Ich legte wieder eine Atempause ein. Die Leidenschaft riß mich fort. Ich wollte nicht, daß meine Stimme zitterte.
»Ja, ich bin ein winziger Organismus, eine Ameise im Vergleich zu euch, weniger als eine Ameise. Aber in mir ist das ganze Weltall! Das ist es, was ihr nicht begreift! Mein winziges Gehirn ist fähig, l060 Kombinationen zu bilden, viel mehr, als es im Kosmos materielle Teilchen und Wellen gibt. Und jede Kombination ist ein Bild: Erscheinungen, Ereignisse, Teilchen, Wellen, Signale. Alles, was im Weltall entstehen kann, findet in mir seine Widerspiegelung, wird ein bildhaftes Duplikat des realen Objekts außerhalb meiner, wird ein Teilchen meines kleinen ,Ich’. Ich bin ein Spiegel der Welt, denkt darüber nach. Ja, stofflich bin ich ein geringfügiges Teilchen des Weltalls, geistig jedoch, in meinem Denken bin ich ihm gleich, denn ich bin genauso unendlich, genauso unerschöpflich. Ihr beurteilt mich nach der Masse meines Stoffes, nach meiner geringfügigen Anziehung für andere stoffliche Körper, und wendet euch verächtlich ab. Verrechnet euch nicht, ihr Kurzsichtigen. Beurteilt mich nach der Stärke meiner Bindungen, der stofflichen und geistigen, durch die ich mit der ganzen Welt verflochten bin. Dann werdet ihr erstaunt feststellen, daß ich, obwohl klein, genauso groß wie das Universum bin. Und daß in jedem von uns das ganze Universum ist, denn jeder ist die Erkenntnis des Universums, dessen Selbsterkenntnis! Denn ich bin das Leben, und jeder von uns ist das Leben! Und das Leben ist die größte aller Merkwürdigkeiten der Natur.
Nein, nicht in der toten Materie schafft sich die Natur neu,‘ sie wirft sich lediglich weiter auseinander in dem toten Stoff, nur einzelne Ansammlungen gleich euch erlangen Vernunft. Aber in jedem lebenden Individuum schafft sich das ganze Universum neu. Wir sind das Bild seiner Einheitlichkeit, wir sind seine Selbsterkenntnis in ganzer Breite, ganzer Tiefe! Dem müßt ihr Rechnung tragen!«
Ich machte wieder eine Pause und sprach dann weiter. »Denkt auch über folgendes nach: Ihr seid, soviel ich verstehe, die Stabilität der Welt, ihre Aufrechterhaltung, ihr Schutz vor einer Katastrophe im Feuer der entfesselten Elemente. Ihr seid das Beharrungsvermögen der Welt, das ewige Gleichgewicht seiner Gesetze. Wir sind die Entwicklung der Welt, die Durchbrechung ihres Beharrungsvermögens. Wir, das Leben, die Zukunft der Welt! Wir, das Leben, das revolutionäre Prinzip in der inerten Natur. Wir, das Leben, einstweilen eine winzige Kraft im Weltall, ein unbedeutendes Feld unter Tausenden von anderen Feldern. Aber auch die einzig wachsende Kraft, wachsende, nicht einfach erhaltende. Wir sind an der Peripherie der Galaxis ins Dasein getreten und bewegen uns auf ihr Zentrum zu. Wir dehnen uns stürmisch aus, vermehren uns schnell. Wir haben einen anderen Zeitmaßstab, eure Sekunde ist unseren Jahrtausenden gleichwertig. Wir, das Leben, die Explosion in der inerten Materie! Das Universum ist vom Leben infiziert, das Universum verändert sein Gesicht! Ich sage euch, wir sind die Zukunft der Welt. Ob ihr es wollt oder nicht, dem müßt ihr Rechnung tragen! Das Feld des Lebens ordnet sich unvermeidlich alle übrigen Felder der toten Natur unter, unterwirft sich deren Elemente. Ist es nicht Zeit, daß wir uns vereinigen, die alte Vernunft der Stabilität und die junge Macht des Lebensschwungs? Selbst wenn meine Kameraden und ich nicht in unsere Zeit gelangen und umkommen, hört das Leben nicht auf. Wir sind nur Atome des lebendigen Weltallfeldes, nicht mehr. Ihr strebt nach Harmonie, stabilisiert sie, doch die höchste der Harmonien in der Natur ist das Leben, und bald wird es auch das höchste ihrer Elemente sein, ein Element der Harmonie gegen das Element der blinden Elemente. Und sollten wir, die Bewohner eines kleinen Sternenflugzeugs, sterben, so seid ihr uns doch nicht los.
