Oan stieg vorsichtig in das Dickicht der flimmernden Bäume hinab. Wir folgten ihm. Die Beine hatten wir zusammengeklappt und schlichen auf den oberen Gelenken. Ohne dieses Ducken nach Spinnenart wären wir jählings vorgeschnellt.
In dem Wäldchen blieb Oan stehen. Ich war hinter ihm. »Eli«, signalisierte er meinem Gehirn, »ich spüre Iaos Entladungen. Er ist Verwerfer und hat heute Schutzdienst. Die Beschützer warnen, wenn sich eine Rotte Beschleuniger an unsere Höhlen heranstiehlt!.
Ich sage Iao, ihr wäret Verwerfer von der anderen Seite des Planeten, wo wir ebenfalls Propaganda führen Ihr würdet eine neue Abteilung unserer Anhänger sein.«
Wenig später begegneten wir Iao Ein lila Schatten schimmerte auf, schimmerte auf und verschwand. Noch auf der »Steinbock« hatte ich mit Oan vereinbart, daß er uns seine Gespräche mit den Aranen übersetzte. In meinem Gehirn erscholl eine schroffe, sich überstürzende Stimme – Oan gab sogar die Intonationen seines Kameraden meisterhaft wieder. »Halt. Anschleichender! Nenne dich. Nenne mich!«
»Ich bin Oan, und du bist Iao«, hörten wir Oans Antwort.
»Ich bin Iao, du hast recht, Oan. Ich freue mich, daß du unversehrt zurückgekehrt bist. Erleuchte dich, damit ich dich sehen kann. Ja, du bist Oan. Es ist tröstlich, dich am Leben zu wissen, großer Oan, du naher Freund des Großen Oor. Wo sind deine Kameraden, Oan? Wo hast du deine erhabenen Brüder gelassen, die auf der Flucht in die andere Zeit mit dir waren, Oan?«
»Sie alle sind umgekommen, Iao. Ich werde Oor und der Gesellschaft darüber Bericht erstatten. Nun laß mich passieren.«
»Du bist nicht allein? Was bedeutet das, Oan?«
»Mit mir sind Freunde von der anderen Seite des Planeten, die als Verwerfer angeworben wurden. Ich habe sie mitgebracht, damit sie der Predigten Oors teilhaftig werden. Sie brennen darauf, den Kampf gegen die Beschleuniger aufzunehmen.«
»Sie sollen der Predigten teilhaftig werden, Oan.
Und wir werden ihnen Gelegenheit geben, gegen die gräßlichen Beschleuniger zu kämpfen. O ja, Oan, wir werden ihnen Gelegenheit geben! Mögen sie sich erleuchten. Wackere Leute, Oan, du hast gut daran getan, sie herzubringen. Morgen können sie ihren Eifer durch die Tat beweisen!«
»Ist etwas Wichtiges geschehen?« »Die Beschleuniger haben wieder alle aufgegriffen, die sie in den Stunden der dunklen Sonnen antrafen.
Die Selbstverbrennung ist für morgen festgesetzt, beim Untergang der Drei Staubigen Sonnen soll sie stattfinden. Wir wollen die Unglücklichen befreien.
Geh, Oan. Ich freue mich für dich und die Freunde.
Ihr werdet Oors, des Größten der Großen flammende Predigt hören. Schreite tapfer aus. Hinter mir werden keine Beschleuniger euren Weg kreuzen.«
Oan beschleunigte den Schritt. Wir hoben die Rümpfe ein wenig, streckten die Beine aber nicht völlig. Nach wie vor war das Dunkel nur durch das Phosphoreszieren der Bäume, das Lumineszieren des Bodens und das Leuchten unserer Körper erhellt. Romero flüsterte begeistert, wir hätten Ähnlichkeit mit irdischen Verschwörern früherer Zeiten, die zu einer heimlichen Zusammenkunft schlichen. Ich bezweifle, daß ihm das damalige Leben gefallen hätte, wäre er real unter unseren Vorfahren gewesen, aber alles, was an die alten Zeiten erinnert, läßt ihn jubeln. Ich verstehe seine Gefühle, vermag sie jedoch nicht zu teilen.
Bald darauf gelangten wir in eine geräumige Höhle mit leuchtenden Wänden. Hier wimmelte es von Aranen. Es waren ihrer so viele, und sie hatten sich so dicht aneinander gelegt, daß der Eindruck entstand, als befände sich in der Höhle nur ein einziger riesiger flimmernder Körper. Und wir zwängten uns dazwischen, wurden Teil von ihm, ordneten uns seinen Bewegungen unter – beugten uns mit ihm bald nach rechts, bald nach links, richteten uns auf, indem wir die Beine streckten, und ließen uns wieder nieder. Niemand beachtete uns, niemand interessierte sich für uns.
