»Welch eine furchtbare Philosophie, Eli!« flüsterte Lussin wieder.
»Was er sagt, entspricht nicht dem, was du über die Verwerfer des Endes erzählt hast«, wandte ich mich in Gedanken an Oan.
Er erwiderte von Gehirn zu Gehirn; »Der Oberste Verwerfer überzeugt seine Anhänger, nicht das Ende herbeizusehnen. Das ist nur die eine unserer Aufgaben. Die andere besteht darin, einen vernünftigen Ausweg aus der heutigen Ausweglosigkeit zu finden.
Merke wohclass="underline" Oor behauptet nirgends, daß der Jubel für zielloses Dahinvegetieren ewig dauern soll. Doch für die heutige Generation ist es unvermeidlich. Die Befreiung können erst unsere Nachfahren erleben.
Viele Aranen begreifen das, aber die höchsten Geheimnisse sind nicht allen zugänglich.«
Die Antwort war nicht gerade klar, aber ich bestand nicht auf näherer Erläuterung.
Oors lange Rede war von Heulen und Schreien, krampfhaftem Zucken aller Körper, Aufgleißen und Schwenken der schlangenförmigen Armhaare begleitet gewesen. Nachdem er mit dem hysterischen Ruf »Existieren! Existieren!« geendet hatte, verkündete er: »Jetzt, o Brüder, Niedrige der Niedrigsten, wollen wir den gefangenen Beschleuniger, einen jämmerlichen und verbrecherischen Selbstverbrenner, bekehren!«
In der Höhle gleißte wieder fieberhaftes Leuchten auf. Tausende Stimmen schrien, kreischten, heulten:
»Auf den Pranger! Erniedrigen durch Erhöhen! Strafen! Strafen!«
Über der Menge flog wie ein Ball ein Arane auf.
Vor Angst hatte er die Beine zusammengelegt und die Armhaare dicht an den Kopf gedrückt. Aus der Ecke wurde er zur Mitte geworfen, und die Menge gab acht, daß er nicht zu Boden ging und sich zwischen den Körpern versteckte. Neben Oor legte sich ein zweiter Arane auf den Rücken und bildete ein weiteres zwölfbeiniges Postament. Der Gefangene wurde hochgehoben. Krampfhaft pulsierten sein Leuchten und sein Umfang, mal erlosch der Körper, mal erglühte er, mal blähte er sich, mal fiel er zusammen.
Sind die Aranen aufgeregt, so verzichtet keiner auf jähe Körperbewegungen und bestürzte Lichtpulsation.
Oor begann den gefangenen Beschleuniger feierlich zu verhören.
»Uul, ihr trugt euch mit der Absicht?«
»Ja, großer Oor, wir trugen uns mit der Absicht »Selbstverbrennung?«
»Ja, großer Oor, Selbstverbrennung.«
«Öffentliche?«
»Ja, großer Oor, öffentliche.«
»Morgen, zur Zeit der Dunklen Sonnen?«
»Morgen, zur Zeit der Staubigen Sonnen,«
»Der Dunklen oder der Staubigen? Sprich die Wahrheit!«
»Der Staubigen Sonnen, großer Oor, der Staubigen! Ich würde mich nicht erkühnen, dich zu belügen.«
»Du bist imstande, jämmerlicher Beschleuniger des Endes, die genaue Zeit zu verheimlichen, damit wir auf eurer widerwärtigen Festlichkeit nicht erscheinen.«
»Ich bin glücklich, euch die genaue Zeit zu eröffnen, damit auch ihr an unserer berauschenden Feierlichkeit teilnehmt.«
»Wieviel Unglückliche unterzieht ihr morgen der entsetzlichen Strafe?«
»Hundertdrei Glückliche werden morgen der herrlichen Krone für würdig befunden.«
»Hundertdrei vom Entsetzen vor der Vernichtung Gepackte? Lügst du nicht. Verachtungswürdigster der Verachtungswürdigen?«
»Hundertdrei von Todesbegeisterung Erfüllte, hundertdrei im Vorgeschmack des Endes Jauchzende! Ich lüge nicht, Größter der Großen!«
»Aber, du Niederträchtigster, gedachtest nicht unter den jauchzenden Verdammten zu sein? Du versagst dir den Todesgenuß? Vielleicht deshalb, widerwärtigster Uul, weil dir das Illusorische der Nichtseinswonne bewußt geworden ist?«
»Nein, verehrungswürdigster Oor, ich bin mir der Freude der Selbstvertilgung tief bewußt. Aber das entzückende Nichtsein wird mir bislang nicht vergönnt. Ich bin der Auszeichnung einstweilen nicht für wert befunden. Ich muß noch dreißig der Wonne des Selbstmords Würdige dem Feuer überantworten, bevor ich mit der Erlaubnis, selbst zu sterben, belohnt werde. Ich trage den Titel eines Greifers zweiten Ranges, o weiser Oor, Lieblingssohn des Vaters Akkumulator und der Mutter Blitzspeicherin.«
