»Das ist ein Geschenk!« sagte Kamagin… Das wertvollste, überraschendste Geschenk, ein Blick in die unbekannte Zukunft, die schon längst Vergangenheit ist.«
»Ja, eure Zukunft!« sagte Allan dröhnend.. Das neueste Blättchen ist zwanzig Jahre nach dem Start der ,Mendelejew‘ erschienen. Da eurem Kalender zufolge seit dem Start erst drei Jahre vergangen sind, stehen euch die geschilderten Ereignisse noch bevor.”
Er entfernte sich mit den Kosmonauten, um die »Mendelejew« in Augenschein zu nehmen, während ich die Landung auf der Sigma vorzubereiten begann Mit dieser Aufgabe war ich betraut.
6
Am 8. Mai 564 landeten wir auf dem Planeten Sigma. Hier hatte es Städte gegeben, Es gab sie nicht mehr, als wir landeten. Aber ich eile voraus Ich muß beginnen, als wir die vier Trabanten der Elektra erforschten. Der erste Planet, es war der nächste, interessierte uns nicht. Das war eine rauchige, feurige Kugel Lavaozeane und darüber Wolken von Schwefelgas. Keinerlei Lebensformen konnten in dieser Höllenglut existieren. Die beiden äußeren Planeten zogen uns ebenfalls nicht an. Sie waren von der Elektra weiter entfernt als der Pluto von der Sonne, und sie waren von Massen fossilen Eises bedeckt. Der zweite aber, die Sigma, die an den Abenden rosigen Schein verbreitete, glich der Erde: Ozeane, Berge, Wälder und Flüsse. Eines überraschte uns: Als wir uns ihr näherten, erhielten wir keine Antwort auf unsere Funkwellen und Lichtsignale. Sie haben Angst vor den unverhofften Ankömmlingen, dachten wir.
Während die »Raumfresser« und die »Steuermann« über dem Planeten schwebten, wurde er von einem Planetenflugzeug angesteuert. Darin befanden sich André, ich und Lussin mit Trub. Vorsichtshalber war beschlossen worden, sonst niemanden zur Erkundung auszuschicken.
Zuerst umflogen wir die Sigma. Sie war ein kultivierter Planet. Von der Erde unterschied er sich vor allem durch die Gebirgsketten, die sich aus den Ozeanen erhoben. Das Festland bildete eine glatte Ebene, waldig und wiesenreich.
Wir entdeckten vier Städte und Dutzende von Siedlungen, aber weder Bewohner noch Fahrzeuge.
Unten lagen exakt aufgestellte Kästen fensterloser Gebäude, sie fügten sich zu Straßen, die Straßen mündeten in Plätze. Aber Straßen und Plätze waren leer.
André wählte eine Waldlichtung unweit einer Stadt und stieg als erster aus. Als ich hinausklettern wollte, kam mir Trub zuvor. Rauschend stürzte er hinaus. Jauchzend schoß er Purzelbäume in der Luft des unbekannten Planeten, wo wir landeten.
»Suchen wir die Bewohner«, sagte André.
Trub flog vor, er versuchte schneller zu sein als die Aviettes, doch bald war er müde. Lussin nahm den beschämten Engel zu sich. Gemächlich flogen wir zur Stadt.
Kurze Zeit später wanderten wir, die Aviettes hatten wir verlassen, durch die Straßen. Nach den Höhlenwohnungen der Aldebaranen und den Schutzhainen der Wegabewohner setzte uns die Stadt in Erstaunen. Immerhin waren hier Gebäude Kästen ohne Fenster und Türen, mit Öffnungen an den Dächern, geduckt, finster, unmäßig lang , manche zogen sich einen Kilometer und weiter hin. Wären die Wohnstätten nicht so riesig gewesen, hätte ich gesagt, sie erinnerten an die Häuser der Atairen »Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß die Bewohner hier Flügel haben«, sagte André »Etwa in der Art Trubs.«
Aber sie sahen eher Grashüpfern ähnlich als Engeln. Wir bekamen bald eine Gruppe zu Gesicht, sie hatten ungefähr die Größe unserer zehnjährigen Kinder, waren grün, geschuppt, besaßen durchsichtige Flügel, vier biegsame Gliedmaßen und schmale, fast menschliche Köpfe. Sie lagen an einer Wand, blutig, zerdrückt, keinem schlug das Herz, keiner atmete. Wir standen schweigend vor ihnen, Trub durchschnitt mit seinen Flügeln pfeifend die Luft »Es gibt keinen Frieden unter den Sternen,« sagte André finster. Er winkte Trub heran. »Steck doch mal deinen Kopf durch ein Loch und berichte uns, was du siehst.«
Trub kroch durch eine Öffnung und verschwand für ein paar Minuten. Dann kam er wie ein Stein heruntergeplumpst.
