»Komm«, sagte er kurz und ging als erster hinaus.
Im Observationssaal waren die Sternenbildschirme gelöscht. Vorn, auf einem Podest, stand ein Tischchen, an ihm nahmen Oleg und ich Platz. Ich ließ meinen Blick durch den Saal schweifen. Hier waren meine Freunde: Menschen und Demiurgen. Hinten ragte wie eine majestätische Statue Grazi, neben ihm saß der kleine Orlan, in der ersten Reihe gewahrte ich Mary und Olga und zwischen ihnen Romero. Mary schaute mich so besorgt an, daß ich mich rasch abwandte. Der Saal war voller Stimmengewirr. Oleg klopfte auf den Tisch, und es wurde still.
»Ihr wißt von der Tragödie, die sich im Labor und im Steuerraum abgespielt hat«, sagte Oleg. »Aber wir haben uns nicht versammelt, um unserer Kameraden zu gedenken. Der wissenschaftliche Leiter der Expedition glaubt, auf dem Schiff einen Spion der Ramiren entdeckt zu haben. Er stellt seine Beweise zur Diskussion.« Ich erhob mich. »Bevor ich nachweise, daß sich auf dem Sternenflugzeug ein Kundschafter der Feinde eingeschlichen hat, bitte ich, über die Strafe für ihn abzustimmen. Ich schlage die Todesstrafe vor!«
»Tod?« hörte ich Romero empört rufen.
Seine Stimme ging im Protestgeschrei unter. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Demiurgen waren entrüstet. Ich wartete ruhig, bis wieder Stille eingetreten war.
»Ja, die Todesstrafe!« wiederholte ich. »Keine Gefangennahme, keine Konservierung, sondern Hinrichtung. Auf der Erde werden schon seit fünfhundert Jahren keine Hinrichtungen mehr vorgenommen. Die Hinrichtung ist ein Überbleibsel aus alten Zeiten, das Rudiment einer wilden Epoche. Aber ich bestehe darauf, denn Spionage ist ebenfalls ein Überbleibsel aus der Barbarei. Die Strafe für eine schändliche Tat muß schändlich sein.«
Romero hob den Stock, um zu zeigen, daß er ums Wort bitte. »Nennen Sie den Verbrecher, Admiral!
Schildern Sie sein Verbrechen. Danach werden wir entscheiden, ob er den Tod verdient.«
Obwohl ich wußte, daß ich mich gegen alle stellte, sagte ich kalt: »Die Hinrichtung muß beschlossen sein, bevor ich den Namen des Verbrechers nenne.«
»Warum, Admiral? Können Sie das erklären?«
»Wir alle hier sind Freunde. Und wenn ich den Spion nenne, könnt ihr euch nicht sofort von der langjährigen Gewohnheit trennen, ihn als Freund zu betrachten. Das würde sich in euerm Urteil äußern.
Ich will, daß das Verbrechen als solches bestraft wird.«
»Aber die Todesstrafe fordern Sie für ein Mitglied der Besatzung, das uns, Ihren Worten zufolge, sehr nahesteht, nicht für das Verbrechen als solches.«
»Wenn ich das Verbrechen aburteilen könnte, indem ich den Verbrecher selbst verächtlich ignoriere, so würde ich ihn schonen. Leider ist das Verbrechen von dem Verbrecher nicht zu trennen.«
»Wie Sie wollen, Admiral, jedenfalls werde ich nicht für die Strafe stimmen, bevor ich den Namen kenne.«
»In dem Falle nenne ich ihn überhaupt nicht. Dann bleibt er unangetastet und setzt seine schmutzige Arbeit fort. Und indem er den Ramiren unsere Pläne mitteilt, macht er die Befreiung des Sternenflugzeugs unmöglich.«
Romero setzte sich.
Oleg nahm das Wort. »Der wissenschaftliche Leiter der Expedition wirft ein Problem auf, das ich ein Kodex-Problem nennen würde. In alten Zeiten hatten die Menschen einen Strafkodex, der die Strafe für ein Verbrechen unabhängig von der Person des Verbrechers festlegte. Eli schlägt vor, den Brauch wiederaufzunehmen, die Strafe für noch nicht begangene Verbrechen im voraus zu bestimmen, um sie zu verhüten.
Meiner Meinung nach ist das richtig.«
»Elis Worten zufolge ist das Verbrechen bereits verübt und der Verbrecher vorhanden«, entgegnete Romero. »Wozu dann eine Preisliste für Verbrechen aufstellen und sie mit dem wohllautenden Wort, Kodex‘ bemänteln? Lassen Sie uns den Verbrecher mitsamt dem Verbrechen aburteilen.«
Darauf sagte Oleg: »Das Verbrechen ist noch nicht erwiesen, der Name des Verbrechers noch nicht genannt. Wir haben das Recht, uns so zu verhalten, als untersuchten wir nur die Möglichkeit einer Missetat.
