Manchmal hatte ich den Lindruck, als kämen die Sterne näher sie leuchteten heller, wurden größer. Dann sagte ich mir, daß wir selbst hei einer so ungeheuren Geschwindigkeit innerhalb weniger Stunden nicht weit kommen konnten. Im Kosmos sind die Maßstäbe relativer als im Alltagsleben Das Grandiose ist hier bescheiden.
21
Am achtundvierzigsten Tag unserer Reise sichteten wir die Ora. Der berühmte künstliche Planet bot sich im Vervielfacher als ein winziger Fleck dar.
Ein Tag nach dem anderen verstrich, doch er wurde nicht größer. So würde es bis zum Schluß unseres Fluges sein. Die Ora würde plötzlich groß werden, vorerst blieb sie ein Pünktchen im Raum. Dafür nahm der Aldebaran im Vervielfacher fast den halben Himmel ein. Von nah ist er nicht so schön wie aus der Ferne eine einfache Sonne, nichts Besonderes. Er blieb seitlich zurück.
Die sich verändernden Sternbilder lieferten uns den einzigen wahrnehmbaren Beweis, daß wir uns fortbewegten. Die Sternenwelt wurde unbekannt, und ihre Fremdheit nahm ständig zu. Nach dem Sirius setzte sich die feierlichkalte Wega in Bewegung, sie verließ das Sternbild Lyra und strebte dem Schlangenträger und dem Skorpion zu. Dann begann sich alles stürmisch zu vermengen, manche Sterne verschwanden, andere traten hervor, riesig leuchtete die Kapella auf, deutlicher zeichneten sich die Hyaden ab, heller flammte der Aldebaran wir jagten in ihre Richtung. Nur die Plejaden, ein kleiner Nebelfleck, ein strahlendes Wollknäuel, vergrößerten sich nicht, sie waren so fern, daß sich unsere Bewegung auf sie nicht auswirkte. Die Milchstraße aber, der gigantische Sternenfluß des Alls, der an seine Ufer brandende Weltenstrom, veränderte sich überhaupt nicht. Jahrelang könnten wir vielfach schneller als das Licht dahinjagen er würde, grandios und unzugänglich, immer derselbe bleiben.
Bald kündigte sich in dem Raum um die Ora Leben an. Wir näherten uns einem Knotenpunkt im Kosmos, einer Kreuzung von großen galaktischen Straßen. Olga schaltete die Tanew-Annihilatoren aus, wir benutzten nun wieder die Photonen.
Und dann begann die Ora zu wachsen, aus einem Punkt verwandelte sie sich in eine Erbse, aus einer Erbse wuchs sie zur Apfelsine. Zuerst schwebten die kleinen Schiffe zur Ora hinab, die »Raumfresser« beschloß das Geschwader. Von den Kraftfeldern des Planeten erfaßt, bewegten sich die Sternenflugzeuge nacheinander zu den vorgeschriebenen Plätzen. Das Landen ist nirgends so kompliziert wie auf der Ora, weil die Sternenflugzeuge unmittelbar auf die Oberfläche niedergehen.
Das Anlegefeld preßte uns wie mit Zangen zusammen. Unser gigantisches Schiff wurde auf den Planeten gesaugt.
Das Kosmodrom für die großen Schiffe erinnerte an ein Gebirge ringsum ragten die Sternenflugzeuge, die vor uns gelandet waren. Die »Raumfresser« schaukelte ein wenig im Anlegefeld, während sie sich langsam ihrem Platz näherte. Wir schlugen einen Bogen um die unbewegliche künstliche Sonne, sie hatte ihre Sphäre abgeblendet, damit wir ihren Strahlen nicht zu nahe kamen. Vor uns erstreckte sich, so weit das Auge reichte, die Oberfläche des künstlichen Planelen das imposanteste der von menschlichem Geist und menschlicher Hand geschaffenen Wunder!
Das Schiff erstarb, nachdem es auf dem Bremsfeld fest aufgesetzt hatte, und seinem Tor näherte sich geschwind ein halb durchsichtiges Fallreep aus Kraftlinien. Unsichtbare Hände schleuderten uns energisch auseinander, ein paar Sekunden hingen wir in der Luft, als hätte man uns beim Schlafittchen gepackt, dann ließ man uns sanft hinunter.
22
Wir waren auf der Ora! Als Kinder träumten wir von ihr. Jetzt, im Jahr 563, wären wir imstande gewesen, grandiosere Anlagen zu errichten.