»Oor!« äußerte Oan deutlich. Nur wir vernahmen ihn. Mitten in der Höhle warf sich ein Spinnenförmiger auf den Rücken. Auf das zwölfbeinige Postament kletterte ein anderer Arane, stellte sich auf die lebenden Säulen und zuckte und flimmerte in schnell wechselnden Farben. Er hielt eine Rede erglühend und erlöschend, sich blähend und zusammensinkend.
Seine von Oan übersetzten Worte erklangen in unseren Gehirnen. Dies war Oor, Oberster Verwerfer des Endes.
»Entsetzlich, Eli, sie verurteilen den Tod, weil sie das Dahinvegetieren preisen. Der Begeisterung für das Ende setzen sie den Jubel über jegliche Drangsal entgegen!« flüsterte Lussin befremdet, in Gedanken selbstverständlich, in normaler Rede hätte er so einen zusammenhängenden Satz in einem Monat nicht herausgebracht.
»Ein spinnenförmiger kosmischer Ekklesiastikus, dieser edle Oberste Verwerfer des Endes«, bekräftigte Romero. Er konnte nicht anders, er mußte mit dem unverständlichen Wörtchen »Ekklesiastikus« aus seinem geliebten Antiquitätenarchiv protzen.
Zunächst rief Oor zur Rettung derjenigen auf, die am nächsten Tag sterben sollten, und zog erbittert über die Beschleuniger her. »Sie sind nicht nur unzufrieden, sie sind Rebellen. Und sie hassen sich selbst, das Leben, die ganze Welt. Sie sind die wahren Verwerfer, da sie sich vom gesamten Universum abwenden, nicht nur von ihrem Planeten. Sie tragen den Keim der Vernichtung in sich, aus dem die giftige Frucht des realen Todes wächst.«
Dann sang der Oberste Verwerfer des Endes eine feierlich schwülstige Hymne auf das Dasein. Ich bin nicht stark in Philosophie, aber ich bin mit Lussin der Meinung, daß sich das Weltgefühl der Verwerfer in der Begeisterung für zielloses Dahinvegetieren und dem Entzücken über jegliche Scheußlichkeit erschöpfte. Eine Existenz im Namen der Existenz so sah im großen und ganzen diese billige Philosophie aus.
»Ach, freut euch des Staubs, berauscht euch an der Finsternis!« verkündete von der zwölfbeinigen zuckenden Kanzel der Oberste Verwerfer des Endes.
»Denn herrlich ist der würgende Staub, hinreißend die tiefe Finsternis! Sucht nicht das Heil, das ewige Heil stumpft den Geruchssinn ab, den Geschmack und die Sehkraft. Strebt nach Mängeln, denn die ewigen Mängel versüßen jegliches Heil! Die Finsternis um euch macht, daß euch ein Lichtfünkchen ergötzt.
Ihr seid zum Existieren geschaffen. Also existiert, existiert! Und möge die Finsternis tiefer und der Staub dichter werden! Herrlich, großartig, göttlich ist die Drangsal! Schön, schön ist der Kampf um die Existenz. Je enger die Möglichkeiten, je verderbenbringender die Umwelt, desto wonniglicher die für das Dasein ertrotzte Stunde, Minute, Sekunde! Je weniger Anlässe für Genuß, desto intensiver der Genuß aus jeglichem Anlaß. Ach, ins Dunkel gehen, frohlockend, daß man fähig ist, das Dunkel zu empfinden!
Ach, vor Staub ersticken, qualvoll nach sauberer Luft dürsten und auskosten, daß man fähig ist, so leidenschaftlich zu dürsten! Fliehen, fliehen vor den rachsüchtigen Blitzen der grimmigen Mutter Speichern. Fliehen vor den raubgierigen Kreaturen des Ozeans und jauchzen, daß man zu fliehen vermag, daß man nicht wird, nicht wird, nicht wird der Brennpunkt einer elektrischen Entladung, die Beute eines Räubers. Und wenn ihr Gestank wahrnehmt, so jubelt, daß ihr üblen Geruch von gutem unterscheidet. Taucht in den Gestank, taucht, in seiner Abscheulichkeit entdeckt ihr eure Fähigkeit, euch an gutem Duft zu freuen. Ohne Gestank keine Wonne des Wohlgeruchs. Oh, wie schön sind die Drangsale und Ängste, die Qualen und die Entbehrungen! Sie sind die Unvergänglichkeiten der Existenz, sie sind die Selbstverstärker der Bestätigung! Preist die Drangsale! Ergötzt euch an der Qual! Verwirklicht das Höchste in euch: die Fähigkeit, euch ganz und gar zu erniedrigen. Euch so dicht an den Boden zu schmiegen, daß die Grausamen Götter euch nicht sehen, nicht spüren, nicht kennen! Seid stolz auf euer Dasein, denn ihr existiert allem zum Trotz. Es ist das Höchste im Leben zu leben! Es ist das Heiligste an der Existenz zu existieren. Also existiert! Lebt, lebt! Im Kampf gegen alles, gegen alles Existieren, existieren! O Mutter Blitzspeicherin, schlag zu! Wir halten stand! Wir halten stand!«