»Nur Allan hat uns bisher um die Hälfte verlangsamt«, wies Leonid nach. »Sein Sternenflugzeug ist eine Schnecke.«
Als wir den Bereich der Lichtgeschwindigkeit verließen, gab sich Leonid seiner Leidenschaft für Schnelligkeit hin. Hätte die Leere, die vernichtet wurde, Laute von sich geben können, die ganze Galaxis wäre vom Krachen des berstenden Raumes erfüllt gewesen. Doch wir flogen im erhabenen Schweigen des Kosmos dahin. Vor uns trat wie ein blaugrauer Dunstschleier kaum sichtbar die Doppelgruppe im Perseus hervor, viele Monate mußten vergehen, ehe sie sich aus dem matten Nebelfleck in eine Schar von Gestirnen verwandeln würden.
Jedermann weiß, daß die galaktischen Räume leer sind. Doch es ist eins, dies zu wissen, etwas anderes, es zu empfinden.
Beim Flug von der Erde zur Ora spürte ich die Leere nicht, die Sterne entfernten und näherten sich, das Muster der Sternbilder änderte sich. Erst auf dem Flug zu den Plejaden hatte uns die gigantische Leere angeweht, ein Tag folgte dem anderen, eine Woche der anderen, tausendfach überholten wir das Licht doch außerhalb unseres Schiffes blieb alles beim alten. Als wir uns dann von den Plejaden entfernten, begriff ich ganz, wie abgrundtief leer das Weltall ist! Bereits nach einer Woche hatte sich die herrliche Ansammlung, dreihundert Sterne auf einem Haufen, in ebenso ein Knäulchen leuchtender Wolle verwandelt, wie sie von der Erde aus zu sehen ist. Mitunter trafen wir verirrte Sterne, meistens waren es dunkle Zwerge, nie ein Gigant oder ein Übergigant. Auf keinem dieser Himmelskörper fanden sich Anzeichen von Leben. Das Leben ist in der Galaxis ein selteneres Geschenk als die Warme und das Licht.
Jetzt besaß ich einen eigenen Sessel im Kommandeursaal, neben dem diensthabenden Kommandeur.
Die Dechiffriergeräte fingen jede Welle und jedes Aufblitzen ein, die Protonen und die Neutronen, die Schwere- und die elektrischen Felder. Ihre Informationen gelangten in die Schiffsmaschinen, die erteilten den Automaten Befehle, und ich lauschte dieser unermüdlichen Forschungsarbeit, stellte den Mechanismen ergänzende Aufgaben. Jeden Tag ging ich ins Gravitationslaboratorium. Ich schaltete die Mechanismen ein, die Dechiffriergeräte fingen deren Impulse auf, die Schiffsmaschinen berechneten die Ergebnisse. Die Gehirnstrahlungen der Verderber, die André aufgenommen hatte, die Gravigramme der Kreuzer, die uns überfallen hatten, wurden wieder und wieder begutachtet.
Diese Arbeit hielt ich für meine Hauptaufgabe.
Früher hatte André alles selbst gemacht. Wir hatten über seine hervorsprudelnden Theorien gewitzelt, hatten seine Gedankenblitze herablassend gutgeheißen, wir selber aber hatten uns kein Bein ausgerissen.
Unaufhörlich brachte er blendende Ideen hervor.
Begierig griff er jedes Rätsel auf, schlug sich damit herum, bis er es gelöst hatte warum sollten wir uns da plagen? Alles, was sich machen ließ, machte er, und er machte es besser als jeder von uns so empfanden wir. Nun war André nicht mehr da.
Der geniale Generator neuer Ideen war verschwunden. Er mußte ersetzt werden, zumindest zum Teil.
Ich besaß nicht im entferntesten Andrés hinreißende Leichtigkeit. Doch unermüdlich überlegte ich – seine Intuition wollte ich durch stetes Bemühen ersetzen.
Dort, wo er die Weite des Unbekannten mit zwei, drei Riesensprüngen überwand, arbeitete ich mich kriechend vor, irrte mich, kehrte zurück und kroch abermals vor. Auf jeden Fall war ich beharrlich.
Ich nahm mir in Gedanken tausendmal ein und dasselbe Bild vor: Mit, Feldern pressen wir den schwächer werdenden Augenköpfigen zusammen, verzweifelt sendet er den Seinen: »Hilfe! Hilfe!«
Seine Gravitationsrufe dringen mit normaler Lichtgeschwindigkeit hinaus, mit der gleichen Geschwindigkeit kommen die Antworten. Nach der Zeit, die den Ruf und die Antwort trennt, kann man die Entfernung zwischen der Sigma und dem Kreuzer ausrechnen, der dem Verderber zu Hilfe kam. Doch der Kreuzer konnte vor der Nacht nicht eintreffen, so hatte er mitgeteilt. Wieviel Tage oder Wochen Lichtweges trennten sie? Andererseits hatte sich der Augenköpfige mit dem Kreuzer so unterhalten, als befände sich der neben ihm.
