3
Das fremde Schiff bot sich im Vervielfacher als leuchtendes Pünktchen dar, dann dehnte es sich zu einer Schote. Es war eine Metallrakete. Wir erkannten die Heckdüsen, die nicht durch Panzerplatten abgeschirmten Fenster. Die »Raumfresser« gab Signale, das unbekannte Schiff reagierte nicht.
André vermutete, daß wir die »Mendelejew« des Robert List vor uns hätten, die vor vierhundert Jahren im Weltraum verschollen war. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß das Schiff mit der toten Besatzung vierhundert Jahre umherirren konnte.
Als das Schiff nur noch ungefähr eine Million Kilometer entfernt war, stellte André das Dechiffriergerät auf sämtliche Funkbereiche ein.
Die unbekannten Sternenreisenden, die das altertümliche Morsealphabet verwendeten, versuchten mit uns russisch und englisch zu sprechen. Deutlich wurden die Sätze verstanden: »Erde.., ohne Steuerung. Kamagin, Groman… Erde… Sternenflugzeug ,Mendelejew‘…«
»Diesmal hast du ins Schwarze getroffen«, sagte ich zu André. »Der erste Erfolg nach vielen Fehl schlagen.«
Die Funkwellen unseres Schiffes jagten in den Raum hinaus. »Ich höre Sie gut«, diktierte Olga »Ich bin ein Sternenflugzeug von der Erde, Typ Sternenpflug. Es ist unwichtig, daß Sie keine Steuerung haben. Ich bremse und leite Sie mit meinen Feldern zur Landung. Türen ohne Befehl nicht öffnen.«
Dann schwebte die »Raumfresser« über dem Photonenflugzeug, strahlte es mit seinen Scheinwerfern an. Neben dem Sternenpflug wirkte die Rakete winzig. Das hinausgeschleuderte Feld zog die »Mendelejew« sanft ins Innere unseres Schiffes, dann leitete es die »Mendelejew« zum Landeplatz, wo die operativen Sternenflugzeuge, die Planetenflugzeuge und die Aviettes standen.
Die gesamte Besatzung hatte sich auf dem Platz versammelt, um die unverhofften Gäste zu empfangen.
Die Tür der Rakete flog auf, ein Treppchen wurde herausgeschoben. Zwei kleine junge Männer erschienen. Sie rissen sich die Helme herunter und schwenkten sie. Wir jubelten ihnen zu und klatschten in die Hände.
Dann trat wie auf Verabredung Stille ein, und wir vernahmen die ersten Worte der Kosmonauten aus der Rakete.
»Mein Gott, wie groß sie sind!« sagte einer auf russisch. »Das sind ja keine Menschen, sondern Riesen!«
Ein zweiter rief begeistert: »Eduard, sie haben normale Schwere! Unsere Magnetschuhe sind hier überflüssig!«
Romero trat zu ihnen. Als einziger unter uns beherrscht er die alten Sprachen. Romero drückte den beiden die Hand und beglückwünschte sie zur gelungenen Landung. »Ich hoffe, Sie sind gesund.
Wir haben Mittel gegen jede Krankheit an Bord.«
»Wir sind gesund«, antwortete der erste. »Wir sind zu zweit ich, Eduard Kamagin, Zweiter Pilot, und Wassili Groman, Steuermann. Unsere Kameraden.., vor kurzem sind sie bei einer Katastrophe ums Leben gekommen.« Erregt fügte er hinzu:
»Warum sind Sie nicht einen Monat, wenigstens einen Monat, eher aufgekreuzt?«
Romero sagte herzlich: »Es ist lange her, daß Sie von der Erde gestartet sind, liebe Freunde!«
Darauf antwortete Groman: »Nein, nicht lange, vor drei Jahren.«
Geraune ging über den Platz, wir tauschten Blicke.
Solche Raketen wie die, die wir an Bord genommen hatten, konnte man nur noch in Museen bewundern.
»Landsleute, Sie vergessen die Einsteinsche Zeitverzögerung«, sagte Kamagin fröhlich. »Je mehr sich unsere Rakete beeilte, desto langsamer verstrich die Zeit an Bord. Wir haben die Erde im einhundertvierundvierzigsten Jahr der neuen Ära verlassen.«
Er schaute Romero an. »Würden Sie so liebenswürdig sein und mir sagen, welches Jahrhundert man draußen hat?«
Romero erwiderte: »Wir haben heute den zehnten April des Jahres fünfhundertvierundsechzig der neuen Ära!«
4
Alles bestaunten sie, diese prächtigen Burschen, die vor vierhundertzwanzig Jahren in den Kosmos gestartet und bald darauf verschollen waren. Alles, was sie sahen und hörten, begeisterte sie: »Eine fliegende Insel, haargenau.« Sie waren verblüfft, daß es innerhalb des Sternenflugzeugs nicht nur Maschinen gab, sondern auch ein Städtchen mit Park und Wasserbecken. Uns betrachteten sie beinahe ängstlich unsere Größe überraschte sie wahrscheinlich mehr als die Ausmaße des Schiffes.