Ich bin für den Kodex oder die Preisliste der Verbrechen, wie Sie es ausdrücken.«
Romeros verbissene Miene zeigte mir, daß er Widerstand leisten würde. Ich wußte, wie er zu schlagen war. Deshalb scheute ich mich nicht zu sagen: »Sie benehmen sich, Romero, als fürchteten Sie, der Verdacht der Spionage werde auf Sie fallen!«
Er wollte aufbrausen, beherrschte sich jedoch.
Seine Antwort war nicht ohne Würde. »Wenn ich für mich fürchtete, würde ich der Hinrichtung zustimmen.«
»Vielleicht haben Sie Angst, daß der ungenannte Verbrecher Ihnen mehr bedeutet als Sie sich selbst, Romero?«
Er antwortete mürrisch: »Das lasse ich gelten.
Überraschungen erlebt man von Ihnen jeden Tag.« »Das ist keine Antwort, Romero.«
Er überwand sich. »Gut, mag es sein, wie Sie es wünschen. Ich stimme für die Todesstrafe, wenn der Verbrecher überführt wird!«
»Stimmen wir ab«, sagte Oleg. »Wer ist dafür?«
Ein Wald von Händen erhob sich.
Oleg wandte sich an mich. »Nenne den Verbrecher, Eli, und erbringe die Beweise.«
Ich wußte, daß gleich mein erster Satz lärmenden Protest hervorrufen würde. Das Schwierigste hatte ich durchgemacht, als ich mich im verschlossenen Zimmer marterte, als ich ein letztes Mal vor Oans Leiche stand, als ich mir nachts mit der Hand den Mund verstopfte, um Mary mit meinem Stöhnen nicht zu wecken, das ich nicht unterdrücken konnte.
Ich bemühte mich, meine Worte ruhig klingen zu lassen: »Der Spion unserer Feinde bin ich.«
8
Die Antwort war verblüfftes Schweigen.
Als einziger unterbrach Grazi die Stille, als er bekümmert rief: »Armer Eli! Auch er!«
Ich blickte in den Saal, und bestürzt entdeckte ich den gleichen Ausdruck von Kummer und Mitleid auf allen Gesichtern. Nur Mary, die totenblaß war und beide Hände an die Brust gepreßt hatte, glaubte nicht, daß ich krank sei, denn sie wußte, daß mich der Wahnsinn verschont hatte.
Oshima war mit einem Sprung bei mir. »Admiral, keine Sorge, es wird wieder gut! Ich bringe Sie ins Bett.« Er wollte mich hochziehen. Ich befreite mich. Oleg wandte sich an den wie gelähmt schweigenden Saal.
»Wollen wir die Sitzung nicht vertagen, Freunde? Mir scheint, der elektronische Medikus…«
Romero unterbrach Oleg, indem er den Stock auf den Boden stieß. »Ich protestiere«, rief er und erhob sich. »Sie suchen eine leichte Lösung, aber leichte Lösungen gibt es nicht. Admiral Eli ist gesünder als jeder von uns. Er hat Grund, das zu sagen, was er sagt. Und wir müssen ihn anhören.«
»Sie sind der einzige, der nicht überrascht ist, Romero«, bemerkte ich.
Er antwortete herausfordernd. »Ja, Eli. Denn ich habe dieses Geständnis erwartet.«
»Machen wir weiter?« fragte Oleg den Saal.
»Weitermachen! Weitermachen!« wurde hier und da gerufen. Oshima blickte den düsteren Romero an und kehrte auf seinen Platz zurück.
Oleg sagte: »Sprich, Eli.«
Ich erinnerte zunächst an Oans Eingeständnis, daß die Grausamen Götter die Welt der Aranen in Gestalt der Spinnenförmigen aufsuchten, um über deren Leben informiert zu sein. »Was sind die Aranen? Eine Zivilisation im Niedergang, abergläubisch, ohnmächtig. Wessen sind sie fähig? Wodurch gefährlich? Folgt hieraus nicht, daß die Ramiren, als sie einer unvergleichlich mächtigeren Zivilisation begegneten, ihre Vorsicht verdreifachen und sich bemühen würden, bedeutend mehr Spione in sie zu entsenden als zu den harmlosen Aranen? Soweit ist die Sache nicht neu.