Mary schlief bereits. Leise zog ich mich aus und legte mich hin. Marys Schluchzen weckte mich. Sie saß auf dem Diwan und weinte, den Kopf in die Hände gestützt. Ich ging zu ihr, drehte ihr Gesicht zu mir.
»Was hast du, Mary? Was hast du?« fragte ich und küßte ihre nassen Wangen.
Sie schob mich zurück. »Du liebst mich nicht!« schluchzte sie.
»Mary! Was redest du da? Ich liebe dich nicht?
Ich?« In meiner Schlaftrunkenheit begriff ich nichts.
Wieder küßte ich sie.
Da riß sie sich los und stampfte mit dem Fuß auf.
»Rühr mich nicht an! Du liebst mich nicht! Und wenn du es wissen willst: Ich liebe dich auch nicht!«
Erst jetzt dämmerte mir, was geschah. Ich setzte mich in einen Sessel und sagte ruhig: »Also ich liebe dich nicht? Und du liebst mich nicht? Interessant!
Woraus schließt du das?«
»Du hast die Auskunftsmaschine über mich befragt!« stammelte sie. »Du erschrakst, weil wir so wenig übereinstimmten. Ich erschrak ebenfalls, dennoch dachte ich an dich und versuchte dir zu begegnen! Seit jenem Abend in Kairo hatte ich Sehnsucht nach dir, du aber flogst zur Ora, wolltest mich nicht einmal anschauen, und ich wollte mich doch entschuldigen wegen meiner Grobheit während des Konzerts und jenes Sturms in der Hauptstadt, es war für mich so wichtig, mich zu entschuldigen! Ich dachte ständig an dich, ich schaltete die Raumbildschirme nicht aus, um keine Übertragung von der Ora zu versäumen, denn ich hoffte unter den anderen auch dich da zu sehen. Dann verliebtest du dich in irgend so eine Schlange und hattest keine Lust, zur Erde zurückzukehren, flogst zum Perseus; dir war es gleichgültig, daß ich Nacht für Nacht weinte, als ich erfuhr, daß deine Schwester ohne dich wiedergekommen war. Pawel erzählte, wie leidenschaftlich du deine schöne Schlange anblicktest, wie du zu nächtlichen Stelldicheins zu ihr ranntest, er erzählte mir alles, doch ich antwortete, ich liebte dich trotzdem, obwohl ich dich schon haßte. Auch jetzt hasse ich dich! Du brauchst nicht zu kommen, ein gutes Wort kriegst du von mir nicht zu hören! Ich werde dich kalt und verächtlich anblicken, ja, ja, kalt und verächtlich! Warum schweigst du?«
Ich sagte sehr zärtlich: »Pawel hat dir nicht alles erzählt, Mary.«
»Doch, alles, alles!« unterbrach sie mich zornig.
Ich wiederholte beharrlich: »Nicht alles, Mary, glaub mir. Einfach deshalb nicht, weil er gar nicht alles wußte. Er konnte dir nicht sagen, daß ich mich in Kairo auf den ersten Blick, auf das erste Wort sofort und für immer in dich verliebt hatte. Er konnte dir auch nicht sagen, daß ich dich unerschütterlich liebte, nur liebte, mit allen Fasern liebte, obwohl du mir mal Grobheiten an den Kopf warfst, dich mal entschuldigen wolltest. Ja, Viola interessierte mich, aber dich liebte ich, allein dich, ganz dich, immer dich! Du beschimpftest mich in der Hauptstadt, und ich dachte:
Was für eine wunderbare Stimme sie hat! Du runzeltest die Brauen, und ich war entzückt. Niemals hatte ich schönere Brauen gesehen! Du funkeltest mich mit den Augen an, und ich sagte mir gerührt, daß niemand schönere Augen habe, nicht einmal gleich schöne! Du gingst verärgert weg, und ich bewunderte deine Figur, deinen Gang, wie du die Arme schwenktest, und ich war so glücklich, daß ich mich an deinem Anblick freuen konnte, daß mir diese Freude zuteil geworden war, dir nachzublicken, die du verärgert warst, die ich liebte, die grimmig die Arme schwenkte, so hübsch die Arme schwenkte, den linken ein bißchen mehr als den rechten… Genau so war es, und Pawel konnte es dir nicht erzählen, weil nur ich es wußte, nur ich, Mary!«
Wieder unterbrach sie mich. »Du sagtest: so war das! Du gestehst also, daß es jetzt nicht so ist.«
Ich fuhr mit derselben zärtlichen Hartnäckigkeit fort: »Ja, Mary, du hast recht, das war. Und nicht nur dies. Da war auch unsere Reise zum Perseus. Du erinnerst dich doch? Ach, was das für eine Reise war, Mary, welch wunderbare Hochzeitsreise! Wir trennten uns nie, einen nicht gemeinsam verbrachten Augenblick betrachteten wir als verloren. Erinnere dich, Mary, erinnere dich! Und ich liebte dich von neuem, und ich war stolz auf dich, und ich mußte dich immerfort anschauen, und ich war glücklich, daß du bei mir warst, daß du ich warst, daß das Beste in mir, das Edelste, das. Zärtlichste, das Teuerste, du warst!