»Wir haben dich gestellt, als du mit deinen gierigen Haaren räuberisch den armen Jaal umwandest, um ihn ins Verlies der Todgeweihten zu schleppen!«
»Ihr habt mich gefaßt, als ich mit zärtlichen Haaren den hinfälligen Jaal freundschaftlich umarmte, um ihn vor das Antlitz der Weisesten zu bringen, die ihm erklärt hätten, wieviel er verlor, da er unter den unglücklichen Lebenden verweilte, indessen er sich Hunderte, Tausende Male herrlich selbst vernichten konnte. ,Welche Qual diese jämmerliche Existenz angesichts der Schönheit des Todes’, funkelte ich ihm heiß in die Augen. ‚Wähle’, funkelte ich, ,zwischen einer trüben Existenz und dem lichten Tod. Und seine Seele zeigte sich schon geneigt, freudvoll zu enden, als ihr ihn aus meinen sanften Armen risset, damit er sein trostloses Dasein fortsetze.«
»O Nichtswürdigster der Nichtswürdigen, du stellst die Seligkeit der Trübnis, die Begeisterung für den Selbstverlust, die Freude an der Selbsterhaltung in Abrede? Bedenke, in welche Häresie du verfällst, unvernünftiger Uul!«
»Ich schwinge mich zur wahren Erkenntnis auf Heiligster der Irrenden!«
»Deine falsche Erkenntnis wird durch deine Reden widerlegt.«
»Ihr gabt mir keine Gelegenheit, eine Rede zu funkeln. Ihr verhört mich.«
»Wir fürchten deine Reden nicht, Funkele! Erschöpfe dein entartetes elektrisches Feld, die heimtückische Gabe unseres bösen Vaters Akkumulator. Die widerwärtige Grellheit deiner Offenbarungen wird enthüllen, wie tief die ihnen innewohnenden Irrtümer sind. Funkele, blitze, glühe! Die Wahrheit liegt in der Dunkelheit, nicht im Licht!«
Der Gefangene strahlte begeistert eine grelle Rede.
Oan übersetzte sie uns flink, wir hatten nichts weiter zu tun, als uns an Uuls ungestümen Sprüngen auf dem lebenden Postament und dem leidenschaftlichen Leuchten seines Körpers zu weiden. Den Behauptungen Oors setzte der Gefangene seine eigenen entgegen aber merkwürdig, ich hatte immer den Eindruck, als sagten sie ein und dasselbe, als bildeten sie sich nur ein, daß sie unterschiedlicher Auffassung waren. Zwei Enden eines Stockes, dachte ich. »Die Wahrheit liegt im Licht, nicht in der Finsternis«, ereiferte sich blitzend der Gefangene auf dem Postament. »Die Wahrheit funkelt, sie verbirgt sich nicht. Die Grausamen Götter verdichten das Dunkel!
Die Grausamen Götter erschweren das Dasein.
Ruhm den Grausamen Göttern! Ruhm ihrer erbarmungslosen Vernunft! Ruhm der Qual, die sie schaffen! Welch Elan in den Taten der Grausamen Götter!
Sie strafen nicht, sie prüfen. Sie rufen uns zu: Seid ihr fähig, den kühnen Entschluß zu fassen? Ihr geheiligtes Ziel besteht nicht darin, uns zu einem trostlosen Dasein, sondern zu dessen Ablehnung zu zwingen.
Nicht Unterwerfung, sondern Auflehnung. Nicht Selbstverwirklichung in der Existenz, sondern in deren Verneinung. Verneine die Kälte und die Dunkelheit, den ewigen Staub und den ewigen Hunger, das räuberische Wasser und die unwirtliche Erde, die dunklen Sterne und die finsteren Sonnen! Die höchste Verneinung besteht in der Verneinung von sich selbst, in der Auflehnung gegen das eigene Leben! Ach, da ist sie, da ist sie, die Wahrhaftigste der Notwendigkeiten, die vollständige Erlösung von allen Fesseln die Selbstvernichtung! Da ist sie, die höchste Freiheit die Befreiung von sich selbst! O Selbstmord, Edelste der Selbständigkeiten! Nur derjenige erreicht vollkommene Vollendung, der dem Leben durch den Tod Vollendung gibt! Freiheit, Freiheit, Freiheit – in der Freiheit von der Existenz! Preist den freien Tod!