in dem Strahlenbündel steckte.
Oleg wandte sich mir, bleich geworden, zu. »Welch Glück, Eli, daß wir uns dem Planeten näherten! Befänden wir uns jetzt jenseits des Roten, würde sich unser Geschwader in ein Plasmawölkchen verwandeln!«
»Was gedenkst du zu unternehmen, Oleg?« fragte ich. »So schnell wie möglich fliehen?«‘ »Wir werden uns dem Roten nähern, Eli. Wir müssen wissen, was geschieht. Selbstverständlich lassen wir äußerste Vorsicht walten.«
Er gab Befehl, und das Geschwader steuerte, im Einsteinschen Raum verbleibend, auf den Stern zu, der von irgend jemand oder irgend etwas vernichtet wurde. Ich saß im Sessel und schaute düster auf die Bildschirme. Die Meldungen der Analysatoren beunruhigten. Ich dachte an den Untergang der ersten Expedition zum Galaxiskern. Die Erinnerungen an dieses Geschwader quälten nicht allein mich in diesen Augenblicken.
Die letzten Aufzeichnungen in Allans Bordjournal besagten, daß ein Strom verderbenbringender Teilchen auf ihre Sternenflugzeuge hereingebrochen sei und Allan und Leonid Kaum waren sie in sauberem Raum und hofften der unbegreiflichen Gefahr entronnen zu sein, da wurden die Schiffe erneut von solchen Strömen ereilt. Es war, als hätten die unbekannten, auf jeden Fall aber unsichtbaren Generatoren des verderbenbringenden Strahls, dem Geschwader folgend, das Ziel geändert.
So war es mehrere Male gegangen. Dann brachen die Aufzeichnungen ab, und die Schiffe mit den toten Besatzungen, die vor ihrem Ableben noch Zeit gefunden hatten, den Automaten den entgegengesetzten Kurs zum Perseus aufzugeben, waren zurückgekehrt. Der Kern hatte sie auf diese Weise nicht an sich herangelassen. Die Zielgerichtetheit der Schläge, die sonst unerklärliche Richtungsänderung der schmalen Ströme ließen auf der Erde dann vermuten, daß die erste Expedition, ohne es zu ahnen, Kampfhandlungen ausgesetzt gewesen war.
Jetzt bot sich ein analoges Bild, mit dem Unterschied nur, daß der Strahl nicht gegen uns gerichtet und unermeßlich mächtiger war. Da der Stern beschossen wurde, nicht die Sternenflugzeuge, war auch mehr Energie erforderlich. Das Bild war real und in seiner Realität undenkbar: ein Energiestrom ohne Ende, ein streng paralleler Strahl, ein ungeheuerlicher, unaufhörlich wirksamer Laser.
»Krieg!« sagte ich unwillkürlich. »Wie unerhört mächtig muß man sein, um auf diese Weise Sterne zu beschießen!«
»Es steht noch nicht fest, ob dies eine bewußte Handlung und keine elementare Naturerscheinung ist«, entgegnete Oleg. Er konnte nicht zugeben, daß wir es mit einem Beschuß aus dem All zu tun hatten.
»Es wäre zu entsetzlich! Ein Krieg gegen ein eingedrungenes Schiff des Gegners, das wäre immerhin verständlich. Empörend, widerwärtig, verbrecherisch, ja, aber letztlich widerspräche es nicht den Verhaltensgesetzen von Lebewesen. Aber warum einen toten Stern bekämpfen? Weshalb? Wieso?«
»Ich vermag keine deiner Fragen zu beantworten, Oleg«, sagte ich unlustig. »Doch ich bin sicher, daß wir, wenn wir heute nicht wahrhaft gigantisch vorsichtig sind, in ein Unglück geraten, das weit schlimmer ist als das, von dem Allans Geschwader betroffen wurde, nicht einmal unsere Leichen würden in die Heimat zurückgeschleudert. Vorsicht ist übrigens nicht gleichbedeutend mit Feigheit, ich rufe nicht zur Umkehr auf, fügte ich hinzu.
