Ein Wegaabgesandter, genauer eine Abgesandte, da es sich um ein Mädchen handelte, betrachtete mich neugierig. Auch ich konnte mich nicht satt sehen an ihr. Unter den Wegabewohnern war sie die Schönste.
26
»Und nun die Engel von den Hyaden«, sagte Wera.
»In diesen geflügelten Gesellschaften haben sich Klassen erhalten, die sich befeinden.«
Wir flogen zum Hotel »Hyaden«.
Hier gleichen die Bedingungen den irdischen.
Die Geflügelten passen sich leicht beliebigen Parametern von Gravitation, Atmosphäre und Temperatur an. Das mag daran liegen, daß sie viele Planeten mit unterschiedlichen Bedingungen bewohnen.
Drei Engel stürzten auf uns zu, wild rauschten ihre Flügel. Ihr begeistertes Kreischen und Flügelschlagen lockte die anderen herbei. Kurz darauf flatterte, sich puffend und zausend, ein Schwärm Geflügelter um uns her.
Die Engel haben etwas an sich, das gegen sie einnimmt. Äußerlich sind sie imposant, sogar majestätisch: weiße Körper, goldene Haare, große starke Flügel, die merkwürdig gefärbt sind. Zweiflüglige Formen herrschten vor, vierflüglige waren etwa im Verhältnis eins zu zehn anzutreffen, und sie alle waren ein stattliches Volk. Die Gesichter der Engel waren grob und unbehaart. Weder an diesem Tag noch später begegnete ich Engeln ohne Falten, faltig sind bei ihnen sogar die Jungen jeder Engel wirkt wie ein alt gewordenes Kind Der Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß sie wie unartige Kinder lärmen und toben. Außerdem waschen sie sich selten und riechen schlecht In ihren Behausungen ist es kaum angenehmer als in den Ställen der Pegasusse.
Als wir uns einen Weg durch die geflügelte Schar bahnten, erblickte ich abseits André und Lussin.
Ich beugte mich zu Romero. »Pawel, lösen Sie mich am Dechiffriergerät ab.«
Er wunderte sich – gefielen mir die fliegenden Schreihälse so gut, daß ich den Wunsch verspürte, allein mit ihnen zu sprechen?
Ich arbeitete mich aus dem Schwarm heraus und trat zu André. Ein wildes Engelchen segelte mit ausgebreiteten Flügeln kreischend auf mich zu, doch ich entschlüpfte ihm.
»Sei still und hör zu!« rief André ,.Neue Nachrichten über die Galakten. Wir haben großartige Aufzeichnungen bei diesem Vierflügligen gemacht.«
André und Lussin hatten Glück gehabt. Als sie zu dem isolierten Vierflügler kamen, schlief der und hatte gerade einen Alptraum. Sein Gehirn sandte verstärkt Strahlen aus. André wartete nicht, bis der Engel erwachte, sondern eilte, die aufgezeichneten Strahlen auf dem großen Dechiffriergerät zu materialisieren.
»Ein tolles Gerät!« meinte André. »Bei Allan konnte die Sprache schwächlicher Moose erst auf der Erde gelesen werden, wir entschlüsseln weit Schwierigeres sofort.«
Gleich auf der Straße, beim Schein der Tagessonne, rief er eine Videosäule. Ich starrte angestrengt hin, denn das äußere Licht war stärker als das innere Leuchten der Videosäule. Zweifel kamen mir. Ich sah dieselben Bilder, die bereits auf der Erde vorgeführt worden waren – Felsen, helle Sterne, ein schwarzer See, ein zigarrenförmiges Schiff, dieselben Galakten, der Turm mit dem rotierenden Auge.
»Meine Meinung«, sagte Lussin, der bis dahin geschwiegen hatte. »Kopie. Schon gesehen.«
»Ihr seid Esel!« sagte André. »Was ist denn dabei, wenn wir sie bereits gesehen haben? Die Sternenvisionen überkommen unseren Vierflügler oft, alldieweil wir sie schon bei der ersten Untersuchung seines Schlafs aufzeichnen konnten. Nur persönliche Eindrücke, nicht aber Vererbung lassen die Gestalten so deutlich werden. Er muß die Galakten selbst gesehen haben.« André blickte uns triumphierend an.
