»Das eben wurde befürchtet.«
»Na schön, ich mag Katzen nicht!« rief ich ärgerlich. »Und was ist deiner Meinung nach zu tun?«
»Zunächst, zwischen der Schiffsmaschine und der Stimme gibt es Diskrepanzen. Wenn das stimmt, dann ist es ernst.«
»Ich werde das sofort prüfen«, sagte ich.
Im Operativraum schritt Grazi die ringförmige Wand entlang. Gewissenhaft erfüllte er seine neuen Pflichten. Praktisch beschränkten sie sich einstweilen auf Gespräche mit der Stimme über alles und jedes auf der Welt.
»Stimme«, fragte ich, »wie steht’s um die Arbeit mit den denkenden Maschinen?«
»Beide sind zu langsam«, beklagte sie sich.
»Willst du sagen, daß du die Varianten schneller errechnest?«
»Ich bin nicht so dumm, Eli, das zu behaupten. Es ist unmöglich, schneller als die Schiffsmaschinen zu rechnen. Aber ich erklärte dir schon, daß ich nicht die Varianten durchgehe. Ich finde sofort die Antwort.«
»Ja, das sagtest du. Aber wie ist das möglich?«
»Die Varianten tauchen in mir alle zugleich auf. Ich brauche nur die richtige herauszugreifen. Die verworfenen werden mir nicht bewußt. Ich bewerte sie insgesamt, ohne die Ursachen und Folgen im einzelnen zu prüfen. Ehe die Schiffsmaschine alle Varianten errechnet hat, habe ich schon die Lösung parat. Das verwirrt ihre Arbeit ein bißchen, aber noch nie sind wir auf einen falschen Weg geraten.«
Ich wandte mich an Grazi. »Denkst du auch in fertigen Bewertungen, ohne die Varianten zu vergleichen?«
»Ich bemühe mich, Eli«, antwortete er erhaben.
Es war folglich keineswegs so, wie Ellon und Irma es sahen. Ich ging in den Kommandeursaal. Um Oshima nicht abzulenken, bat ich Oleg hinaus. Er führte mich in seine Wohnung. Sie besteht aus zwei kleinen Zimmern, die den Schiffskajüten von einst gleichen.
Ich war noch nie bei Oleg gewesen, wir waren uns immer nur in den Diensträumen begegnet. Um ein rundes Tischchen standen Sessel, an den Wänden hingen die Porträts berühmter Sternenfahrer, darunter auch meins. Ich betrachtete Andrés Bild. Es zeigte Olegs Vater mit himbeerfarbenem Haar. Der üppige, gleichsam lohende Schöpf umrahmte ein bleiches, feines Gesicht. Andrés Augen lachten. Trotz allem war er in seiner Jugend Oleg sehr ähnlich gewesen, nur die Lockenmode war vergangen.
»Ist es auf der Ora aufgenommen worden?« fragte ich. »Vor der Gefangennahme, Eli. Am Tag der Landung auf der Sigma, wo Vater den Unsichtbaren in die Hände fiel. Wera schickte dieses Foto meiner Mutter, als Olga, Leonid und du die Fahrt zum Perseus fortsetzten. Was wolltest du mir sagen, Eli?«
Ich erzählte von Ellons Forderungen, von Irinas Bitten. Oleg hörte gleichmütig zu und lächelte nur einmal, als ich erwähnte, daß ich Irinas Meinung nach alle unterdrückte. »Das scheint dich getroffen zu haben, Eli?«
»Es ist nicht gerade angenehm, wenn einem solche Beschuldigungen ins Gesicht geschleudert werden.«
»Mach dir nichts draus. Ich bin keiner von denen, die man zwingen kann, etwas gegen ihren Willen zu tun. Wenn ich mit dir einverstanden bin, dann nur deshalb, weil du recht hast. Das ist ja der Grund, weshalb ich darauf bestand, daß du an der Fahrt teilnimmst : um auf deine Ratschläge zu hören. Hier handelt es sich um Zusammenarbeit, nicht um Verlust der Selbständigkeit. Schade, daß Irina das nicht begreift.«
»Auch manches andere begreift sie nicht«, fügte ich hinzu. Oleg nickte. Ich sagte, daß es unvernünftig wäre, den Rückzug anzutreten. Die Stimme schaffe ein neues Schiffslenkungssystem, das effektiver als das in der Schiffsmaschine realisiert sei.