Oleg tat alles, um das Geschwader von dem schrecklichen Strahl fernzuhalten. Die Besatzungen taten Dienst auf den Gefechtsstationen. Wir waren bereit, unverzüglich sämtliche Abwehrmittel einzuschalten, falls der Strahl auf uns gerichtet wurde, die Raumannihilatoren, die Metrikgeneratoren, die Gravitationsschnecken. Ich zweifelte schon damals nicht, daß diese ganze, uns so mächtig erscheinende Abwehr nicht mehr als eine Fliegenklatsche gegen eine Atomgranate war. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß wir am Rande eines Abgrunds taumelten. Wir kamen nur deshalb nicht um, weil man uns ignorierte. Der Schlag galt dem Stern, nicht dem Geschwader.
Der ungeheuerliche Strahl drang in ihn ein wie eine Harpune in den Körper eines Wals, wie ein Degen in die Brust eines Duellanten. Der Stern quoll, zerbarst.
Wir hatten ihn drei Wochen lang umkreist, da hatte er riesige Protuberanzen verspritzt, die wie Spieße aus ihm stachelten – staubige Strahlen hatten sich nach allen Seiten gereckt. Jetzt war er eine einzige ungeheure Protuberanz, die verblassend auf uns zujagte, in Rauch und Asche, und im eigenen Staub verschwand.
Der Strahl verging ebenso plötzlich, wie er entstanden war. Der Stern toste weiter, aber das war schon ein anderer Stern. Ein gutes Drittel seiner Substanz verbreitete sich, einmal ausgestoßen, auch weiterhin und verdichtete den ohnedies dichten Nebel. In der Optik wäre der Stern von keinem Planeten aus mehr zu sehen gewesen. Glutroter Staub verhüllte die Gestirne der fernen Bezirke. Die Staubwolke jagte wie nach einer Explosion dahin und dehnte sich weiter und weiter aus.
Mit dem Planeten, auf dem wir noch wenige Stunden zuvor geweilt hatten, war es aus und vorbei.
Wenn er als Himmelskörper auch noch bestand, so waren doch die seltsamen Lebensformen, die wir auf ihm entdeckt hatten, vernichtet. Die leidenschaftslosen Analysatoren zeigten das präzise an. Die gesamte dem Roten zugewandte Oberfläche des Planeten hatte sich mit einer glasartigen aufgeschmolzenen Masse überzogen. Vielleicht hätten sich auf der anderen Seite Reste von Leben finden lassen, aber dort tobten Brände. Für uns stand fest, daß auch wir ausgelöscht worden wären, wenn wir diese schreckliche Nacht auf dem Planeten verbracht hätten.
Die Natur des Strahls, der so unerwartet erschienen war und so plötzlich geendet hatte, blieb unaufgeklärt. Es gab darin triviale Photonen, Neutronen, Protonen, Neutrinos, Rotonen, sogar die wenig erforschten Ergonen und sicherlich auch noch unbekannte materielle Mikrokonstruktionen. Unbegreiflich war die Wechselwirkung aller dieser Teilchen im Strahl, ganz abgesehen von den Ursachen für sein Erscheinen oder seiner Bestimmung. Ein natürlicher Prozeß, der einen so ungeheuerlichen Hyperlaser schuf, war undenkbar. Aber wenn das tatsächlich ein Beschuß gewesen war und kein elementar verlaufender Prozeß, dann erhob sich die Frage, warum der Stern beschossen worden war. Und wer hatte ihn beschossen?
Oleg berief den Rat der Schiffskommandeure ein.
Olga, Kamagin und Petri erschienen.
Die Konferenz wurde auf alle Schiffe übertragen.
Oleg fragte: »Was denken die Kommandeure über die Ereignisse, die sich auf dem Roten abgespielt haben?«
»Eine kosmische Katastrophe mit riesigem Energieverbrauch«, sagte Olga. »Ich habe ein paar Berechnungen angestellt. Die Energie des Stroms, der aus dem Kern ausgestoßen wurde, hätte ausgereicht, um zehn neue Planeten zu schaffen. Es ist wenig wahrscheinlich, daß man irgendwo ein künstliches Geschütz von solcher Leistungsfähigkeit herstellen konnte. Ich neige zu der Ansicht, daß wir auf einen neuen kosmischen Prozeß gestoßen sind.«