Die Nacht der Dunklen Sonnen ging in den Tag der Staubigen Sonnen über.
Nie habe ich eine trostlosere Morgendämmerung gesehen. Der schwarze Nebel wurde gelb. Aus dem schwarzen Ozean kamen drei orangefarbene Kugeln gerollt und kletterten eilig empor. Auch in der Nacht hatte es sich schwer atmen lassen, mit Tagesanbruch wurde der Staub, der die Luft erfüllte, so stickig, daß es die Luftfilter des Schutzanzuges nicht leicht hatten.
Der Ozean glitt zurück und gab den verstümmelten Uferrand und einen Wall aus Sedimenten frei. Die Meerestiere, Kreaturen der Nacht, tauchten in die Tiefe.
Nachts wirkte Arania geheimnisvoll, man konnte ihr da alles mögliche andichten, sogar Schönheit. Im staubigen Tageslicht bot sie sich abstoßend häßlich dar.
Grazi kam gesprungen, »Ein öder Planet, nicht wahr, Eli?« sagte er. »Würde man ihn in den Perseus verlegen, brauchten selbst die Galakten Jahrtausende, um elementare Bequemlichkeiten auf ihm zu schaffen.«
»Die elementaren Bequemlichkeiten der Galakten.
Grazi, würden die kühnsten Träume der Aranen vom Paradies übertreffen.«
Nach Grazi kletterte Orlan aus dem Planetenflugzeug, dann Romero und schließlich Lussin. Mary und Irina mußten gerufen werden, sie machten sich fein in ihren Schutzanzügen, bemühten sich, die Schlangenhaare, oder genauer: die Armhaare in bestimmter Weise zu ordnen.
»Mary«, sagte ich. »Du hast mehr Weibliches als normal Menschliches an dir. Wozu diese Raffinessen?
Die erste Begegnung mit den Beschleunigern läßt eure Haare zu Berge stehen, und das Gedränge auf den Straßen, das sicherlich nicht zu vermeiden ist, verwandelt die elegante Frisur in einen Pfahlzaun kratzender und packender Arme.«
Mich belustigte, daß sie, in Ermangelung anderer Greifwerkzeuge, die Haare mit Hilfe der Haare zu ordnen versuchten.
Mary erwiderte fröhlich: »Hast du dir eigentlich mal überlegt, daß das Weibliche das normal Menschliche inmitten alles. Menschlichen ist?«
Die Automaten verriegelten die Eingänge und umgaben das Schiff mit einem schützenden Kraftzaun. In geschlossener Gruppe liefen wir durch den Wald zur Stadt.
Im Grunde genommen war keine Stadt vorhanden.
Es gab nur eine Kette von Hügeln mit Einstiegen zu Höhlen, in denen die Aranen hausten. Dort hatten sie auch Werkstätten und Räume für nächtliche Zusammenkünfte. Zwischen den Hügeln schlängelten sich festgestampfte Wege, die härter und glatter als vormals die irdischen Asphaltchausseen waren.
Aus den Einstiegen krochen unzählige Spinnenförmige und rannten hüpfend zu einem weiten Talkessel zwischen vier hohen Hügeln, dem hauptstädtischen Richtplatz Aranias. Wir schlössen uns dem Strom an.
Je näher wir dem Platz kamen, desto stärker wurden das Gedränge und die Erregung. Immer mehr Körper schwangen sich wild empor, immer mehr Armhaare wurden begeistert geschwenkt, immer heller flimmerten die Funken, die sich von den elektrisierten Köpfen lösten, immer lauter wurden der Lärm, das Gezeter, das Piepsen und das Knattern der Entladungen. Unseren Erkundungstrupp beachtete niemand. In den Schutzanzügen, die uns das Aussehen von Aranen verliehen, fielen wir nicht auf.
Das auf dem Platz errichtete Schafott hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit den Elektroofen der Menschen von einst.
»Gleich wird eine Gruppe von Verwirklichern des Endes erscheinen«, signalisierte Oan, nachdem wir ein Plätzchen in der Nähe des Schafotts gefunden hatten. »Sie werden von Hütern des Endes eskortiert, Beschleunigern, die stärker als die anderen mit Elektrizität aufgeladen sind. Die Beschleuniger haben alle Einstiege zum Vater Akkumulator unter Kontrolle, ihre Hüter sind wirkungsvoller als unsere Hüter ausgerüstet. Deshalb tragen wir bei Zusammenstößen nie den Sieg davon. Wer sich des Wohlwollens des Vaters Akkumulator erfreut, hat die Macht.«
Die verurteilten Verwirklicher des Endes ließen auf sich warten. Unsere Aufmerksamkeit fesselte ein Arane, der sich über die anderen erhoben hatte. Genau wie Oor bei der nächtlichen Zusammenkunft, dienten auch ihm Aranen als Postament, gleich vier an der Zahl. Drei stützten mit ihren kräftigen Armhaaren den auf dem Rücken liegenden vierten, und auf dessen ausgestreckten Beinen tänzelte der uns interessierende Arane.
