Ich zeigte den Film von Lussins Ende. Viele Male hatte ich mir den traurigen Streifen in der Einsamkeit angeschaut. Ständig hatte mich die Empfindung gequält, daß ich etwas nicht erfaßte, etwas Wichtiges nicht enträtselte. Und erst als ich nach der Katastrophe mit den Sternenflugzeugen zur »Steinbock« zurückgekehrt war, begriff ich, wo des Rätsels Lösung gesucht werden mußte.
»Ich habe einen Multikanal-Chronometer genommen, Freunde. Die einen Kanäle sind auf unsere individuellen Felder abgestimmt, die anderen suchen unbekannte Felder. Achtet auf den Bildschirm! Hier sind Lussin und der Hüter, der sich in ihn verkrallt hat. Kontrolliert die Konzentration eurer Felder auf Lussin hohe Gleichzeitigkeit, nicht wahr? Und hier wirft Lussin das Feld ab, mit dem er die angreifenden Beschleuniger zur Strecke brachte, und wird von dem Aranen, der ihn umklammert hat, zum Ofen gezerrt.
Hier ruft Lussin erneut das Schutzfeld. Kontrolliert die Zeit, Freunde! Lussin ruft das rettende Feld, eine zehntel Sekunde bevor sich die Ofenkontakte schließen. Diese zehntel Sekunde hätte zur Rettung vollauf genügt! Aber das Feld erscheint nicht, da, das bleibt aus! Es ist durch ein fremdes Feld blockiert, ein unerwartetes Feld, unsere Geräte haben es nicht gepeilt, aber es ist vorhanden, es hat unsere Felder gebremst. Der Moment, da das Feld gerufen wird, und der Moment, da seine Wirkung beginnt, sind durch eine zehntel Sekunde getrennt, ein unwahrscheinlich langes Intervall! Und daneben, beachten Sie auch dies, steht Oan, genau eine zehntel Sekunde, genau diese eine zehntel Sekunde steht er regungslos da, und dann macht er eine Bewegung zur Seite, und mit der Genauigkeit bis zu einer Mikrosekunde fallt seine Bewegung mit dem Verschwinden des bremsenden Feldes zusammen. Wer, wenn nicht er, hat das bremsende Feld generiert, das Lussin zugrunde richtete?
Durch wen, wenn nicht durch ihn, wurde für eine zehntel Sekunde die unsichtbare Bremse betätigt?«
Herausfordernd musterte ich die Versammelten.
Grazi schüttelte den Kopf. »Eli, deine Erwägungen sind eindrucksvoll, entbehren jedoch direkter Beweise. Nicht einmal unsere großartigen Analysatoren haben Oans Gegenfeld entdeckt, aber nur das könnte als direkter Beweis dienen. Bedenke, daß kein einziger Arane fähig ist, Kraftfelder zu erzeugen.«
»Dann seht euch ein anderes Bild an! Unser auf Lussin konzentriertes Feld hat zugeschlagen, die Aranen wirbeln wie katapultiert über den Platz. Nur einer regt sich nicht wie eine gußeiserne Statue bei leichtem Wind. Und dieser einzige ist wieder – Oan!
Stellen Sie eine ganz einfache Rechnung an: Wieviel muß Oan wiegen, um so, ohne zu schwanken, im Kraftstrom zu verharren?«
»Mindestens hundertfünfzig Tonnen!« rief Olga.
»Hundertfünfzig Tonnen, Freunde! Doch Oan wiegt keine hundert Kilogramm! Ist das nicht überzeugend? Bleibt da noch Raum für Zweifel?«
Erneut trat eine Pause ein.
Dann sagte Romero vorsichtig: »Admiral, Sie zeigen uns, was Lussins Tod verursachte. Aber das Todbringende ist nicht immer der Mörder. Jedenfalls nicht im Sinne eines Verbrechens. Ich würde vorschlagen, mit Oan selbst zu sprechen.«
»Mit Lussins Mörder freundschaftlich sprechen, Pawel? Ihn freundschaftlich befragen?« Ich war empört.
»Wieso freundschaftlich? Wieso befragen? In alten Zeiten gab es für solche Gespräche einen sachlichen Terminus-Verhör. Es fanden hochnotpeinliche und einfache Verhöre statt. Gut wäre es, Oan hochnotpeinlich zu verhören. Und Sie sollten die Rolle eines Untersuchungsführers oder Staatsanwalts übernehmen, während wir, wie bei den damaligen Gerichtsverhandlungen, als Richter, Geschworene, Advokaten sowie auch als Zeugen und Zuschauer agieren.«
»Merkwürdige Bräuche waren das früher bei Ihnen«, sagte Grazi. »Befragungen und Verhöre, hochnotpeinlich und einfach, Richter, Geschworene, Advokaten, Zeugen, Zuschauer… Sicherlich hatte man eine Vorliebe für Gerichtsveranstaltungen, eine Art Theater wahrscheinlich, für das sich ihre Vorfahren wohl ebenfalls begeisterten?«
»Nun, Theater war das nicht, was die Richter und die Staatsanwälte machten«, versicherte Romero.
