Und dann setzte ich mich Oan gegenüber in den Sessel, sprach mit ihm, aber anders als mit Lussin. Du Mörder und Spion, sagte ich zu Oan, ich verstehe: Du hattest einen Auftrag, und du hast ihn ausgeführt, deine Herren können dir dankbar sein für die Informationen. Aber du flößtest deine Gedanken doch ungehindert unseren Gehirnen ein, hättest du nicht wenigstens andeuten können, daß Sprengannihilation nicht taugt, wohl aber schwelende Annihilation?
Warum hast du geschwiegen? Wolltest du die Vernichtung der Sternenflugzeuge, den Tod unserer Freunde? Wer bist du, ein Phantom, das ein reales Wesen kopiert? Ein Gespenst mit imponierendem, von hohem technischem Zivilisationsniveau zeugendem Stofflichkeitsgrad? Du hast dich rasch davongemacht, Oan, damit wir das Gespräch mit dir nicht zu Ende brachten! Schade, du hättest denen, die dich gesandt hatten, ausrichten können, daß die Menschen und ihre Sternenfreunde aus der verfluchten Ansammlung der Untergehenden Welten fortgehen, daß wir nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand wollen, daß es keinerlei Explosionen geben wird. Aber wir müssen den Leidenden helfen, müssen es einfach, das ist unsere Natur, und ihr habt euch damit abzufinden.
Ach, zu früh, zu früh bist du umgekommen, wieviel würde ich dir sagen, wenn du mich hörtest! Oft habe ich mich empört, war zornig, geriet in Wut, aber Haß, echten, brennenden, empfinde ich zum erstenmal gegen dich! Ich hasse dich, ich hasse dich!
So redete ich, aufgebracht, ich erinnere mich nicht, ob in Gedanken oder laut. Oan hing vor mir, die zwölf Beine von sich gestreckt, den Wanst vorgewölbt, das dreiäugige Gesicht erhoben. Die beiden unteren Augen waren geschlossen, das obere, unlängst noch böse stechende, war trüb, wie von weißem Star überzogen, und auf dem Kopf sträubten sich die Haare, die seltsamen Haare, fingerdick, halb Schlangen, halb Arme… Und in ihnen hatte sich ein purpurroter Funke verfangen, bevor er verglommen war…
Mary sagte an diesem Abend: »Das Geschwader ist über den Plan, schwelend zu annihilieren, informiert.
Ich will mich mit dir beraten, denn ich muß ja wohl ebenfalls meine Meinung äußern. Wo bist du gewesen, Eli?«
»Ich bin im Park spazierengegangen.«
»Und selbstverständlich hast du im Konservierungsraum gesessen?«
»Warum – selbstverständlich?«
»Manchmal habe ich Angst um dich, Eli. Du hast etwas Wildes an dir. Bist dem Totenkult verhaftet.« »Dem Totenkult? Das ist mir neu.«
»Hast du vergessen, daß du auf der Erde stundenlang im Pantheon saßest! Mich schlepptest du auch hin. Und im Saal der großen Vorfahren vergaßest du mich und blicktest die Statuen wie betend an.«
Ich lachte herzlich. »Ich ahnte nicht, daß das wie Beten aussah, sonst hätte ich mich anders verhalten.
Du hast recht. Ich habe große Ehrfurcht vor den Vorfahren. Leute, denen die Verwandtschaft gleichgültig ist, mag ich nicht. Und ich habe mich immer für Geschichte begeistert.«
Sie lächelte ironisch. »Für Geschichte begeistert?
In Romeros Augen bist du ein Ignorant in Geschichte, und ich gebe ihm recht. Selbst ich bin über unsere Vorfahren besser informiert als du. Nein, du hast dich, wenn du es wissen willst, ganz der Zukunft verschrieben. Körperlich bist du hier, aber in Gedanken weilst du irgendwo bei bevorstehenden Fahrten, Kämpfen, Verhandlungen, an noch nicht entdeckten Orten, auf noch nicht gebauten Schiffen. Manchmal fehlst du mir sehr, Eli! Denn ich bin stets hier und jetzt, du aber bist dort und dann. Und wenn dir plötzlich bewußt wird, daß es so nicht geht, rennst du zur Beisetzungsstätte, als bereutest du oder wolltest beichten.«
»Was willst du eigentlich von mir, Mary?«
»Ich will wissen, was dich zu den Toten zieht.«
Ich antwortete möglichst heiter: »Du hast selbst alles erklärt. Wegen der Reue und der Beichte gehe ich hin. Allerdings schweigen meine Beichtväter immer.