Unverfroren lachte ich ihm ins Gesicht. »Und nun gehst du hin und fragst deinen Engel, ob du seine Träume richtig deutest?«
»Stimmt genau.«
»Ich begleite euch, um dabeizusein, wenn deine neueste Theorie ohrenbetäubend zusammenkracht.«
Der vierflüglige Raufbold war ein riesiger, grobschlächtiger Engel mit grimmiger Visage und starken Flügeln. Er starrte uns aus trüben Augen an und knurrte. Die Engel haben gewöhnlich feine, piepsige Stimmen. Beim Sprechen überstürzen sie sich, in ihren Versammlungen wird geschnattert und gepiepst.
Die Stimme von diesem hier war kraftvoll, fast ein Baß, er piepste nicht, sondern schollerte.
André stimmte das Dechiffriergerät und sagte höflich: »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Auf die Knie!« blaffte der Engel. »Auf die Knie, andernfalls schert euch zu Teufels Großmutter!«
Sein wilder Zorn war so unverhofft, daß wir in Lachen ausbrachen. Das erboste ihn. Drohend reckte er sich und spreizte die Flügel.
»Warum sollen wir uns hinknien?« fragte André »Bei den Menschen ist das nicht üblich.«
Das Dechiffriergerät übersetzte die Antwort des Engels: »Ich bin göttlicher Abkunft. Ich bin ein Fürst!«
Ich zweifelte an der Richtigkeit der Übersetzung.
Die Worte »zu Teufels Großmutter, göttliche Abkunft, Fürst, auf die Knie« schmeckten zu sehr nach antiquierten irdischen Redensarten und Begriffen. Ich verstand nicht, warum das Dechiffriergerät aus der reichen menschlichen Sprache gerade diesen Plunder hervorgekramt hatte.
»Ich glaube nicht, daß das Gerät uns angeführt hat«, entgegnete André. »Es besitzt ein weitreichendes Gedächtnis vierhunderttausend Wörter und hundert Millionen Begriffe. Wenn es ‚Fürst‘ und ,zu Teufels Großmutter‘ gewählt hat, dann bedeutet dies, daß unser Gefangener etwas meint, das den Begriffen ,Fürst‘ und ‚zu Teufels Großmutter‘ entspricht.«
Ich wandte mich an den Engel. »Warum halten Sie sich für einen Fürsten?«
»Ich fliege dich über den Haufen und zerstampfe dich!« sagte der Engel zänkisch. »Auf die Knie, oder du stirbst!« Mir fiel ein, daß das Schutzfeld der Menschen auf der Ora von ihrer Stimmung abhängt, und ich steigerte mich in Zorn. Der Engel wurde beiseite geschleudert, daß er vor Schreck aufschrie. Mal verstärkte ich, mal verminderte ich das Feld. Schonungslos wurde der geflügelte »Fürst« in der Luft durchgeschüttelt, verzweifelt schlug er mit den Flügeln, doch gegen die unsichtbaren Hände, die ihn beutelten, richtete er nichts aus. Als das Rütteln besonders arg wurde, brüllte er wie ein Stier: »Hilfe! Hilfe!«
Ich ließ meinen Zorn verrauchen, und der Engel plumpste herunter. Ohnmächtig vor Angst, versuchte er nicht einmal aufzustehen. Er kroch, die breiten Flügel demütig rührend. Lussin wandte sich prustend ab. Ich bin überzeugt, daß ihn der grobschlächtige Engel in diesem Augenblick an seine friedfertigen Drachen oder den absonderlichen Gott Horus mit dem Falkenkopf erinnerte.
»Höhere Mächte«, murmelte der Engel erschüttert »Höhere Mächte!«
»Erhebe dich und sei fortan kein Fürst mehr!« sagte ich. »Dummköpfe kann ich nicht leiden. Man fragt dich im guten, du aber wirst ausfallend.«
»Fragt!« sagte der Engel eilfertig. »Obwohl ich nicht weiß, inwiefern ich so mächtigen Personen…«
André erzählte dem Engel von dessen Traumgesichten und fragte, oh er die Galakten und ihre Feinde selber gesehen habe »Das sind Überlieferungen«, sagte der Engel leise.
»Niemand hat die Galakten gesehen. Als Kind habe ich Märchen über sie gehört.«
Vielsagend blickte ich André an Er gab sich Mühe, meinem Blick auszuweichen. Er grämte sich nicht, daß seine Theorie geplatzt war, zu schnell stellte er welche auf.
»Und warum brüstest du dich, göttlich zu sein« fragte ich den Engel. »Was soll der Unsinn.«»