Klaus Mann
Mephisto
(1906-1949)
Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.
Goethe, Wilhelm Meister
Vorspiel
1936
In einem der westdeutschen Industriezentren sollen neulich ber achthundert Arbeiter verurteilt worden sein, alle zu hohen Zuchthausstrafen, und das im Laufe eines einzigen Prozesses.
Nach meinen Informationen sind es nur fnfhundert gewesen; ber hundert andere hat man erst gar nicht abgeurteilt, sondern heimlich umbringen lassen, ihrer Gesinnung wegen.
Sind die Lhne wirklich so entsetzlich schlecht?
Miserabel. Dabei fallen sie noch - und die Preise steigen.
Die Dekorierung des Opernhauses fr heute abend soll sechzigtausend Mark gekostet haben. Dazu kommen mindestens noch vierzigtausend Mark andere Spesen - nicht mitgerechnet die Unkosten, die es der ffentlichen Kasse gemacht hat, das Opernhaus, wegen der Vorbereitungen fr den Ball, fnf Tage lang geschlossen zu halten.
Eine nette kleine Geburtstagsfeier.
Ekelhaft, da man den Rummel mitmachen mu.
Die beiden jungen auslndischen Diplomaten verneigten sich, auf den Gesichtern das liebenswrdigste Lcheln, vor einem Offizier in groer Uniform, der hinter seinem Monokel einen mitrauischen Blick auf sie geworfen hatte.
Die ganze hohe Generalitt ist da. Sie sprachen erst wieder, als sie die groe Uniform auer Hrweite wuten.
Aber sie sind alle fr den Frieden begeistert, fgte der andere boshaft hinzu.
Wie lange noch? fragte frhlich lchelnd der erste, wobei er eine kleine Dame von der japanischen Botschaft begrte, die am Arm eines hnenhaften Marineoffiziers klein und zierlich einherschritt.
Wir mssen auf alles gefat sein.
Ein Herr vom Auswrtigen Amt gesellte sich zu den beiden jungen Botschaftsattaches, die sofort dazu bergingen, Pracht und Schnheit der Saaldekoration zu preisen. Ja, der Herr Ministerprsident hat Freude an diesen Dingen, sagte, etwas verlegen, der Herr vom Auswrtigen Amt. - Aber es ist alles geschmackvoll, versicherten die beiden jungen Diplomaten, beinah im gleichen Atem. - Gewi, sprach geqult der Herr aus der Wilhehnstrae-. - Eine so prachtvolle Veranstaltung kann man heute nirgends als in Berlin finden, sagte einer der beiden Auslnder noch. Der Herr vom Auenministerium zgerte eine Sekunde lang, ehe er sich zu einem, hflichen Lcheln entschlo.
Es entstand eine Gesprchspause. Die drei Herren blickten um sich und lauschten dem festlichen Lrm. Kolossal, sagte schlielich einer von den beiden jungen Leuten leise - diesmal ohne jeden Sarkasmus, sondern wirklich beeindruckt, beinah verngstigt von dem riesenhaften Aufwand, der ihn umgab. Das Flimmern der von Lichtern und Wohlgerchen gesttigten Luft war so stark, da es ihm die Augen blendete. Ehrfurchtsvoll, aber mitrauisch blinzelte er in den bewegten Glanz.,Wo bin ich nur?' dachte der junge Herr - er kam aus einem der skandinavischen Lnder -.,Der Ort, an dem ich mich befinde, ist ohne Frage sehr lieblich und verschwenderisch ausgestattet; dabei aber auch etwas grauenhaft. Diese schn geputzten Menschen sind von einer Munterkeit, die nicht gerade vertrauenerweckend wirkt. Sie bewegen sicli wie die Marionetten - sonderbar zuckend und eckig. In ihren Augen lauert etwas, ihre Augen haben keinen guten Blick, es gibt in ihnen soviel Angst und soviel Grausamkeit. Bei mir zu Hause schauen die Leute auf eine andere Art - sie schauen freundlicher und freier bei mir zu Hause. Man lacht auch anders bei uns droben im Norden. Hier haben die Gelchter etwas Hhnisches und etwas Verzweifeltes; etwas Freches, Provokantes, und dabei etwas Hoffnungsloses, schauerlich Trauriges. So lacht doch niemand, der sich wohl fhlt in seiner Haut. So lachen doch Mnner und Frauen nicht, die ein anstndiges, vernnftiges Leben fhren' -
Der groe Ball zum dreiundvierzigsten Geburtstag des Ministerprsidenten fand in allen Rumen des Opernhauses statt. In den ausgedehnten Foyers, in den Couloirs und Vestiblen bewegte sich die geputzte Menge. Sie lie Sektpfropfen knallen in den Logen, deren Brstungen mit kostbaren Draperien behngt waren; sie tanzte im Parkett, aus dem man die Stuhlreihen entfernt hatte. Das Orchester, das auf der leergerumten Bhne seinen Platz hatte, war umfangreich, als sollte es eine Symphonie auffhren, mindestens von Richard Strauss. Es spielte aber nur, in keckem Durcheinander, Militrmrsche und jene Jazzmusik, die zwar wegen niggerhafter Unsittlichkeit verpnt war im Reiche, die aber der hohe Wrdentrger auf seinem Jubelfeste nicht entbehren wollte.
