Ich verstummte, ruhte mich aus. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich den Pseudoaranen zum Leben erwecken und dem Wiederaufgelebten in das unheilvolle obere Auge leidenschaftliche Anklagen hätte schleudern können. Regungslos hing er vor mir. Und alle drei Augen waren tot – die unteren, normalen, die nur zu schauen vermocht hatten, und das obere, drohende, das fremde Gedanken gelesen hatte… Oan hörte nicht, antwortete nicht. Er war tot. Er hatte sich der Strafe entzogen. Es war ihm gelungen, aus dem Leben zu gehen. Aber nicht aus der Welt! Ewig würde die Leiche des Verräters in dem durchsichtigen Verschlag hängen!
Als ich mich erholt hatte, fuhr ich fort: »Nein, in einem habe ich unrecht, ihr konntet nichts wissen von der entsetzlichen Rolle der Gravitation in diesem siedenden Kessel aus Sternen, den wir Kern nennen, und von der rettenden Rolle der hier so leicht reißenden Zeit. Ihr wolltet euch der Kunst der Zeitenkrümmung bemächtigen. Bist du nicht deshalb in den Abgrund des Kollapsars getaucht? Dummkopf! Du wußtest nichts Besseres, als dich in die Hölle zu stürzen, um dich der Höllenkräfte zu bemächtigen, so stelltest du es dir wahrscheinlich vor. Da ist er, der Kollapsar, der sich dir nicht fügte, er ist auf unserem Prüfstand! Alles, was du in der Implosion des Sterns suchtest, finden wir im Laboratorium. Wir haben noch keine Gewalt über die Makrozeit der Körper und Gestirne, aber die atomare Zeit steht uns bereits zu Gebote. Wir zerreißen sie, krümmen sie, verzögern sie, beschleunigen sie wie es uns gefällt! Wir verlassen den Kern, Verräter. Aber wir kehren zurück, und dann, ihr Grausamen, wird euch schwerlich der Beweis gelingen, daß ihr so stark wie grausam seid!«
10
Und dann geschah, was, wie ich jetzt begreife, unvermeidlich geschehen mußte.
Die Stimme fühlte vortrefflich den Raum: die Schiffsmaschinen berechneten fehlerlos die Massenansammlungen und zeigten, wie man große Sternenhindernisse vermeiden und wild daherrasenden Herumtreibern ausweichen konnte; Oshima lavierte artistisch zwischen den Ansammlungen und den Einzelsternen ; ihm halfen Olga und Kamagin. Keiner von beiden stand ihm in der Erfahrung und der vorsichtigen Kühnheit nach. Alles war vorbereitet, alles in Betracht gezogen.
Alles, nur eins nicht. Wir waren nicht die einzige vernünftige Kraft im Kern. Und wir waren nicht einmal in dem winzigen Raum die Herren, den wir zu durchbrechen beabsichtigten. Wir hatten uns im Wichtigsten geirrt, vorschnell hatten wir uns eingeredet, man brauche nur ein blindes Naturelement zu überwinden. Feindliche Vernunft wirkte uns entgegen! Wir hatten den Kampf aufgenommen, da wir hofften, daß von unseren geheimnisvollen Feinden keine Spur vorhanden sei. Doch es gab sie, und sie boten gegen unsere Macht die ihre auf. Macht brach Macht.
Die Stimme informierte, daß wir uns einem passiven Raumabschnitt näherten. Ringsum wirbelten in dem gleichen tollen Tanz die gleichen tollen Gestirne.
Ich selbst hätte diesen Bezirk nie zum Durchbruch gewählt. Die Schiffsmaschine zeigte ebenfalls keine Veränderungen im Kosmos an. Aber die Schiffsmaschine mit ihren Analysatoren, wir wußten das schon, nahm nicht wahr, was die Stimme spielerisch aus den Daten fischte. Oleg befahl, die »Schlangenträger« in den Konus des annihilierenden Schlages zu bringen.
Im Kommandeursaal saßen Oleg und die drei Kapitäne. Auch für mich stand ein Sessel dort, aber ich war nicht hingegangen. Im Observationssaal drängten sich die Besatzungen der drei Sternenflugzeuge, soweit sie wachfrei hatten, bei den großen Bildschirmen.
Mary, Romero und ich hatten uns vor dem kleinen Bildschirm in meinem Zimmer niedergelassen. Und wir wurden Zeugen der neuen Katastrophe.
Die »Schlangenträger« flog vor der »Steinbock«.
Kamagin selbst lenkte von der »Steinbock« aus sein Sternenflugzeug dem Schlag der Annihilatoren des Flaggschiffes entgegen. Seine raschen Befehle wurden in sämtliche Räume übertragen, wir hörten: »Ich schalte die Blockierung der Materieannihilatoren ab.
