»Ja«, antwortete Lussin. »Ein Rätsel.«
30
Ich erklärte Wera die Zeichnungen der Atairen.
Sie verstand sofort, daß wir eine Entdeckung gemacht hatten. Bisher hatten wir gewußt, daß die Galakten auf einem fernen Sten der Hyaden erschienen waren, einhundertfünfzig Lichtjahre von der Sonne entfernt. Nun waren Spuren von ihnen im Atair gefunden worden, in unserer nächsten Sternenumgebung.
»Das ist außerordentlich wichtig«, sagte Wera.
»Aus deinem Fund ist zu folgern, daß die Galakten mit ihren Feinden auch im Sonnensystem auftauchen können, wenn sie darin nicht schon aufgetaucht sind. Was wir auf der Erde nur als theoretische Möglichkeit erörtert haben, ist reale Gefahr geworden. Aber worin besteht diese Gefahr? Wer sind diese Zerstörer oder Verderber, von denen die Galakten gefangengenommen worden sind? Weshalb sind sie auf dem Bild nicht zu sehen?
Sie können doch keine Geister sein!«
Wera ordnete an, sämtliche Bilder der Atairen zu fotografieren, und kehrte zu unserer Entdeckung zurück. »Wie erklärst du die Flucht der Atairen, Bruder?«
Ich breitete die Arme aus, denn ich hatte keine Erklärung. »Ein weiteres Rätsel!«
Ihren Freunden erzählte Wera gern, was sie dann später im Rat vortrug. Ich mochte ihre langen Reden nicht, doch diese hörte ich ungeteilt aufmerksam an – Weras Gedanken schienen meine eigenen zu sein.
Sie begann beim Jahr 2001 der alten Zeitrechnung, dem denkwürdigen Jahr, als sich die Menschheit zu einer einzigen Gesellschaft zusammenschloß und auf dem Erdball endlich mit den nationalen, den Klassen- und Staatszwistigkeiten Schluß gemacht wurde. Das Jahr der Vereinigung wurde das erste Jahr der neuen Ära, die wahre Geschichte der Menschheit begann mit der Geburt der neuen Gesellschaft, mit der Verwirklichung des Prinzips:
»Die Gesellschaft besteht zum Wohle des,. Menschen. Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten.« In jenen Anfangsjahren war dieses Prinzip nur ein Wunsch, die große Idee mußte zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens werden. Über fünfhundert Jahre waren seitdem verstrichen, und all diese Jahre hindurch hatte sich die Menschheit vervollkommnet. Sie war in sich selbst versunken, die übrige Welt interessierte sie nur in dem Maße, als sie die Menschen betraf.
Blickte man zurück, so schwindelte einem während der vorhergegangenen Jahrtausende seiner Existenz war für den Menschen nicht soviel Gutes getan worden wie in diesen fünf Jahrhunderten.
Wie kläglich nahm sich das gepriesene Paradies neben der heutigen Erde aus. Erweckt waren die Möglichkeiten, die im Menschen geschlummert hatten er war wirklich Mensch geworden, hatte sich ein menschliches Leben aufgebaut.
Doch damit endet erst seine Kindheit, nicht mehr.
Die Welt des Kindes ist egozentrisch, im Zentrum des Weltalls sieht es sich, alles übrige dreht sich da herum. Die Zeit vergeht, und es erkennt seinen wahren Platz in der Welt. Es wird stärker und klüger, und aus dem Mittelpunkt der Welt verwandelt es sich in ein einfaches Teilchen der Welt. So bietet sich die heutige Menschheit dar. Sie hat Umschau gehalten und staunt: Es gibt unendlich vielfältige Formen vernunftbegabten Lebens. Die Natur hat sich im Menschen nicht erschöpft. Vielleicht mußte sie sich bei den Aldebaranen oder den Atairen sogar mehr anstrengen, denn dort waren größere Hindernisse für die Entwicklung der Vernunft zu überwinden. Endlich hat die Menschheit ihren Platz im Universum erkannt es ist ein bescheidener Platz.
Und nun wird erprobt, wie der Mensch wirklich ist. Wir haben andere Gesellschaften entdeckt, was fanden wir in ihnen? Haben sie einen Lebensstandard wie wir? Haben sie ihn übertroffen? Ist es ihnen gelungen, die mächtigen Kräfte zu beherrschen, die uns zu Diensten sind? Sie haben sich die Natur nicht unterworfen, sie werden unbeschränkt von ihr beherrscht. Qualvoll kämpfen sie um ihre Existenz, bei mühsamer Arbeit richten sie sich zugrunde, ihr Leben ist stets Ringen um Wärme, um Brot, das sie sich im Schweiße ihres Angesichts verschaffen.