Als sie erfuhren, daß wir uns im Überlichtbereich fortbewegten und Raum in Materie umwandelten, da meinten sie, wir scherzten. Die Physik des zwanzigsten Jahrhunderts der alten Ära, die die Stofflichkeit des Raums nicht begriff und die Lichtgeschwindigkeit unbegreiflicherweise als die Höchstgeschwindigkeit für alle Körper verehrte, hatte sich in ihren Gehirnen wie ein Nagel festgesetzt, und wir vermochten ihn von dort nicht herauszuziehen. Groman versuchte sogar zu streiten. Mit seinem runden Gesicht, den schwarzen Haaren, flink in Worten und Bewegungen, unterschied er sich stark von dem langsamen Kamagin, und sie beide unterschieden sich noch mehr von uns.
»Wir wußten, daß ihr, unsere Nachkommen, weit voranschreiten würdet«, sagte Groman, als wir ihm den Tanew-Effekt erklärten. »Aber ein derartiger Sprung…«
Als sich unsere jungen »Vorfahren« ausgeruht hatten, erzählten sie Näheres über ihre Reise, die so lange gedauert hatte.
In den ersten Monaten ihrer Fahrt passierten sie das Sonnensystem und drangen dann tief in die interastralen Räume ein sie hatten Kurs auf den Sirius genommen. Das Ziel der Expedition bestand darin, diesen Doppelstern zu erforschen, insbesondere den kleineren, einen weißen Zwerg, dessen Dichte vierzigtausendmal die des Wassers übertrifft Die Reise sollte nach fünfundzwanzig irdischen Jahren beendet sein. Bald nachdem sie das Sonnensystem verlassen hatten, beschleunigten sie ihr Sternenflugzeug auf Werte, die denen des Lichts nahekamen. Nur dreitausend Kilometer in der Sekunde trennten sie von der Lichtbarriere. Sie registrierten die entsprechenden Effekte: die Masse des Sternenflugzeugs nahm zu, die Bordzeit verlief langsamer. Und dann ereignete sich eine Katastrophe. Sie prallten mit einem Meteoriten zusammen, und der Teil des Sternenflugzeugs, wo die Vorräte an Treibstoff lagerten, wurde vernichtet. Von der Besatzung kam niemand zu Schaden.
Zum Glück war das Schiff in einzelne Zellen unterteilt. Die zerstörten Teile wurden blockiert. Die »Mendelejew«, durch die Explosion zusätzlich beschleunigt, jagte weiter dahin, doch nicht mehr in Richtung Sirius, sondern zum Sternbild Stier, auf den offenen Haufen der Plejaden zu. Und es bestand keine Möglichkeit, den Kurs zu korrigieren, sie hatten keinen Photonentreibstoff mehr, die Triebmechanismen arbeiteten nicht.
Nach der ersten Verzweiflung forderte Robert List von den Kosmonauten, Mut zu fassen. »Es steht schlecht«, sagte er, »aber wir leben noch, und das ist gut. Zeit haben wir genug, unser ganzes Leben, wir haben Mechanismen, Material, Laboratorien, wir werden die beschädigten Stellen abriegeln, werden versuchen, eine gewisse Menge Treibstoff herzustellen, wenn auch nicht Photonentreibstoff, so doch einfachen, wie ihn die ersten Kosmonauten bei ihren Flügen benutzten.«
Sie machten sich an die Arbeit, die nach ihrer Bordzeit rund drei Jahre, nach irdischer mehr als vier Jahrhunderte dauerte. Die beschädigten Stellen wurden abgeriegelt, und die Triebmechanismen warteten nur noch auf Treibstoff. Die Kosmonauten zählten bereits die Tage bis zu dem Augenblick, da sie die Triebwerke anlassen wollten, als die zweite Katastrophe hereinbrach. Kamagin und Groman hatten gerade Dienst im Kartenraum nur sie blieben unversehrt…
Eduard Kamagin wurde leichenblaß, als er sich der leuchtenden Kugel erinnerte, die sie unvermutet gesichtet hatten, und seine Erregung übertrug sich auf uns. Die Kugel war plötzlich dagewesen, hatte sich nicht genähert, sondern war gleichsam aus dem Nichts hervorgesprungen, wie hergezaubert das war das erste Rätsel, das sie ihnen aufgab. Die Kosmonauten fotografierten in dem Raum, woher sie kamen und wo die Sonne schon längst nicht mehr zu sehen war, Tag für Tag die Sternbilder um zurückzufinden, falls es ihnen gelingen sollte, die »Mendelejew« zu wenden. Kamagin hatte seine Aufmerksamkeit auf den Aldebaran gerichtet, sah ihn unerwartet trüb werden, tanzen, und ins Blickfeld schnellte eine grell strahlende Kugel. Kamagin schrie auf. Die Besatzung stürzte an die Bullaugen.