»Uoch, der Oberste Beschleuniger des Endes, der große Verwirklichet, sagte Oan angewidert. »Wenn ihr diese von allen Beschleunigern angebetete Vogelscheuche vernichten würdet, wäre der Kampf leichter.«
Uoch funkelte von dem zweigeschossigen Postament: »Preist die Grausamen Götter! Verwirklichen wir das Ende!«
Millionenfach sprühte das Antwortgeschrei: »Verwirklichen wir es! Verwirklichen wir es! Ruhm den Grausamen Göttern!«
Aus dem oberen Einstieg des Hügels hinter dem Obersten Beschleuniger kam eine Gruppe Verwirklicher. Sie stiegen, je vier in einer Reihe, herab, von aufgeregt hüpfenden Hütern flankiert, Wolken von Funken sprühten in der staubigen Luft, der Kopf jedes Begleitpostens glich einem lodernden Feuer, soviel Entladungen brachen hervor. Die Menge jubelte, zuckte wie ein gigantischer Körper, der aus Tausenden von kleineren Körpern besteht.
»Verwirklichen! Verwirklichen!« wurde hysterisch geschrien.
Als die Kolonne den Platz erreicht hatte, schnellte aus den Einstiegen des Nachbarhügels eine Funkengarbe, und eine Abteilung Verwerfer stürzte sich au) den Konvoi. Der fanatische Jubel schlug in Kampfeswut um. Verbissen wehrten die Hüter die Angreifer ab, von der Menge unterstützt. In der Kolonne der Verwirklicher fehlte es ebenfalls an Einmütigkeit. Nur wenige suchten das Weite, die meisten widersetzten sich den Befreiern. Einer der Verdammten riß sich aus den biegsamen Armhaaren der Verwerfer los und jammerte: »Ich will das Ende! Die Verwirklichung!
Die Verwirklichung!«
Die Kräfte waren, wie Oan vorausgesagt hatte, ungleich. Wenn diesem und jenem Verdammten auch die Flucht gelang, so wurde dafür die Kolonne mit gefangenen Verwerfern reichlich aufgefüllt. An uns jagte ein Flüchtling vorbei, von Begleitposten verfolgt und entschlüpfte unter auffliegenden Körpern. Da er griffen die Verfolger einen anderen. Der funkelte verzweifelt: »Laßt mich! Ich bin nicht zur Verwirklichung bestimmt! Ich bin nicht bereit!« Niemand nahm Notiz von seinen Ausflüchten.
Oan sagte etwas zu mir. Ich verstand ihn nicht, das Schauspiel des allgemeinen Handgemenges hielt mich in Bann. Als ich zu mir kam und Beschlüsse fassen konnte, war es zu spät. Die geschlagenen Verwerfer flohen. Obwohl seitdem viel Zeit verstrichen ist schmerzt mich die Erinnerung an meine Begriffsstutzigkeit unvermindert.
Der Oberste Beschleuniger des Endes hüpfte wie von Sinnen auf seinem lebendigen zweigeschossigen Postament und heulte wehmütig: »Verwirklichen wir das Ende! Verwirklichen wir das Ende!«
Wieder antwortete ihm jauchzendes Gebrüll; Verwirklichen wir es! Verwirklichen wir es!«
»Beschleunigen wir das Ende! Beschleunigen wir das Ende!« kreischte Uoch.
»Beschleunigen wir es! Beschleunigen Wir es!« schrie die Menge.
»Preisen wir den Vater! Bitten wir die Mutter um Mitleid!«
»Preisen wir! Bitten wir um Mitleid!«
»Möge die Mutter nicht zürnen’«
»Möge sie nicht zürnen!«
Uochs Haare stellten sich auf und verflochten sich wie in einem Händedruck. Die Hüter packten einen Verdammten und schleuderten ihn in den Ofen.
Wir wissen jetzt, daß der Körper des Verwirklichers zwei Elektroden schloß. Über dem Schafott schoß die Flamme einer Entladung auf, weithin schallte schweres Krachen. Das Stöhnen des Opfers ging in dem Donner einer Explosion und dem verzückten Gebrüll der Menge unter. Heiße Asche regnete herab, fein wie Mehl, die Asche eines verbrannten Wesens!
»Das war doch ein Lebewesen, Eli! Das war doch ein Lebewesen!« stöhnte Lussin.
Zum zweiten Mal verflocht Uoch die Armhaare, und das zweite Opfer flog in den Ofen.