Oleg entgegnete, daß es bei einem Kollaps zu erstaunlichen Prozessen komme, unter denen auch die Geburt von Antimassen sein könne, die mit den Antigravitationskräften zusammenhängen: Innerhalb des Körpers äußerten sie sich als Gravitation, außerhalb desselben, unter den Körpern von gewöhnlicher Masse, als Abstoßung. Er kam der Wahrheit nahe, die dennoch völlig anders war.
»Bestimmt hat Olga im Hinblick auf den Unbekannten schon alle Berechnungen vorgenommen«, bemerkte ich. »Auf der ,Widder‘ ist die Schiffsmaschine stets dreifach ausgelastet. Fragen wir Olga.‘ Olga hatte eilends gerechnet. Die Ergebnisse besagten, daß es kein fremdes fliegendes Schiff gab. Es war da, wir sahen es, ungestüm kam es auf uns zu, und doch war es nicht vorhanden!
»Unsinn!« rief ich ärgerlich. »Oleg, Gespenster und Erscheinungen habe ich gründlich satt. Und nun wieder ein Phantom, allerdings ein kosmisches, kein planetares.«
»Phantome sind ebenfalls physische Gebilde, real existierende Objekte, nur nicht das, was sie scheinen«, bemerkte Oleg. »Dies aber gibt es einfach nicht, obwohl es da ist. So ist Olgas Mitteilung zu verstehen.«
Unsere Schiffsmaschine bestätigte Olgas Meldung.
Alle auf den Unbekannten gerichteten Suchfelder zeigten an, daß an der Stelle, wo er sich befand, nichts war. Ein echtes Gespenst kam auf uns zugeflogen, weit gespenstischer als diejenigen, die wir mit den Phantomgeneratoren schufen.
Ich begab mich zu Ellon.
Bei ihm waren bereits Orlan und Grazi, und der Drachen hatte sich über die ganze Länge des Fußbodens ausgestreckt. Ellon hielt in schwungvoller Rede inne, als ich eintrat.
»Ellon«, sagte ich, »wir sehen in der Optik einen fremden Körper, den die Suchfelder nicht entdecken.
Kannst du dieses Paradox in einer Sprache uns faßlicher Begriffe erklären?«
»In einer Sprache uns faßlicher Begriffe nicht«, antwortete Ellon. Er lachte nicht, wie er es sonst tat, wenn er den Effekt seiner Erklärungen im voraus genoß. Hier war der Effekt an sich schon so bedeutsam, daß er ihn nicht mit diabolischem Gelächter zu betonen brauchte.
»Und in einer Sprache ungewöhnlicher Begriffe, Ellon?«
»Das Sternenflugzeug, das wir sehen, existiert nicht in unserer Zeit.« Ich tauschte Blicke mit Orlan und Grazi, dann schaute ich den Drachen an. Sie verstanden nicht mehr als ich. Abseits saß Irina, das gerötete Gesicht, die glänzenden Augen und das Nicken bei jedem von Ellons Worten deuteten darauf hin, daß sie glaubte, alles sei ihr völlig klar.
»Es existiert nicht in unserer Zeit? In welcher Zeit jagt es denn auf uns zu, zum Teufel?«
»Für uns aus unserer Zukunft in unsere Gegenwart.«
»Nicht aus der Vergangenheit in die Gegenwart?«
Ellons Erklärung gehörte zu denen, die eher verdunkeln als erhellen.
»Aus der Vergangenheil in die Gegenwart fliegen wir. Genauer, unaufhörlich schieben wir unsere Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Die Zeit ist reaktiv mit uns verbunden – sie stößt uns vorwärts, in die Zukunft, während sie selbst in die Vergangenheit entflieht. Der Flug des Unbekannten ist ein Schuß aus der Zukunft in die Gegenwart. Seine Zeit springt nicht reaktiv von ihm zurück, sondern jagt mit ihm, wie die Pulverladung im Kanonenrohr zusammen mit dem Geschoß, in derselben Richtung.«
»Ein Schuß aus der Zukunft in die Gegenwart?«
Ich überlegte. »Aber wir sehen doch das fremde Sternenflugzeug, Ellon, und sehen es in unserer Gegenwart, sehen es bereits seit zwei Stunden, und indessen ist die Gegenwart, die wir vor zwei Stunden hatten.
Vergangenheit geworden. Anders gesagt, das Sternenflugzeug existiert in der Gegenwart und in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft.«
Ich glaubte, Ellon bei Widersprüchen ertappt zu haben. Aber der Demiurg hatte seine Konzeption gut durchdacht.
