Das Sternenflugzeug erinnerte an eine Schnecke aus einem dreifachen Spiralenring. Weder bei uns noch bei den Galakten oder den Demiurgen gab es etwas, was eine entfernte Ähnlichkeit mit solch einer Konstruktion hatte. Das Schiff war völlig durchsichtig, als habe es keine Wandungen und bestehe ganz und gar aus flimmerndem Gas, durch irgendwelche Kräfte zu einer dreigeschossigen Spirale zusammengepreßt. Nur an der Spitze ragte ein dunkler Auswuchs von der Größe unseres Schiffssaales wahrscheinlich der Befehlsstand. Die Schiffsmaschine teilte mit, daß dort undurchsichtige Körper wahrzunehmen wären.
Zum erstenmal erlebte ich Ellon erstaunt.
»Eli«, wandte er sich an mich. Er hatte vergessen, das traditionelle »Admiral« zu gebrauchen. »Eli, wissen Sie, was das für eine Form ist? Eine Nachbildung der Gravitationsschnecke, mit deren Hilfe ich den räuberischen Planeten fortschleuderte!«
Der Drachen war nicht minder erstaunt als der Demiurg.
»Das von dir so anschaulich beschriebene ,Problem eines Tritts in den Hintern‘ hat offenbar nicht nur eine dynamische, sondern auch eine gegenständliche Gestaltung erfahren«, höhnte ich. »Eine Konstruktion, die sich selbst noch dazugibt!«
Unsere Signale wurden von dem Sternenflugzeug nicht beantwortet, nichts deutete darauf hin, daß wir bemerkt waren. Grazi äußerte die Vermutung, daß es sich bei dem Schiff um ein Lebewesen handele, das, äußerlich unversehrt, bei der Implosion des Kollapsars umgekommen sei.
Da wir Planeten kennengelernt hatten, die Lebewesen waren, wunderte sich niemand über Grazis Gedanken. Oshima erhielt von Oleg den Befehl, ein Planetenflugzeug zu dem fremden Schiff zu schicken.
Das Planetenflugzeug umflog die Schnecke, tastete sie mit Feldern ab und suchte vergeblich nach Eingängen. Da beschloß Oshima, die Kabine von dem Rumpf zu trennen. Kurz darauf zerfiel das Sternenflugzeug. Die Kabine, von unseren Feldern umschlossen, blieb erhalten, der Rumpf aus leuchtendem Gas aber löste sich auf, sobald die Kabine abgetrennt war, ein formloses, glanzloses Wolkchen schwebte daher.
Das Planetenflugzeug kehrte zum Anlegeplatz der »Steinbock« zurück.
»Schaut mal, was für Tiere ich euch bringe!« sagte Oshima, als er ausstieg. »Das fremde Schiff konnte ich nicht bergen, aber die fremden Astronauten liefere ich euch. Leider sind sie tot! Sie sind schon Millionen Jahre tot, will man Ellons Behauptung Glauben schenken, daß wir nicht einem Sternenflugzeug, sondern einem Zeitflugzeug begegnet sind.«
In der Kabine lagen sechs Körper. Zweifellos hatten sie einst gelebt, jetzt deutete nichts auf Leben hin.
Die durchsichtigen Kabinenwandungen erinnerten an Kraftschirme, über ein ebenfalls durchsichtiges Gestell gezogen.
»Die Kabine besser nicht öffnen, sondern auflösen«, sagte Irina. »Das machen wir mit unseren Schutzmechanismen, die wir auf Rückwärtsgang schalten, damit sie nicht Felder generieren, sondern aufsaugen.«
Die Kabinenwandungen waren von den Kraft pumpen rasch beseitigt. Die Toten fielen auf den Anlegeplatz. Die fremden Astronauten schienen von der Katastrophe, die sie ereilt hatte, nicht stark deformiert worden zu sein. Dennoch waren das sehr merkwürdige Wesen!
Irgendwie glichen sie uns, uns allen den Menschen, den Demiurgen, den Galakten, den Engeln und sogar den Drachen, und trotzdem waren sie ganz anders. Sie hatten Köpfe mit Gesichtern und Haaren, aber die Haare jedes war fingerdickerinnerten an Schlangen; sie hatten Augen, aber jeweils drei; und sie hatten lippenlose Münder, die jetzt halb geöffnet waren.
Die kleinen Köpfe ruhten auf mächtigen schwarzen Spinnenkörpern mit zwölf achtgliedrigen Beinen, die so dick wie Menschenarme waren.
»Lebt!« schrie Lussin plötzlich und stürzte zu dem einen der ausgestreckt daliegenden Geschöpfe. »Bewegt sich!«
Grazi packte Lussin eilends bei der Schulter, damit er nicht zu nah an die Spinnenförmigen trat. Aus den starken Händen des Galakten vermochte sich Lussin nicht zu befreien, aber beharrlich wies er auf den uns am nächsten liegenden Körper und behauptete aufgeregt, daß der Unbekannte lebe.