Zu euch kehren unsere Nachfahren zurück, die besser ausgerüstet sind, die mehr wissen. Das Leben breitet sich rasch über das Weltall aus, die lebendige Vernunft unterwirft sich die Materie, sprengt die Trägheit der einförmigen, sich selbst stets gleichen Existenz, an deren Ende die Katastrophe im Kern steht. Als Ersatz für die Gesamtheit der Einförmigkeit bringen wir ein neues lebenspendendes Prinzip in die Natur ein, die Zunahme der Eigentümlichkeiten, die Gesamtheit der Unähnlichkeiten. Denn uns, die Sternenbrüder, eint ein Gemeinsames, wir sind eigentümlich, wir sind vernünftig, wir sind gut zueinander. Auch ihr und wir wollen gut zueinander sein!«
Ich trat zu Oan, blickte ihn lange an.
»Nun verschwinde, Oan«, sagte ich. »Deine Mission ist beendet. Ich bin sicher, du kannst sein und nicht sein. So verschwinde! Ich bin ein Mensch schon mächtig und noch nicht vollkommen. Ich bin die Jugend der Welt, ihr Drang ins Unbekannte, nicht aber die inerte Weisheit der ewigen Selbsterhaltung.
Ich habe es nicht gelernt, alles augenblicklich und vollständig zu verstehen. Ich muß überlegen, ich brauche Zeichen und Signale. Verschwinde! Das soll für mich das Zeichen sein, daß ich verstanden worden bin.«
Im Konservierungsraum erklang der Ruf an mich:
»Admiral Eli in den Kommandeursaal! Admiral Eli in den Kommandeursaal!« Ich ging hinaus.
13
Im Kommandeursaal hatten sich alle Freunde versammelt -Oleg, Oshima, Kamagin, Olga und Orlan.
Oleg wies auf die Sternenbildschirme. »Eli, weißt du, wo wir sind?«
Das Bild kannte ich so gut, daß ich begeistert rief:
»In den Untergehenden Welten!«
»Am Rande der Ansammlung«, bestätigte Oleg.
»Dort, wo die Untergehenden Welten in den offenen Kosmos übergehen. Die alte und die neue Umgebung stimmen im Flugschreiber absolut überein. Wir sind genau an der Stelle, die wir seinerzeit verlassen haben.«
Fragend blickte ich Olga an. »Seinerzeit verlassen haben… In welche Zeit sind wir zurückgekehrt?«
»In unsere«, antwortete sie. »Die, die in unserer Welt mit Nullphasengeschwindigkeit verläuft. Wir existieren wieder in der eindimensionalen und einsinnig gerichteten Zeit, der, die immer von der Vergangenheit zur Zukunft fließt.«
»Du hast mich nicht verstanden, Olga. Unsere Zeit… Aber welche? Die vergangene oder die künftige? Sind wir früher als wir, da wir diese Ansammlung verließen, oder später?«
»Wir sind um ein irdisches Jahr später zurückgekehrt. Unsere Irrfahrten im Kern, unsere Flucht auf dem Ring der Gegenzeit haben laut den Schiffschronometern insgesamt ein Jahr in Anspruch genommen.«
Das Gespräch unterbrach Grazi. Der Galakt meldete, die Analysatoren hätten die beiden von uns zurückgelassenen Frachten-Sternenflugzeuge entdeckt.
Sie seien noch weit von uns entfernt, doch es bestehe kein Zweifel, daß beide Schiffe die Säuberung des Raums unbeschädigt fortsetzten.
»Wir sind um ein Jahr gealtert, die Untergehenden Welten aber um ein Jahrhundert jünger geworden«, sagte Oleg. »Das System der Drei Staubigen Sonnen erhält die verlorene Transparenz und Helligkeit wieder.«
In den Kommandeursaal kam der aufgeregte Romero gestürzt. Er war so bleich und verstört, daß wir auffuhren.
»Oleg! Eli!« Das Sprechen fiel ihm schwer. »Ich war im Konservierungsraum, wollte sehen, wie unsere Toten den Übergang auf dem Ring der Gegenzeit überstanden haben. Und da sah ich… Ein Wunder, Freunde!«
Ich unterbrach ihn. »Wunder gibt es nicht. Wollen Sie sagen, Oan sei verschwunden?«
»Ja, genau das! Der Sarkophag ist unbeschädigt, die schließenden Felder sind vorhanden, aber von Oan ist keine Spur zu finden! Wenn das kein Wunder ist, Eli…«
Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn zu dem freien Sessel. »Beruhigen Sie sich, Pawel. Kein einziges Naturgesetz ist verletzt. Uns ist einfach ein Zeichen gegeben worden, daß wir noch einen Ring geschlossen haben, keinen Zeitring diesmal, sondern einen Ring des gegenseitigen Einvernehmens, von Bekanntschaft über Feindseligkeit, Kampf, Interessiertheit aneinander zu Freundlichkeit.«