Ziel im Kegel nullnulldrei. Ich zähle: zehn, neun, acht, sieben…« In diesem Augenblick stach aus dem trüben sternesiedenden Nebel ein Strahl, wie er die »Stier« ereilt hatte. Er fuhr an der »Steinbock« vorüber und schlug in die »Schlangenträger«. Wir sahen ein Bild der Schiffsvernichtung, das wir schon kannten. Die allgemeine Verblüffung wurde von Kamagins gellendem Ruf unterbrochen: »Die Schiffsmaschine ist blockiert! Stimme, Stimme, hast du Verbindung zu den Vollzugsmechanismen? Stimme, antworte!«
Die Stimme antwortete nicht. Romero stammelte totenblaß: »Das sind die Ramiren, Admiral! Sie sind im Kern! Sie haben uns gefangen!« Ich konnte, niedergeschmettert, den Blick nicht vom Bildschirm lösen. Die Schiffsmaschine arbeitete nicht, die Annihilatoren waren blockiert, irgendeine Kraft wendete das Sternenflugzeug und brachte es auf den alten Kurs, zum Kern, wo seine wilden Sterne wallten. Düster sagte ich: »Die Ramiren wissen alles über uns. Sie hätten auch die ,Steinbock‘ auslöschen können. Aber sie wollten mit uns spielen wie die Katze mit der Maus!«
Vierter Teil
- Die Jagd nach dem eigenen Schatten -
1
Bereits in den ersten Minuten nach der neuen Katastrophe traf mich die bittere Vermutung, welches der wahre Grund des Unglücks sein könne, wie ein Schlag. Doch diese Vermutung nahm mich noch nicht völlig in Anspruch. Das Schiff mußte gerettet werden, und es galt, den geheimen Ursachen des Mißgeschicks nachzugehen. Ich stürzte in den Kommandeursaal.
Die Kapitäne und Oleg lebten, nur waren sie nicht mehr Schiffskommandeure, sondern, wie wir alle, Passagiere einer unlenkbaren galaktischen Nußschale. Im Laboratorium fand ich Ellon und Irina verwirrt, aber unversehrt. Unversehrt war auch die Apparatur. Das Laboratorium konnte seine Forschungen fortsetzen, sobald es gelänge, die Energieversorgung in Gang zu bringen.
Ellon warf Oleg und mir zornig vor: »Ihr wolltet nicht hören, überstürztet euch! Dabei bestand keine Gefahr, solange wir nicht versuchten, unüberlegt zu fliehen.«
»Komm mit uns, Ellon!« befahl Oleg, und zu dritt eilten wir zur Stimme.
Die Stimme tönte schwach, doch vernehmlich. Es hatte sie schmerzhaft durchzuckt, als die Verbindung zur Schiffsmaschine abgeschaltet wurde. Die Feinde hatten einen Schlag gegen die Lenkung der Kampfmechanismen geführt, alles übrige leitete sich davon her.
»Das waren die Ramiren. Sie sind im Kern. Sie wollen uns nicht fortlassen. Wir sind ihre Gefangenen.«
Von Gefangennahme konnte sie entschiedener als jeder von uns sprechen. Denn sie wußte wohl am besten, was es heißt, kosmische Schiffe in Gefangene zu verwandeln. Grazi hatte ebenfalls gelitten. Als die Ramiren die Schiffsmaschine blockierten, verlor er das Bewußtsein und sank zu Boden. Von seiner erhabenen Gottähnlichkeit war wenig geblieben. Er, der Unsterbliche, hielt sich nach der Katastrophe weit schlechter auf den Beinen als wir Sterblichen. Überhaupt stehen die Galakten den Widrigkeiten des Lebens erstaunlich hilflos gegenüber. In ihren paradiesischen Städten haben sie vergessen, was Not und Entbehrungen sind.
»Wir müssen die Schiffsmaschine untersuchen«, sagte Oleg. Die Schiffsmaschine, äußerlich unbeschädigt, funktionierte nicht. Grazi, der uns begleitet hatte, betrachtete sie kummervoll, er konnte in keiner Weise helfen, und das verdroß ihn sicherlich nicht weniger als der Defekt der Maschine selbst. Wir schalteten sie von den Vollzugsmechanismen und den Analysatoren ab und trugen sie ins Laboratorium. Dort nahm sie, wie es uns in der ersten Freude schien, ihre Arbeit wieder auf. Aber das war eine trügerische Arbeit, die Schaltungen ließen die Signale durch, doch jenes Ganze, das sich Schiffsmaschine nannte, gab es nicht.