Bald darauf bemerkte auch ich, daß eins der Beine zuckte und sich die Haare auf dem Kopf bewegten.
Der Unbekannte unternahm einen schwachen Versuch, sich zu erheben, und sank zurück. Seine zwei unteren Augen öffneten sich mühsam, umfingen uns mit trübem Blick und schlössen sich.
Die Bewegung hatte ihn offensichtlich so viel Kraft gekostet, daß er erneut in Ohnmacht fiel.
»Fünf sind tot, dieser läßt sich zum Leben erwecken«, sagte Oleg. »Wo könnten wir ihn zur Genesung einquartieren?«
Ellon erbat den auferstandenen Kosmonauten für sich. Es sei zwar ziemlich eng im Labor, aber für so ein interessantes Geschöpf finde sich ein Plätzchen.
Und falls zur Belebung des spinnenförmigen Sternenreisenden Experimente erforderlich würden, müßte er ohnehin ins Laboratorium geschafft werden, nicht wahr?
»Nehmen Sie ihn, Ellon«, sagte Oleg.
Romero wandte sich gleichzeitig an Oleg und an mich. »Hochgeehrte Freunde, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich unseren neuen zwölfbeinigen Bekannten als Aranen bezeichne?«
Wir fragten ihn neugierig, wie er auf diesen Namen komme. Er erklärte, das Wörtchen »Aranea« habe in einer alten Menschensprache Spinne bedeutet. Und daß die Unbekannten den irdischen Spinnen ähnelten, stehe wohl außer Zweifel.
»Außerdem gleichen sie den Atairen«, bemerkte ich. »Nur sind jene sympathischer.«
»Jene sind freundlicher und herzlicher und fraglos bedeutend weniger entwickelt als die Aranen«
Später erinnerte ich mich oft, wie treffend Romero die Aranen auf den ersten Blick charakterisiert halte.
3
Der Arane stand auf seinen zwölf Beinen, den kleinen Kopf zurückgeworfen. Man konnte meinen, er sei aus eigenem Antrieb stehengeblieben und werde gleich sicheren Schritts weitergehen oder laufen. Doch diese Stellung war ihm von außen gegeben, sobald das stützende Feld abgeschwächt wurde, kippte er um. Aus seiner Bewußtlosigkeit war er immer noch nicht erwacht.
Der Tag, an dem der Arane die Augen öffnete, hat sich uns allen tief eingeprägt.
Mehr als ein Monat war verstrichen, seit wir das Sternenflugzeug getroffen hatten. Das »schwarze Loch« des Kollapsars war schon weit hinter uns. Ich unterhielt mich im Laboratorium mit Ellon. Uns unterbrach Irina, die erstaunt rief: »Er schwebt! Ellon! Eli! Er schwebt!«
Der Arane schwebte tatsächlich. Und er bewegte sich auf uns zu. Ellon sprang zurück, ich ebenfalls.
Das dritte Auge des Aranen, das obere, erschreckte mich, zum erstenmal sah ich es geöffnet. Es blickte nicht nur, sondern leuchtete. Es war durchdringend, schonungslos scharf. Die beiden unteren Augen waren nicht mehr getrübt, sie wirkten ganz normal, sie blickten klug, ein wenig traurig, nicht besonders wachsam. Später erfuhren wir, daß das obere Auge der Aranen zu blenden vermag. Selbstverständlich ist es kein Laser, aber von dem Lasereffekt hat es etwas an sich.
Ellon verstärkte das Schutzfeld, der Arane prallte zurück und stürzte. Ellon erklärte dann zu seiner Rechtfertigung, er habe geglaubt, das Ungeheuer wolle uns überfallen. Ich meine, Ellon hatte richtig gehandelt. Der Arane hatte die Folgen der Zeitinversion noch nicht überwunden, sein Gehirn war noch längst nicht klar. In ihrem Normalzustand sind die Aranen, sofern sie nicht zu zahlreich auftreten, für Menschen und Demiurgen ungefährlich.
Ellon schwächte das Feld ab, und der Arane schwang sich mit angezogenen Beinen erneut langsam empor. Offensichtlich wollte er sich uns nähern »Stimme das Dechiffriergerät«, bat ich Irina.
»Vielleicht finden wir eine gemeinsame Sprache.«
Dann bat ich den Erkundungstrupp ins Labor. Es erschienen Mary, Lussin, Romero, Orlan und Grazi.
Auch der Drachen kam gekrochen. Aus Platzmangel ließ er den Schwanz im Korridor. Da stieg der Arane ein wenig höher, so daß sich der Drachen unter ihm bequem ausstrecken konnte.