An dieser Stelle unterbrach ich Wera:..Das bezieht sich nicht auf die Galakten. Sie haben eine entwickelte Maschinenzivilisation.«
»Bislang wissen wir wenig über sie. Vielleicht schließen wir mit den Galakten später ein Bündnis, um den Gesellschaften niederer Entwicklungsstufen zu helfen. Jetzt steht diese Aufgabe allein vor uns.«
Programmatisch erklärte Wera: »Spannen wir alle Kräfte an, und erkunden wir, was sich hinter den Nachrichten über die Galakten tatsächlich verbirgt. Das zum ersten. Zweitens: Nur nicht in Panik verfallen! Millionen Jahre wurde unser System von diesen geheimnisvollen Wesen nicht besucht, lediglich auf einzelnen Sternen haben sich Legenden über sie erhalten. Warum müssen wir uns so benehmen, als stehe eine Invasion vor der Tür? Es ist nicht ehrenhaft, am ganzen Leibe zu zittern bei ersten nebelhaften Nachrichten über irgend etwas, das vorläufig ganz unverständlich ist! Und drittens, das Wichtigste: Wenn irgendwo in den interastralen Weiten grausame Kriege toben und diese Kriege uns berühren können, warum sollen wir uns da nicht beizeiten mit unseren Sternennachbarn verbünden, um feindliche Invasionen abzuwehren? Werden wir vereint nicht stärker? Wären Tausende Planetensysteme neben dem Sonnensystem nicht ein unüberwindlicher Schutzwall für den unbekannten Gegner? Und wer hat den Beweis erbracht, daß allein Gegner kommen werden? Die Galakten sehen uns so ähnlich, sollen sie da unsere Feinde sein?
Ich bin mit André völlig einer Meinung, daß wir sie höchstwahrscheinlich als Freunde begrüßen werden.«
31
André glaubte nicht, daß die Atairen Fersengeld gaben, sobald wir die Galakten erwähnten. Er ergriff das Dechiffriergerät und eilte ins Hotel »Sternbild Adler«.
Ich traf ihn beim Mittagessen. Trübselig kaute er sein synthetisches Fleisch.
»Diese Teufelswesen sind ängstlicher als die Hasen«, schimpfte André. »Vor mir sind sie noch schneller ausgerückt als vor euch. Aber einiges habe ich doch aufgezeichnet.«
Es erwies sich, daß André das Dechiffriergerät rechtzeitig auf die Gehirnstrahlen der Atairen eingestellt und Spuren von dem empfangen hatte, was sie dachten, als er sich näherte, und was sie so erschreckte. In den Gehirnen der Atairen herrschte großes Durcheinander. Das Dechiffriergerät war außerstande, ihre Überlegungen klar auszudrücken.
»Und die Bilder, die ihr entdeckt hattet, sind verschwunden«, fügte André hinzu. »Die Atairen haben sie säuberlich weggewischt.«
»Was denkst du darüber, André?«
»Nichts denke ich. Dafür weiß ich, warum ihr keine Verderber neben den gefesselten Galakien gesehen habt.«
»Wahrscheinlich haben wir sie deshalb nicht gesehen, weil niemand sie je gesehen hat. Den Schluß kann man aus den Aufzeichnungen vom Flammenden B ziehen.«
»Stimmt genau, das ist der Grund. Aber kannst du sagen, warum es so ist?«
»Wenn ich recht verstehe, hast du eine neue blendende Theorie parat!«
»Zumindest die richtige. Das Geheimnis besteht darin, daß die Verderber unsichtbar sind Denk darüber in Ruhe nach, Eli. Noch ist es nicht zu spät, sich zu bessern. Ich warte auf den Umschwung in dir.«
Er winkte mir zu und lief davon, um die letzten Vorbereitungen für sein Konzert zu treffen. Streitgespräche bricht er gern so ab, daß er wenigstens. zum Schein das letzte Wort behält.
Ich besuchte Trub. Den widerspenstigen Engel hatte man morgens herausgelassen, doch auf dem Platz hatte er erneut randaliert, und Spychalski forderte, ihn zurückzubringen.
Ich hatte den Eindruck, Trub treue sich über meinen Besuch, obwohl er das durch keine Flügelregung zeigte. Knurrend blickte er mich von der Seite an.