»Tot!« schrie er erregt. »Alle umgebracht!«
Ich rief ihn zu mir. Bereitwillig bot er mir seinen Rücken. Dieser geflügelte Bursche hatte Kräfte wie ein Stier. Mühelos trug er mich zur Öffnung hinauf. Ich steckte die Beine hindurch und setzte mich, wobei ich mich am Rande der Öffnung festhielt. »Hinein, Trub, und möglichst schnell!«
Im Nu war er durch eine andere Öffnung geschlüpft und kam von innen zu mir geflogen. Ich bin breiter in den Schultern als er und konnte mich nur mit Mühe hindurchzwängen. Trub zog mich an den Beinen und fing mich im Flug auf. Ich umfaßte seinen Hals und leuchtete mit einem Taschenscheinwerfer. Ein entsetzliches Bild! In der gigantischen Steinscheune lagen Stapel toter Grashüpfer mit Menschenköpfen. Trub bewegte schwerfällig die Flügel, flog mit mir zum Ende der Scheune und kehrte zurück; überall Leichen, nirgends wurde ein Kopf gehoben, ein Flügel gerührt.
»Seuche oder Schlacht?« fragte André, als wir wieder draußen waren.
»Wahrscheinlich Schlacht. Die Einwohner der Stadt hatten sich in den Schutz der Mauern geflüchtet, der Tod ereilte sie in ihren Zufluchtstätten. Das kann erst kürzlich geschehen sein, vielleicht vor ein paar Tagen oder Stunden.«
»Sind die Leichen ebenso zerdrückt wie diese?«
André wies auf die Toten an der Wand.
»Plattgedrückt. Offenbar ein Schlag aus Gravitationsgeschützen.«
Vor uns stand die Wand eines Gebäudes, das die Straße teilte. Wir bogen nach links ab. Lussin fing plötzlich an zu laufen und schrie: »Ein Mensch!«
Wir rannten ihm nach, kreischend überholte uns Trub. Auf einem Platz stand eine aus drei Figuren bestellende Skulptur. Ein großer Mensch umfing zwei menschenköpfige Grashüpfer. Alle drei lachten, die Gesichter erhoben. Der gelbe, prächtige Stein, dem kalten Marmor unserer Statuen gänzlich unähnlich, verstärkte den Eindruck von Freude.
»Ein Galakt«, sagte André und wies auf die nach verschiedenen Seiten gebogenen Finger der mittleren Figur.
»Empfang von Freunden«, sagte Lussin. »Ist vom Himmel gekommen. Wartet auf andere.«
Ich mußte den Galakten immerfort betrachten. Hin derart lebendiges Gesicht, daß ich den Wunsch verspürte, sein Lächeln zu erwidern. Und erneut war ich von den riesigen Augen des Galakten überrascht.
Sie waren viereckig und nahmen einen so großen Teil des Gesichts ein, daß ich zunächst nur sie bemerkte. Sie halten einen eigenen Ausdruck – Fröhlichkeit, von Unruhe überschattet; der Künstler hatte das meisterhaft wiedergegeben. Die Grashüpfer mit den klugen Menschengesichtern freuten sich nur, da sie den Galakten umfingen, er freute sich und war besorgt, er war glücklich und wachsam, anscheinend erwartete er nicht nur gute Nachrichten, während er zum Himmel spähte.