Erinnere dich, Mary, ich bitte dich, erinnere dich, denn so war es!«
Sie stöhnte, preßte die Hände zusammen. »Ach, dieses entsetzliche ,war’! Du bist unbarmherzig, Eli, alles bei dir war nur, war!«
»Ja, Mary, du hast wieder recht, du hast immer recht, entsetzlich, entsetzlich ist dieses ,es war’! Und trotzdem, wieviel Gutes liegt darin! Denn in dem Guten, das war, ist auch unser Sohn gewesen, unser einziger Sohn, Aster, erinnere dich, denn auch er war, Mary, wir beide hatten einen Sohn, und er hieß Aster!«
Sie wiederholte leise: »Er hieß Aster…«
»Na siehst du, Mary, du erinnerst dich, wie gut, daß du dich erinnerst, ich danke dir dafür, du meine Einzige, du meine unendliche Liebe! Du erinnerst dich seiner, ich bin dir dankbar dafür. Er ist tot, Mary, er hatte einen schrecklichen Tod, die verfluchte Schwere des Dritten Planeten brachte ihn um, er starb in deinen Armen, du schluchztest, wolltest ihm wenigstens ein Teilchen deines Lebens geben, wenn du ihm schon nicht das ganze geben konntest, aber er nahm es nicht, er starb in deinen Armen, er starb in deinen Armen, Mary! Mary, Mary, erinnere dich an Aster, an unseren Sohn, der in deinen Armen gestorben ist!«
Sie schluchzte. »Hör auf, du zerreißt mir das Herz, Eli.«
Ich kniete vor ihr nieder, schmiegte mein Gesicht an ihre heißen Hände und flüsterte leidenschaftlich:
»Nein, Mary, ich höre nicht auf! Und wenn es keinen anderen Ausweg gibt, zerreiße ich dein Herz, aber ich erlaube dir nicht, Aster zu vergessen! Erinnere dich an unseren Sohn, unseren armen Sohn, erinnere dich an unseren Kummer, unsere Verzweiflung! Erinnere dich, daß er auf der Erde ist, im Pantheon, daß er eins der Heiligtümer der Menschheit ist, daß über seinem Grab die Inschrift steht: ,Dem ersten Menschen, der sein Leben für die Sternenfreunde der Menschheit gab’, daß wir oft dort hingingen und schweigend vor Asters Sarkophag standen. Wir haben etwas, woran wir uns erinnern können, Mary, etwas, worüber wir uns freuen, etwas, worauf wir stolz sein können!«
Der Wahnsinn kämpfte in ihr mit der Vernunft, und die Vernunft siegte. Bitter sagte sie: »Ja, Eli, es gibt etwas, woran wir uns erinnern können, worauf wir stolz sein können. Doch alles liegt in der Vergangenheit, alles liegt in der Vergangenheit!«
Ich erhob mich. Ich wußte schon, daß ich sie retten würde. »Vieles ist in der Vergangenheit, vieles, aber nicht alles! Sind wir etwa in der Vergangenheit? Wir sind hier, Mary! Und unsere Liebe ist mit uns! War, war, und ist!«
Jetzt trat sie zu mir, faßte meine Schultern. »Du sagtest ,ist’, Eli? Du sagtest, ,ist? Habe ich richtig gehört?«
»Du hast richtig gehört, Mary. Ist! Wir sind, unsere Liebe ist mit uns!« Erst jetzt gestattete ich mir, erregt zu sein, und meine Stimme begann zu zittern.
»Ich liebe dich, du Gealterte, Abgemagerte, du warst die Einzige und bleibst die Einzige! Ich liebe deine versilberten Haare, deine gelb gewordenen Hände, deine gelichteten, einst so schwarzen Brauen, deine wunderbaren Augen! Ich liebe deinen Gang, deine Gewohnheiten, ich liebe dich, wenn du sitzt, wenn du stehst, immer, überall, ganz und gar, Mary! Ich liebe dich dafür, daß ich dich früher geliebt habe, daß ich dich jetzt liebe, daß ich dich später lieben werde, daß unser ganzes Leben Liebe zueinander ist! Schau mir in die Augen, du erblickst in ihnen nur Liebe, nur Liebe! Ich liebe, liebe, um meinetwillen, um deinetwillen, um unserer Liebe willen! Mary! Mary!«
Die Stimme versagte mir, ich konnte nicht mehr sprechen. Und plötzlich fühlte ich mich so schwach, daß ich mich setzte, um nicht hinzufallen. Sie barg das Gesicht in den Händen. Mir tat das Herz weh. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich sie zurückgeholt hatte. Sie ließ die Hände sinken, schaute mich befremdet an und fragte langsam: »Eli, war etwas mit mir?«