»Aber die Zuschauer waren auch in den Theatern anzutreffen, besonders dann, wenn die Schauspieler Verbrecher und Staatsanwälte spielten. Das war stets äußerst spannend.«
Romero hätte sich gewiß noch länger über die alten Bräuche ausgelassen, wenn Oleg nicht wieder auf unser Thema zu sprechen gekommen wäre. Gegen ein Verhör Oans konnte ich nichts einwenden. So wurde es für den nächsten Tag angesetzt. Der ungeduldige Kamagin wollte den Aranen unverzüglich rufen, aber dem stimmte ich nicht zu. Wir mußten uns nicht nur psychologisch, sondern auch technisch vorbereiten.
»Und nun zu dem Strahl, der die ,Stier‘ ereilte«, sagte Oleg.
Über den Strahl gab es nichts zu reden, da wir über ihn nichts wußten. Ich wiederholte, was ich schon Olga erklärt hatte: Die Ramiren hatten Krieg angefangen, der Strahl war ihre Vernichtungswaffe, mit der sie auch Allans Geschwader ausgelöscht hatten. Olga bemerkte, daß die unbekannten Gegner die Stärke ihrer Waffe, sofern es sich um eine Waffe handelte, meisterhaft variierten. Die Besatzungen des ersten Geschwaders hatten den Tod gefunden, die Sternenflugzeuge aber waren zur Basis zurückgekehrt, kein einziger der Automaten war von dem programmierten Kurs abgewichen. Mit der »Stier« dagegen war man schonungslos verfahren, sie war völlig eingeäschert worden. Und den Schlag gegen den Roten hatte man noch schonungsloser geführt. Da war praktisch ein kosmisches Gestirn zugrunde gegangen, kein winziges Schiff nach galaktischen Maßstäben. Man mußte der Wahrheit ins Auge sehen – einer solchen Waffe waren wir schutzlos ausgeliefert.
»Ich will versuchen, beim morgigen Verhör etwas über den Strahl herauszubekommen«, versprach ich, »Wenn wir wissen, wie und wo man ihn generiert, können wir über Abwehrmittel nachdenken.«
»Bleib noch, Admiral«, bat mich Ellon, als ich den Raum nach der Konferenz verlassen wollte. Ich setzte mich, wie ich es meistens tat, auf eine Tatze des Drachens. Ellon sagte, und er verzerrte beängstigend den Mund dabei: »Du hast mich überzeugt. Oan ist ein Abgesandter der Ramiren. Aber ist es nicht leichtsinnig, ihn offen zu verhören? Wenn Oan der ist, wofür wir ihn halten, beantwortet er das Verhör mit einem Gewaltakt gegen uns.«
»Warum hast du das vorhin nicht geäußert, Ellon?« Er verzerrte den Mund noch mehr. »Ich mag die großen Konferenzen nicht, auf die ihr Menschen so versessen seid. Außerdem habe ich einen persönlichen Grund, unter vier Augen mit dir zu reden. Ich nenne ihn dir dann. Bedenke, Admiral! Das Verhör kann einen neuen Überfall heraufbeschwören. Ich kenne die Todesangst nicht, die bei euch und den Galakten so stark ausgeprägt ist. Wir, die Demiurgen, sind in dieser Hinsicht vollkommener. Aber mir tut Irina leid… Auch du tust mir leid, Admiral.«
Der Spion der Ramiren konnte, wenn er sich entdeckt sah, mit einer Attacke antworten, die Maske fallenlassen, wie Romero den Übergang vom Spionieren zum Kämpfen nennen würde. Aber sollten wir auch weiterhin einen Verräter an Bord dulden? Ich klopfte dem Drachen die Tatze. »Vagabund, du allein hast geschwiegen auf der Konferenz. Was meinst du?«
»Ellon hat recht«, zischelte der Drachen und schielte mich mit den vorgewölbten grünlichorangefarbenen Augen an. »Ein Verhör ist gefährlich. Statt Oan in die Enge zu treiben, sollten wir ihm aus dem Wege gehen. Es wäre vernünftiger, auf das Verhör zu verzichten, Eli.«