»Die Sache ist die, Oleg«, sagte ich, »daß die Konstrukteure nur eine Besonderheit des menschlichen Denkens für die denkenden Maschinen benutzen: die Fähigkeit, zu erwägen, die Fähigkeit, Schlußfolgerungen aus Ursachen zu ziehen, das heißt, eine logische Kette zu bauen. Jede Abzweigung der logischen Kette bietet eine Variante der Situationsbewertung. Die Schiffsmaschine vermehrt und vergleicht die Varianten, das ist ihre Aufgabe. Aber das Denken des Menschen erschöpft sich nicht darin. Und in schwierigen Situationen drohen große Unannehmlichkeiten, wenn maschinelles und menschliches Denken nicht übereinstimmen.«
Ich führte ein Beispiel an: Jeder weiß, was eine Mutter ist. Doch die Maschine braucht, um sich den ganzen Reichtum des Begriffs »Mutter« klarzumachen, Hunderttausende von Merkmalen und Fakten, deren Aufzählung allein Monate in Anspruch nehmen würde, ohne die aber ihre Einschätzung dem menschlichen Mutterbegriff nicht gleichkäme. Wir haben eine Stadt gesehen und rufen aus: »Wie schön!« Will die Maschine unsere Wahrnehmung genau nachvollziehen, so ist sie gezwungen, alle Gebäude aufzuzählen, alle Straßen, alle Bäume, alle Wolken über den Straßen, muß sie die architektonische Schönheit und die historische Bedeutung eines jeden Gebäudes beschreiben, angefangen mit den Ziegeln, der Farbe der Wände, den Überdachungen, dem Fundament und weiß der Teufel womit sonst noch, und dann wird die Schönheit, die sich uns augenblicklich erschließt, zum umständlichen Resultat zahlloser Vergleiche und Kongruenzen – zum Höhepunkt einer unermeßlichen Kette von Ursachen und Folgen.
»Du bist ein Maschinenstürmer, Eli!« sagte Oleg lächelnd. »Darüber, ob du recht hast, will ich nicht befinden. Aber du sprachst von möglichen großen Unannehmlichkeiten. Unannehmlichkeiten auf der Reise betreffen den Oberbefehlshaber unmittelbar.
Worauf spieltest du an?« »Nur darauf, daß jede beliebige Kette in jeder beliebigen Minute an jedem ihrer zahllosen Glieder reißen kann, so daß die ganze lange Rechnung absurd wird. Erinnere dich an die Havarie auf der ,Rammbock’. In einem bestimmten Augenblick wurden mehrere Folgen und Ursachen durcheinandergebracht.
Und die ganze logische Kette war zum Teufel. Die Schiffsmaschine begann falsche Lösungen zu liefern.
Nur gut, daß sie sich selbst abschaltete, als sie in der Sackgasse steckte. Sie hätte unter anderem beispielsweise auch den absurden Befehl geben können, sich zu sprengen oder die Annihilatoren auf die anderen Sternenflugzeuge zu richten.«
»Unsere Schiffsmaschinen sind mit einem guten System der Selbstkontrolle ausgestattet, Eli.«
»Ich spreche von Situationen, wo auch die Selbstkontrolle versagen kann.«
»Bist du sicher, daß mit der Stimme solche Unannehmlichkeiten unmöglich sind?«
»Sofern sie nicht plötzlich den Verstand verliert.
Sie denkt in ganzen Bildern. Sie erwägt und berechnet, aber das ist bei ihr nur eine Hilfsmethode. Selbstverständlich ist sie den Maschinen überlegen.«
»Ich stimme dir zu«, sagte Oleg in gleichförmigem Ton. »Nimm an, du hättest mich wieder untergekriegt und mir deinen Willen aufgezwungen. Schwierige Situationen wird es sicherlich geben.«
»Wer von uns sagt Ellon und Irina, daß ihre Bitte zum zweiten Mal abgelehnt wird?«
Oleg zögerte. »Übernimm du das lieber. Mir fällt es schwer, mit Irina zu sprechen. Sie ist ja ganz vernarrt in ihren Leiter.« »Aber das ist doch lächerlich! Unsere Sternenfreunde sind Freunde, nicht mehr. Und schließlich ist da das Hindernis der Körperstruktur! Liebe ist ein Gefühl nur für ein Individuum derselben Art. Hier handelt es sich höchstens um Kameradschaft. Irina verwechselt zwei unähnliche Gefühle.«
Oleg blickte zerstreut an mir vorbei. »Ich hörte, du habest dich einst in eine gewisse Viola, eine Schlange von der Wega, verliebt. Sind Schlangen etwa der gleichen Natur wie wir?«
»Eine jünglingshafte Leidenschaft, ich habe das längst vergessen. Viola und mich trennte alles, sehr wenig verband uns. Ich hatte das bald begriffen.«
»Irina wird das ebenfalls begreifen, aber ich bin nicht sicher, daß das schon bald sein wird.«
7
Wir flogen in den Kern hinein. Wie ruhig das klingt.