Hier hatte alles sich eingefunden, was in diesem Lande: etwas gelten wollte, niemand fehlte - auer dem Diktator selbst, der sich wegen Halsschmerzen und angegriffener Nerven hatte entschuldigen lassen, und auer einigen etwas plebejischen Parteiprominenten, die nicht eingeladen worden waren. Hingegen bemerkte man mehrere kaiserliche und knigliche Prinzen, viele Frstlichkeiten und fast den ganzen Hochadel; die gesamte Generalitt der Wehrmacht, sehr viel einflureiche Finanziers und Schwerindustrielle; verschiedene Mitglieder des diplomatischen Korps - meistens von den Vertretungen kleinerer oder weit entfernter Lnder -; einige Minister, einige berhmte Schauspieler - die huldvolle Schwche des Jubilars fr das Theater war bekannt - und sogar einen Dichter, der sehr dekorativ aussah und brigens die persnliche Freundschaft des Diktators geno. ber zweitausend Einladungen waren verschickt worden; von diesen waren etwa tausend Ehrenkarten, die zum unentgeltlichen Genu des Festes berechtigten; von den Empfngern der brigen tausend hatte jeder fnfzig Mark Eintritt zahlen mssen: So kam ein Teil der ungeheueren Spesen wieder herein - der Rest blieb zu Lasten jener Steuerzahler, die nicht zum nhereil Umgang des Ministerprsidenten und also keineswegs zur Elite der neuen deutschen Gesellschaft gehrten.
Ist es nicht ein wunderschnes Fest! rief die umfangreiche Gattin eines rheinischen Waffenfabrikanten der Frau eines sdamerikanischen Diplomaten zu. Ach, ich amsiere mich gar zu gut! Ich bin so glnzender Laune, und ich wnschte mir, da alle Menschen in Deutschland, und berall, glnzender Laune wrden!
Die sdamerikanische Diplomatenfrau, die nicht gut Deutsch verstand und sich langweilte, lchelte suerlich.
Die muntere Gattin des Fabrikanten war von solchem Mangel an Enthusiasmus enttuscht und entschlo sich dazu, weiter zu promenieren. Entschuldigen Sie mich, meine Liebe! sagte sie fein und raffte die glitzernde Schleppe. Ich mu eben mal eine alte Freundin aus Kln begren - die Mutter unseres Staatstheaterintendanten, Sie wissen doch, des groen Hendrik Hfgen.
Hier tat die Sdamerikanerin zum erstenmal den Mund auf, um zu fragen: Who is Henrik Hopfgen? - was die Fabrikantengattin veranlate, leise aufzuschreien: Wie?! Sie kennen unseren Hfgen nicht? Hfgen, meine Beste - nicht Hopfgen! Und Hendrik, nicht Henrik - er legt grten Wert auf das kleine,d'! Dabei war sie schon auf die distinguierte Matrone zugeeilt, die am Arme des Dichters und Fhrerfreundes wrdevoll durch die Sle schritt. Liebste Frau Bella! Es ist eine Ewigkeit her, da man sich nicht gesehen hat! Wie geht es Ihnen denn, Liebste? Haben Sie manchmal Heimweh nach unserem Kln? Aber Sie befinden sich hier ja in einer so glnzenden Position! Und wie geht es Frulein Josy, dem lieben Kind? Vor allem: Was macht Hendrik - Ihr groer Sohn! Himmel, was ist aus ihm alles geworden! Er ist ja fast so bedeutend wie ein Minister! Jaja, liebste Frau Bella, wir in Kln haben alle Sehnsucht nach Ihnen und Ihren herrlichen Kindern!
In Wahrheit hatte sich die Millionrin niemals um Frau Bella Hfgen gekmmert, als diese noch in Kln gelebt und ihr Sohn die groe Karriere noch nicht gemacht hatte. Die Bekanntschaft zwischen den beiden Damen war nur eine flchtige gewesen; niemals war Frau Bella eingeladen worden in die Villa des Fabrikanten. Nun aber wollte die lustige und gemtvolle Reiche die Hand der Frau, deren Sohn man zu den nahen Freunden des Ministerprsidenten zhlte, gar nicht mehr loslassen.