»Alles geht gut, Vagabund«, sagte ich.
»Zu gut, um gut zu sein«, erwiderte der Drachen.
»Mir ist das unverständlich, nicht gut, weil es zu gut ist. Verstehst du das, Mizar?« Ich streichelte den Hund. »Zwar hat dein Lehrer den Kurs Integralrechnung mit dir nun nicht beendet, aber er versicherte stets, daß du mit der Logik besser zupacken könntest als mit den Zähnen und daß du außerdem Talent zu einem echten Realisten hättest. Wir Menschen haben Angst vor Phantomen, du ignorierst sie verächtlich, denn sie gleichen nur den Lebenden, ohne die Wärme und den Geruch eines lebenden Körpers zu haben, nicht wahr? Widerlege den Drachen, Mizar!
Vagabund ist dem Skeptizismus verfallen.«
»Alle meine Gedanken gelten Lussin. Nach eurer Art vermag ich nicht mehr zu urteilen«, knurrte Mizar traurig.
»Lieber Admiral, grundlos greifen Sie unseren verehrten Freund Vagabund an. Seine Argumentation verdient beachtet zu werden. Unser scharfsinniger Freund denkt sich in die Grausamen Götter hinein, die es vielleicht gar nicht gibt, und erwägt, wie er an ihrer Stelle handeln würde, obwohl sie, ich wiederhole es, möglicherweise gar nicht handeln. Und es erweist sich, daß ihre Inaktivität in diesem konkreten Falle stärkste Aktivität ist. Er würde das säubernde Sternenflugzeug auf keinen Fall sofort angreifen, sondern es sich zunächst einmal genau ansehen und klären, welche Ziele und welche physischen Möglichkeiten es hat.«
Ich entgegnete: »Sie urteilen, als wären die Grausamen Götter eine Realität. Aber das muß erst bewiesen werden. Der Glaube der Aranen bezeugt nicht viel.
Sie glaubten an die Existenz der Mutter Blitzspeicherin. Als wir einen automatischen Entlader aufstellten, war es mit der unheilvollen Mutter aus und vorbei.
Sie war nur eine Fiktion gewesen, nicht einmal ein Trugbild. Die Menschen, du weißt das nicht, Vagabund, glaubten, mächtige höhere Wesen bevölkerten die Erde: Zeus, Jehova, Wotan, Odin, Ormuzd, Christus, Allah, Vitzliputzli, Baal, Wischnu, Krischna. Sie sahen sie, hielten Zwiesprache mit ihnen, empfingen von ihnen strenge Belehrungen und wertvolle Hinweise, richteten nach ihren Befehlen das Leben aus, doch es gab sie nicht. Sie waren weniger real als unsere Phantome, die doch wenigstens ein stoffliches Element an sich haben. Die Götter jedoch waren Wörter, Traum, Phantasie! Und ich sage dir, Vagabund, das war bei weitem nicht die phantastischste der menschlichen Phantasien.« So entspann sich eins der üblichen Gespräche über die Grausamen Herrscher der Untergehenden Welten. Auf allen Sternenflugzeugen wurden analoge Unterhaltungen geführt.
Romero und ich gingen in den Observationssaal.
Die »Rammbock« ließ sich vortrefflich beobachten.
Elegant war ihr ungestümer Flug im gelben Staub, der den Dreifachstern umhüllte, der von ihr geschaffene saubere Raum glich einem Tunnel, der sich bewegte und unaufhörlich erweiterte. Romero bemerkte als erster, daß mit der »Rammbock« etwas nicht stimmte, die Schiffsmaschine meldete es eine Sekunde später.
Das Sternenflugzeug warf sich plötzlich hin und her, einer Eidechse ähnlich, der man den Kopf abgerissen hat – der Körper windet sich noch krampfhaft, scheint voller Energie. Dann erstarb es. Die Annihilatoren hörten auf, Staub zu schöpfen, die sich erweiternden Kreise verwandelten sich in eine tote Keplersche Ellipse. Das war kein mächtiges kosmisches Schiff mehr, das die Struktur des Raums beliebig veränderte. Das war ein Gefangener des Raums, ein Asteroid, ein lebloses kosmisches Stück Materie, ein winziger Planet, urteilt man nach den Maßstäben des Kosmos.
Oleg rief mich zu sich. Auf der »Rammbock« streikten nicht nur die Annihilatoren, sondern auch die Nachrichtengeräte. Sie reagierten nicht auf die Rufzeichen. Dennoch setzte ihr denkendes Zentrum die Arbeit fort, ihre Schiffsmaschine generierte schwache Signale, die jedoch so chaotisch waren, daß sie nicht entschlüsselt werden konnten.