Wahrscheinlich akzeptieren sie meine Reue nicht.«
6
Das Geschwader verließ den Sternhaufen der Untergehenden Welten. Eine Zeitlang genossen wir den malerischen Blick auf den raumverglimmenden Planeten. Absichtlich sage ich »malerisch« und nicht »effektvoll«. Denn Effekte gab es nicht, weder eine blendende Flamme noch stiebende Protuberanzen, noch Gaswirbel. Der Planet leuchtete matt, und das war alles. Aber als wir ihn ein letztes Mal umkreisten, sahen wir eine Aureole rings um ihn. Das war ein Wölkchen neugeschaffenen Raumes, ein sich langsam ausweitendes Stückchen sauberen Himmels. Wir hatten getan, was wir konnten.
Der Planet verschwand bald hinter dem Heck unseres Sternenflugzeugs, selbst mit dem Vervielfacher war er nicht mehr zu finden. Doch vor meinem geistigen Auge sah ich ihn immer nochmatt leuchtend, in einer sich erweiternden, zarten Aureole kosmischer Reinheit.
Und dann wiederholten sich die bekannten Landschaften. Wir lösten uns aus der staubigen Ansammlung und gelangten in sauberen Raum, von Sternen übersät. Und vor uns dehnte sich, zum erstenmal nicht durch Nebel abgeschirmt, ein gigantischer Sternenbrand, der drohende Galaxiskern…
Die Mußestunden hatte ich früher vor den Sternenbildschirmen verbracht. Obwohl es auch jetzt genug zu beobachten gab, wandte ich mich ihnen nur hin und wieder zu. Immer mehr fesselte mich Ellons Labor, wo der Zeitkondensator konstruiert wurde.
Das war eine Kugel aus superfestem Plast, so etwas wie ein mittelgroßer Autoklav. Aber die auf sie gerichteten elektrischen Entlader, die von den Annihilatoren gespeist wurden, sowie die Wirbelröhren von den Gravitationsmechanismen ließen sofort erkennen, daß die Anlage kein Autoklav war. Sofern man selbstverständlich nicht auf die Analogie hinauswollte, daß in den Autoklaven etwas Stoffliches durchgekocht und gepreßt wird, während das hier mit der Zeit selbst geschah.
»Fertig, Admiral!« rief Ellon eines Tages aus. »Im Mittelpunkt dieses Kügelchens befindet sich ein winziges Stück Materie, dessen Umfang nicht größer als ein Wasserstoffatom ist. Aber dieses winzige Stück wiegt mehr als hunderttausend Tonnen!«
Ich entgegnete, daß die Theorie die Möglichkeit einer solchen Masseverdichtung negiere, wenn die Masse nicht ziemlich groß sei, ungefähr so wie drei oder vier unserer Sonnen.
»In diesem Kügelchen die Masse von drei Sonnen…« Seine Augen funkelten vor Wut. »Was sollen mir die Theorien der Menschen, Admiral? Mögen die Ramiren sie studieren, sie sind nicht weiter als ihr im Verstehen des Kollapses. Deshalb bemühen sie sich ja, sich der Energie der Kollapsare zur Transformierung ihrer Zeit zu bedienen. Doch wir transformieren die Zeit im Laboratorium, auf diesem winzigen Kollapsan da.« Er betonte den neuen Terminus. »Und wenn ich ihn einschalte, schleudern wir die Teilchen, die wir dort hineinspritzen, in die ferne Vergangenheit oder in die noch fernere Zukunft.«
»Und wir selbst folgen den Teilchen nicht nach?«
Verächtlich schaute er mich an. »Du verwechselst mich wohl mit den Grausamen Göttern? Ich bin kein solcher Halbgebildeter wie sie! Schöne Experimentatoren! Sie schoben sich wie einen Pfropfen in den Schmelztiegel der sich verdichtenden Zeit, flogen in die Zukunft, konnten sich auf deren Höhe nicht halten und kollerten wie ein Stein zurück! Weshalb habe ich deiner Meinung nach wohl die Gravitationsschnecke an den Kollapsan angeschlossen? Das Teilchen mit der transformierten Zeit fliegt in die Ferne hinaus, aber entdeckt wird es dort erst dann, wenn die vorgegebene Zeit anbricht, in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Der Flug in die Zukunft ist einfacher, und ich probiere ihn zuerst.«