»In der Gegenwart sehen wir seinen Schatten, der aus der Zukunft fällt. Das Schiff, wie es sich uns darstellt, ist nichts als ein Schatten, der das Erscheinen des realen Objekts vorwegnimmt. Der Schatten wird kürzer, das heißt, das Sternenflugzeug nähert sich der Gegenwart aus der Zukunft. Sobald der Schatten mit dem Objekt zusammenfällt, erscheint es körperlich.«
»Und es fliegt nicht aus der Gegenwart in die Vergangenheit weiter?«
»Ich denke, seine Energie reicht nicht aus, um Null der Zeit, genannt »Gegenwart« oder jetzt« oder, der gegebene Augenblick’, zu durcheilen.«
»Hörst du, Oleg?« fragte ich mittels Stereophon »Wenn Ellons Hypothese richtig ist, dann droht dem Geschwader beim Zusammenstoß mit dem fremden Schiff keine Gefahr: Den Punkt, an dem wir uns gerade befinden, wird es erst in unserer Zukunft erreichen jetzt treffen wir nur seinen Schatten dort. Wir brauchen die Begegnung mit ihm ebensowenig zu fürchten, wie Dschingis-Khan eine Begegnung mit unseren Sternenflugzeugen zu fürchten brauchte. Hast du irgend etwas verstanden?«
Oleg antwortete, daß er einen nahen Kontakt mit dem fremden Schiff tunlichst vermeiden wolle, gleichgültig, in welcher Zeit es sich aufhalte.
An Ellons Hypothese fand ich allmählich Gefallen Es handelte sich einfach darum, daß das Sternenflugzeug von dem Kollapsar forteilte. Bei einem Kollaps ändert sich der Lauf der Zeit Zukunft und Vergangenheit werden in einem Punkt zusammengezogen. Es heißt, vor den Augen eines Sterbenden rolle sein ganzes Leben ab. Bei einem untergehenden Stern tritt in Sekundenschnelle nicht nur die ganze Vergangenheit an, sondern auch die ganze Zukunft. Wie man sich das anschaulich vorstellen soll, weiß ich nicht, jedenfalls läßt sich das aus der Theorie folgern. Wie sich die Masse ungeheuer verdichtet, so auch die Zeit.
Und wenn sich im Moment einer gigantischen Zeitverdichtung ein Heranziehen von hinten, aus der Vergangenheit, und von vorn, aus der Zukunft ein Sternenflugzeug unter einer solchen Zeitpresse befindet und aus irgendwelchen Gründen unbeschädigt bleibt, so kann der ungeheure Druck der verdichteten Zeit es durchaus in die Zukunft schleudern. Es wird im Raum »hier« sein, doch zeitlich in dem fernen »dort«. Und sofern es die höllische Implosion übersteht und sich von dem zusammenklappenden Stern zu lösen vermag, muß es, nachdem es frei ist, in seine Zeit zurückstürzen, wie ein Stein, der in die Höhe geworfen wurde, auf die Erde fällt.
Und dann vollzieht sich sein Nahen für uns nicht real im Raum, sondern in der Zeit. Folgerichtig erscheint es an den Punkten im Raum, an denen es war, bevor es in die Zukunft flog. Und es versteht sich von selbst, daß wir es, wenn wir seinen Schatten sehen, mit unseren Feldern nicht aufspüren können, da es nicht vorhanden ist.
Ellons Argumentation war unsinnig genug, um zu begründen, daß die unsinnige Erscheinung logisch sei.
Und dann fand die Begegnung statt, und sie vollzog sich genau nach Ellons Voraussage.
Oleg sorgte dafür, daß das zügellose Sternenflugzeug mit keinem unserer Schiffe zusammenstieß. Das Geschwader hatte sich ringförmig aufgebaut, mitten im Ring jagte das Sternenflugzeug dahin. Doch es flog nicht bis zu uns heran, sondern stoppte. Während es regungslos im Kosmos hing, näherten wir uns ihm.
Offensichtlich war es an dem Punkt angekommen, wo die Zeitinversion begann, und das war eben unser »jetzt«.
Unsere Sternenflugzeuge schwebten ringförmig über dem Unbekannten und warteten auf sein körperliches Erscheinen. Nach wie vor sahen wir seine verschwommene Silhouette, und die Suchfelder vermochten immer noch nicht, seine Umrisse zu erlassen. Es war, als verlaufe die Zeit auf ihm verlangsamt, er stürzte nicht mehr ungestüm in unsere Zeit, sie hatte ihren Lauf ebenfalls abgebremst.
Und plötzlich sprang das Schiff physisch in unsere Zeit. Alle Felder, die Ergon-, Roton-, Proton- und die Kraftfelder – grenzten es sofort ab.
Auf dem Bildschirm flammte ein reales Bild auf ein körperlicher Gegenstand, nicht sein seltsamer Schatten.