In Gedanken rief ich Wera. Die aufflammende Videosäule zeigte den Kommandeursaal, in den Sesseln saßen Wera, Olga und Leonid.
»Sei unbesorgt«, sagte Wera. »Wir beobachten euch.«
»Also habt ihr die Greuel dieser Stadt der Toten gesehen? Und wißt, was das bedeutet?«
»Ja, Eli. Ihr seid durch mächtige Felder geschützt Benutzt sie!«
Um uns herum flog Trub, bald schwang er sich auf, bald schwebte er herab. Plötzlich sauste er davon, und gleich darauf kreischte er so fürchterlich, daß wir Hals über Kopf zu ihm rannten Mir fiel ein, daß er im Gebrauch von Schutzfeldern nicht unterrichtet war, und ich schirmte ihn mit meinem ab. Trub prallte von einem Block zurück, auf den er sich wütend gestürzt hatte. Rasch hob ich das Feld auf. Trub begriff nicht, was ihm geschehen war. Er erzählte, eine unwahrscheinliche Kraft hätte ihn bei den Haaren gepackt und weggeschleudert. »Ein Feind!« ereiferte sich Trub, erneut stürzte er sich auf den Block. »Ein schurkischer Feind.«
Aber das war kein Lebewesen, wie Trub meinte, sondern wieder ein Stein. Auf einem polierten Postament erhob sich etwas Seltsames, das seinesgleichen suchte: ein Zwischending zwischen einem Erdklumpen, einer aufgeblähten Schildkröte und einem Ritterhelm aus den irdischen Museen. Aus der Mitte der Steingeschwulst ragte wie ein Schlangenleib ein biegsames Rohr, an dessen Ende ein Auswuchs war, ähnlich einer großen Gurke oder einer Ananas Dieser Auswuchs funkelte, strahlte, doch nicht wie eine Glühbirne in gleichmäßigem Schein, sondern wie tausend stechend grelle Spitzen, als wäre er mit Edelsteinen besetzt, und jede Facette glänze gesondert – die Strahlen durchbohrten, ohne zu leuchten. Diese sonderbare Anlage sah unheilvoll aus, und ich verstand Trub, der sich so ingrimmig darauf gestürzt hatte.
Schweigend standen wir vor dem Monument. Wir wußten, daß man es auch von den Sternenflugzeugen aus beobachtete, sich ebenso wie wir fragte, was das für ein Ding sei.
»Ob das ein Verderber ist?« fragte André. Von seiner Selbstsicherheit war nichts geblieben.
»Ein Verderber«, sagte Lussin. Trubs Raserei hatte ihn überzeugt.
»Eher die Kampfmaschine eines Verderbers«, versetzte ich. »Und die Gurke am Hals ist entweder ein Auge oder ein Periskop. Ich sehe hier ein großes Rätsel, André.«
»Eins? Ich würde nicht weniger als tausend zählen, Eli.«
»Eins«, sagte ich. »Nämlich dies: Aus der ersten Skulptur ist ersichtlich, daß sich die Sigmabewohner über die Galakten gefreut haben. Warum errichten sie dann den Feinden ihrer Freunde Denkmäler?
Wozu Übelwollenden Ehre erweisen?«
»Das muß noch bewiesen werden, daß Denkmäler ehrenhalber aufgestellt werden. Vielleicht ist dies eine Warnung: Vergeßt nicht, was uns droht!«
Die dritte Skulpturengruppe war, was die künstlerische Meisterschaft betraf, in der Tat großartig.
Am Rande des Postaments erhob sich ein weiterer steinerner Dickwanst mit funkelndem Auswuchs, in der Mitte und auf der anderen Seile standen Galakten und acht Sigmabewohner. Still verharrten wir vor der Skulptur. Wie hei den Atairen hol sich uns ein entsetzliches Bild der Sklaverei: Galakten und Sigmabewohner waren in Ketten gelegt.
Der Verderber war offensichtlich Aufseher dieser Gefangenenprozession.
Plötzlich schlug uns stechendes Licht entgegen, eine Schwere, gegen die wir nicht ankamen, schleuderte uns an die Wand. Mir war, als wäre ich unter einer Presse und würde zermalmt.