»Wir müssen einen Schlepper hinschicken«, sagte Oleg düster. »Aber wie kommen wir in die ,Rammbock‘ hinein? Äußerlich wirkt sie unbeschädigt, man wird Löcher in den Rumpf schneiden müssen, falls wir das Tor nicht öffnen können.«
Die »Widder« war der »Rammbock« am nächsten.
Oleg befahl Petri, das Schiff, das keine Fahrt mehr machte, zu holen. Bald darauf näherten sich beide der »Steinbock«. Die »Rammbock«, die sich in ein Stück kosmischen Stoffes verwandelt hatte, betrug sich entsprechendgehorsam bewegte sie sich in den Zangen der bugsierenden Felder, fügte sich all ihren Impulsen. Wäre sie kleiner gewesen, hätten wir sie auf den Anlegeplatz gebracht. So wurde eine Reparaturkabine an ihr befestigt, und man schnitt einen Einstieg in den Rumpf. Petri selbst schaffte die demontierte Schiffsmaschine auf die »Steinbock«, allem Anschein nach war sie unversehrt, kein einziger Kontakt war entzwei, nirgends hatte sie eine Schramme, und das Herz der Maschine, ein großer Neptunian, funkelte und glänzte so tiefgrün wie vorher. Ein prächtiger Kristall, einer der besten, die ich je sah.
»Die Schiffsmaschine funktioniert«, sagte Petri.
»Sie plappert aber Unsinn, redet ins Blaue hinein, quatscht… Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll…«
Die Schiffsmaschine wurde auf einen Prüfstand montiert. Ellon und Irina kontrollierten ihr Gehirn.
Ich stand abseits, um nicht zu stören. Ich erwähnte schon, daß Ellon schwer in Erstaunen zu versetzen ist, und wenn es doch einmal geschieht, dann tut er alles, um es zu verbergen. Diesmal versuchte er es gar nicht.
»Admiral, ich bin überrascht«, sagte er. »Die Felder, die die Schiffsmaschine vor äußeren Impulsen schützen, sind nicht durchschlagen, nicht deformiert, nicht einmal angekratzt. Sie ist von selbst kaputtgegangen. Die Störungen haben sich innerhalb der Schaltung ergeben, innerhalb, Admiral, äußere Kräfte schließe ich aus. Aber auch innerhalb sind keine Schäden festzustellen. So etwas Merkwürdiges ist mir noch nie begegnet. Ich werde jedes Schaltungsteil einzeln prüfen.«
»Ja, tun Sie das«, sagte ich und ging zu dem Drachen. Vagabund vertrieb sich mit Mizar die Zeit. Er brannte vor Verlangen, Neuigkeiten zu erfahren.
»Vagabund«, sagte ich, »du kennst die Natur des Raumes besser als wir. Hör aufmerksam zu. Auf der , Rammbock‘ ist die Schiffsmaschine ausgefallen. Weder äußere Kräfte haben auf sie eingewirkt noch innere. Mit anderen Worten: Im Raum, den sie zusammen mit dem Schiff durcheilte, ist nichts geschehen.
Verstehst du, Vagabund? Es kann doch nicht der Raum selbst auf das Schiffsgehirn eingewirkt haben?
Es kann doch wohl nicht der stets passive Raum, der Träger von Feldern, Wellen und Teilchen, plötzlich aktiv geworden sein?«
»Deine Frage vermag ich nicht zu beantworten«, bekannte der Drachen. »Ich hatte nur mit dem passiven Raum zu tun, der sich meinem Willen fügte. Ich rollte ihn zusammen und bog ihn gerade, ich verdichtete und verdünnte ihn. Er ist fähig, eigene Wellen zu erzeugen, die ihr Raumwellen nennt; man kann ihn in stoffliche Materie verwandeln, die sich in Raum umbilden läßt. So weit, so gut. Und dennoch ist der Raum passiv. Er kann nicht anders auf die Körper einwirken als mittels der in ihm entstehenden Kräfte.«
»Das ist auch meine Meinung. Und das ist wichtig für die Zukunft. Wir wollen nun mit Oan beraten.
Der zwölfbeinige Denker ist tiefer als wir in die Geheimnisse der hiesigen Welt eingedrungen, mag er uns aufklären.«
Oan erschien mit Orlan und Grazi. Der Demiurg und der Galakt hatten ebenfalls das Bedürfnis, sich mit dem Aranen zu beraten. Ehe ich meine erste Frage gestellt hatte, kamen Ellon und Oleg. Ellon zeigte das Diagramm der Kontrollen, denen die Schiffsmaschine unterzogen worden war.
»Admiral, ich verbürge mich, daß du so etwas noch nicht gesehen hast! Die Schiffsmaschine der ,Rammbock‘ verwechselt die Handlungsfolge. Sie ist nicht physikalisch, sondern logisch defekt. Sie vertauscht Ursache und Folge. Die Folge rangiert bei ihr vor der Ursache. Überzeuge dich selbst.«