»Jedenfalls bemühen sie sich, uns für ihre Experimente zu benutzen.«
Er sagte nachdenklich: »Ein interessanter Gedanke, Eli, aber er muß bewiesen werden.«
Das tat ich. »Die Ramiren haben das erste zum Kern entsandte Geschwader sofort vernichtet«, erklärte ich. »Allans und Leonids Schiffe störten die Ramiren irgendwie und wurden deshalb durch den todbringenden Strahl bestraft, allerdings war er schwächer als der, der die , Stier‘ ereilte, nur die Besatzungen kamen um, die Schiffe blieben erhalten. Die jämmerlichen Ameisen wurden beiseite gefegt, von den Raupenketten der Bulldozer zerquetscht, auch so läßt sich Ihr Vergleich verwenden, Pawel. Doch bei der zweiten Expedition zum Kern verhielten sich die Ramiren anders. Mit uns machten sie ebenfalls nicht viele Umstände, als die ,Stier‘ die von ihnen geschaffene Struktur in der Ansammlung der Untergehenden Welten verletzte, aber sie dachten nicht daran, mit der ,Schlangenträger‘ und mit der , Steinbock‘ ab zurechnen. Sie begannen, sich für uns zu interessieren, uns zu beobachten. Sie schleusten Oan bei uns ein – Spion, Späher und Verbindungsapparat-, seine Funktion ist auch ohne beleidigende Bezeichnungen klar. Wahrscheinlich hatten wir ihr Interesse erregt, weil es uns gelungen war, Oan zu retten, und uns das Problem der Zeittransformation bewegte. Für sie stiegen wir im Rang.«
»Von Ameisen zu Kaninchenmeinen Sie das?«
»Pawel, ich habe Ihnen einmal gesagt, daß ich mich bemühe, das Koordinatensystem meines Denkens zum Denksystem der Ramiren umzubilden. Ich will die Welt mit den Augen unserer Gegner sehen, sofern sie wie wir mit Augen sehen, was sehr zweifelhaft ist.
Stellen Sie sich vor, wir, die Menschheit, wären eine Million Jahre älter, und während dieser tausend Jahrtausende hätten wir uns unaufhörlich vervollkommnet…«
»Eine geradezu unvorstellbare Macht und Stärke!«
»Ja, Pawel. Schon jetzt sind wir in der Lage, Planeten umzugestalten, zu schaffen und zu vernichten.
Was wird nach einer Jahrmillion intensiver Entwicklung sein? Werden wir nicht den Wunsch haben, nicht nur in einzelnen Sternsystemen aufzuräumen, auch nicht nur in Sternhaufen, sondern in der Galaxis überhaupt? Die Galaxis ist krank. Die Hauptmasse ihrer Sterne befindet sich im Kern, und der ist instabil. Er ist einer Explosion nahe. Sind uns nicht die Quasare bekannt, die sternähnlichen Galaxien, die eine Katastrophe durchgemacht haben, in der alle Formen von Leben und Vernunft vernichtet wurden, sofern sie dort existierten? Wir, die wir nach einer Million Jahren so mächtig wären, würden uns mit dem Balancieren am Rande des Untergangs nicht abfinden. Wir würden uns bemühen, den gefährlichen Prozeß zu stoppen, die Sternansammlung im Kern zu lichten, die Sternsysteme, die für vernunftbegabtes Leben reif sind, auszusuchen und so weit wie möglich von der Gefahr wegzubringen, um die Sternstruktur in der Umgebung des Kerns zu verändern.«
»Ich darf erinnern, lieber Eli, daß ich über eben dies auf der Konferenz gesprochen habe, wo Sie eine zornige Selbstanklage erhoben.«
»Richtig, darüber haben Sie gesprochen. Und nun stellen Sie sich vor, wir Mächtigen hätten festgestellt, daß nur die Beherrschung des Zeitverlaufs eine sichere Garantie gegen die Katastrophe sei. Und daß sich die natürlichen Metamorphosen der Zeit in den Sternenprozessen des Kerns von selbst verwirklichten.