Unsere Urgroßväter hatten sie ersonnen, unsere Väter erbaut. Sie war die erste große kosmische Neubildung. Hundertvier Jahre hatte die Menschheit in Gedanken an sie gelebt, für sie gearbeitet, von ihr geträumt und gesungen, und fast die Hälfte dieses Jahrhunderts war erforderlich gewesen, sie zu planen. Planeten, kugelförmige oder formlose, hat die Welt auch ohne die Ora genug. Doch nur wenige eignen sich für Leben, und auf diesen entwickelt sich nur das spezielle Leben, das von den jeweiligen Bedingungen begünstigt wird. Die Ora ist als größtes galaktisches Hotel gedacht, als Ort, der für alle Lebensformen taugt, sie ist vielgestaltig wie das Leben. Kein natürlicher Planet, wie gut er auch ausgestattet wäre, würde diesem Ziel genügen.
Die Ora ist ein Mechanismus, der die Ausmaße eines Planeten angenommen hat. Man hatte sie deshalb so weit von der Erde plaziert, weil sie unseren Sternennachbarn möglichst nahe sein sollte.
Die Ora ist im geometrischen Zentrum, im Mittelpunkt unseres Sternenbezirks errichtet worden.
Die Ora ist auch der erste Himmelskörper in der Geschichte der Menschheit, der aus Leere geschaffen wurde, aus dem Nichts, gebraucht man die Terminologie der Alten. Viele Jahre lang zerschnitt und verdichtete eine Flottille von Sternenpflügen den Raum in diesem Weltallbereich, und der kosmische Staub ballte sich zwischen dem Stier und den Hyaden zu einem neuen Staubnebel Da wurde wahrhaftig Staub aufgewirbelt! Der Staub wurde gefestigt, zu Metallen und Mineralien, zu Gasen und Wasser formiert, von den Werkschlünden der Schiffe aufgesaugt und als fertiges Material ausgestoßen. Ebenen breiteten sich aus, Hügel wuchsen auf, Gebäude wurden gefügt.
Auch der Form nach ist die Ora ungewöhnlich Die Konstrukteure verzichteten auf die Kugelform, da eine Kugel viel Überflüssiges an sich hat praktisch wird nur ihre Oberfläche genutzt. Im Herstellungsprozeß war sie zunächst eine Kugel, die aber wie Teig ausgerollt und als gigantische Platte im Kosmos hingebreitet wurde. Jetzt gleicht die Ora einer riesigen Schüssel. Die Bodendecke ist einige Meter dick, darunter befinden sich Dutzende Stockwerke Maschinen, die für ihre Abschnitte die gebotenen Existenzbedingungen schaffen. Man konnte es auch so ausdrücken: Die Ora ist ein mit Mechanismen vollgefüllter Kasten. Der Deckel ist die Wohnoberfläche des Planeten.
Einzigartig ist die Sonne der Ora, etwas Ähnliches ist bisher nirgends anzutreffen. Unbeweglich schwebt sie über dem Planetenzentrum, steht immerfort im Zenit. Von einer rotierenden Sonne.
ähnlich denen, die wir auf dem Pluto aufgelassen haben, wurde Abstand genommen, weil die Ora eine Fläche und keine Kugel ist. Dennoch wurde derart scharfsinnig ein richtiger Wechsel von Tag und Nacht, Morgen- und Abenddämmerung eingerichtet, daß solche Sonnenkonstruktionen sicherlich auch auf anderen Planeten bald erscheinen werden. Die Sonne der Ora ist regulierbar, ihre Intensität und ihre Temperatur ändern sich planmäßig. Am Morgen ist sie matt, später entflammt sie, steigert sich zur Weißglut, ermattet wieder, färbt sich rötlich und erlischt schließlich. Nach einer gewissen Zeit entbrennt sie erneut, diesmal in kaltem Mondlicht, wobei nicht ihre ganze Scheibe leuchtet, sondern nur Teile gemäß dem Plan für die nächtlichen Phasen. Ein vollständiger Zyklus von Aktivitätsveränderungen umfaßt vierundzwanzig irdische Stunden damit die Menschen nicht auf Gewohnheiten zu verzichten brauchen, die ihnen seit ihrer Kindheit selbstverständlich sind.
Und ein Letztes die Luft! Nirgends gibt es solche Luft wie auf der Ora. Die Atmosphäre ist der irdischen nachgeschaffen worden, doch auf Mütterchen Erde habe ich nie so leicht, so freudig, so froh geatmet. Das Atmen auf der Ora ist eine Lust. Ich bin überzeugt, daß die Luft dort nicht nur Aromas enthält, sondern auch nahrhafte Kalorien. Im Altertum scherzte man: »Von Luft und Liebe leben.« Irgendwann einmal werde ich versuchen, mich eine Zeitlang allein von der hiesigen Luft zu ernähren.