Was ist das? fragte ich mich. Was kann den Raum mit Überlichtgeschwindigkeit durcheilen, ohne ihn zu vernichten?
Sogar im Schlaf versuchte ich dieses Rätsel zu lösen. Einmal stellte ich das Dechiffriergerät auf die Strahlungen meines Gehirns ein, und es bewies, daß ich mich auch im Ruhezustand mit diesem Problem herumschlug. Alles in mir arbeitete pausenlos daran, ich war, ob nun wach oder schlafend, wie ein Automat auf die Lösung eingestellt, und wenn ich gelegentlich abgelenkt wurde, so hörte ich zu und antwortete, während ich mich im stillen weiterhin bemühte, diesem Rätsel beizukommen.
Ganz allmählich begann sich, zwar noch undeutlich, die Lösung abzuzeichnen. Sie war derart einfach, daß ich es zunächst nicht glaubte. Aber alle Wege führten zu einem Punkt, alle logischen Fäden waren zu einem Knoten geknüpft. Ich übergab die gefundene Hypothese der Schiffsmaschine. Sie verkündete, die Hypothese berge keine Widersprüche in sich und könne als Ausgangsbasis dienen, Endlich war ich auf dem richtigen Weg! Bis zum brauchbaren Ergebnis war es noch weit, doch ich wußte, daß ich den Weg bis zu Ende gehen würde.
Ich bat Olga zu mir. Sie kam ins Laboratorium, hörte lange zu, ohne mich zu unterbrechen, dann sagte sie: »Also du meinst, daß dieses rätselhafte Agens zur Nachrichtenübermittlung, das sich in Augenblicksschnelle im Raum verbreitet, der Raum selbst sei?«
»Ja, der Raum selbst. Genauer, die Dichteschwankungen des Raums. Nur die Raumveränderungen können sich im Raum mit Überlichtgeschwindigkeiten ausbreiten das ist mein Gedanke.«
Olga führte meine Hypothese weiter: »Wir haben gelernt, Materie in Raum zu verwandeln und aus dem Raum wieder Materie zu erhalten. Kurz und gut, wir operieren mit Extremen schaffen und vernichten… Doch dazwischen gibt es ein Spektrum verschiedenartiger Zustände, die vielleicht nicht weniger wichtig sind als die Extreme… Wir müssen suchen, Eli, wir alle müssen suchen, nicht nur du allein.«
16
An diesem Abend konnte ich lange nicht einschlafen. Ich dachte an André. Er hätte mich für die Entdeckung der Raumwellen gelobt. Besser als jeder andere, besser als ich und Olga hätte er die Bedeutung dieser Entdeckung beurteilen können.
André stand vor mir. Ich hörte seine Stimme, ich schloß die Augen, um ihn besser zu sehen und zu hören. Er schritt im Zimmer auf und ab, schüttelte die kunstvollen Locken und stritt mit mir. Er war, wie stets, etwas komisch und sehr anziehend.
Er war in Not, doch ich konnte ihm nicht helfen.
»Du bist schwer von Begriff, Eli«, sagte er ärgerlich. »Spottlust ist in dir mit ziemlicher Sturheit verquickt. Wenn ich geäußert hätte, wohin du mit solcher Mühe gelangt bist, dann hättest du dich erst einmal eine Weile über mich lustig gemacht.
Jede Idee von mir hast du spöttisch aufgenommen ist es nicht so?«
»Nein«, verteidigte ich mich. »Sei gerecht, André, so war es nicht! Vieles begriff ich sofort.«
Schonungslos widerlegte er mich. So grausam wie in meinen Träumen war er in Wirklichkeit nie gewesen.
»Und die Unsichtbaren?« fragte er. »Die Unsichtbaren, EH? Hast du nicht schallend gelacht, als du von ihnen hörtest.«
»Ja, die Unsichtbaren«, antwortete ich. »Stimmt, ich war erstaunt und lachte. Und ich bin grausam dafür bestraft, daß ich deinen Gedankenblitz nicht ernst nahm und mich nicht sofort um Schutz kümmerte. Wir sind alle bestraft, André, alle!«
»Meine anderen Ideen hast du auch verlacht, Eli«, bemerkte er, »denk besser nach.«
Ich rief mir seine Ideen und Theorien ins Gedächtnis zurück, sammelte Argumente verspätet rechtfertigte ich mich vor André. Wie glänzend er begründet hatte, daß sich die Hyaden von allen Sternen der Welt entfernen. Vielleicht war schon eine Expedition unterwegs, um diese Hypothese zu überprüfen, und die Expedition hätte zweifellos bewiesen, daß die Hyaden in ein künstlich geschaffenes Loch im Weltraum stürzen.