Doch es will uns nicht gelingen, die Zeit zu beherrschen. Es gelingt uns nicht, sosehr wir uns auch anstrengen! Wir versuchen, sie im Innern der kollabierenden Sterne zu fassen, immerhin die zweitgrößte Katastrophe nach einer möglichen Explosion aller Sterne im Kern! Nein, auch hier klappt es nicht. Und plötzlich dringen in unsere Sternenreiche irgendwelche Fremdlinge ein, irgendwelche Ameisen, stellen ihre Gesetze auf, stören frech unsere Arbeit zur Sanierung des Kerns. Da fegen wir sie doch kurzerhand aus dem Weg, und fertig!«
»Ich wage zu bemerken, lieber Admiral, daß Sie bislang nichts Neues…«
»Warten Sie, Pawel! Da meldet unser Spion, die Ameisen hätten eine seltsame Zivilisation, eine Maschinenzivilisation, sie gleiche der unseren nicht, und in ihren Mechanismen werde die Zeit, einstweilen noch auf atomarem Niveau, eine Mikrozeit, mühelos verdichtet und verdünnt, sie ändere dort ihr Vorzeichen, sogar die Phasengeschwindigkeit. Oho, höchst interessant, würden wir sagen, die wir durch Jahrmillionen hindurch mächtig sind, aber vor den Schwierigkeiten der Zeitbeherrschung passen. Sollen sie, sollen sie sich abstrampeln, würden wir beschließen, die wir allmächtig sind, jedoch kein menschliches Herz haben, kein schlichtes menschliches Erbarmen für die in Not geratenen Ameisen…«
»Eine sehr wichtige Bemerkung, Eli!«
»Ja, Pawel. Die Gleichgültigen diese Bezeichnung haben Sie geprägt! Das Weitere ist klar. Während wir mit der Zeit im Kollapsan experimentierten, experimentierten sie mit uns. Wir wollten aus dem Kern fliehen, sie ließen uns nicht fort. Und um uns zu zwingen, die Forschungen zu beschleunigen, stürzten sie uns seelenruhig und unbarmherzig in die Vibration der Zeit. Nach dem Prinzip: Überleben sie es nicht, zum Teufel mit ihnen, Versager brauchen uns nicht leid zu tun! Überleben sie es, so ist das ein Erfolg! Mal sehen, mal sehen, wie diese Kreaturen mit den Schwierigkeiten fertig werden, vielleicht läßt sich dies und das von ihren Tricks verwenden. Ach, haben sie sich doch herausgerappelt? Haben sie es fertiggebracht, die Zeit phasisch zu krümmen? Sie wollen aus dem Ring der Gegenzeit dem Kern entschlüpfen? Das muß man sich doch mal näher ansehen; mögen sie entschlüpfen, ihre Erfahrung wird uns zustatten kommen, wenn es notwendig wird, neue Schübe von Sternen aus dem Kern hinauszuschaffen. Also gleiten die Fremdlinge durch die Anderszeit, frei von allen Kataklysmen des Kerns, denn ihre Zeit ist eine andere im Vergleich zu der Zeit jedes auf sie zufliegenden Sterns, denn sie sind im Kern und doch außerhalb des Kerns – sehr, sehr interessant! Dies und das von ihren Funden läßt sich verwenden. So stelle ich mir unser Verhältnis zu den Ramiren vor, Pawel.«
»Diese Vorstellung ist eine Garantie für unsere Rettung, Eli. Wir können sie als durchaus befriedigend ansehen.«
Ich stand auf. Mir war so beklommen vor Erregung, daß ich mir Bewegung verschaffen mußte. Nervös ging ich im Zimmer auf und ab, während Romero mich erstaunt beobachtete. Er hatte die Situation richtig eingeschätzt, konnte aber meine Einstellung nicht verstehen.
»Nein, Pawel, tausendmal nein! Die Lage ist empörend, sie ist nicht im mindesten befriedigend. Weder werde ich mich damit abfinden, daß man uns die erbärmliche Rolle von Ameisen zuerkennt, die aus Gleichgültigkeit vernichtet werden, noch mit dem wohlwollenden Interesse an uns als Versuchskaninchen, die man kaltblütig schwersten Bedingungen aussetzt, um großmütig zu beobachten, ob es ihnen trotzdem gelingt, die auferlegte Prüfung zu bestehen!«
»Was verlangen Sie von den Ramiren, Admiral?«
»Gleichberechtigung! Mit weniger bin ich nicht einverstanden!«
Er schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich fürchte, man wird uns nicht fragen, ob wir einverstanden sind. Werden Sie es schaffen, den Ramiren Ihre Entschlossenheit zur Kenntnis zu bringen?«
»Ich werde Wege suchen.«
Er schwieg eine Weile und sagte lächelnd: »Jeder hat seinen Grund zur Aufregung, Eli. Sie haben triftige Gründe, ich habe geringfügige. Wissen Sie, was mir Sorge bereitet?«
»Sicherlich ist das nichts Geringfügiges!«
»Eine regelrechte Bagatelle, Eli. Wir nähern uns unserer Vergangenheit. Die Schiffsmaschine stellt die Prognose, wie wir in sie eintreten werden. Wozu die Prognose? Eine Prognose der Vergangenheit! Man überlege sich das! – Ist das nicht ungeheuerlich?«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Die Vergangenheit liegt in der Zukunft, Eli! Man muß sie vorhersagen, erinnert sich ihrer nicht. Wissen Sie, ein Schriftsteller der alten Zeit, ein ernsthafter Mensch, der sich selten einen Scherz erlaubte, spöttelte einmal über eine berühmte Prophetin, indem er erklärte, sie prophezeie die Vergangenheit und das sei doch ein unnützes Unterfangen. Wir hingegen sind darauf angewiesen, daß uns die Vergangenheit prophezeit wird, und das ist kein nutzloses Unterfangen, sondern eine schwierige Aufgabe sowohl für die Schiffsmaschine als auch für unsere eigenen Gehirne!