Da er so laut lachte und von der Norddeutschen Wanderbhne sprach, eilten von allen Tischen die Kollegen herbei: Man wute, da nun Anekdoten kommen wrden, und zwar keine abgestandenen alten, sondern neue, und wahrscheinlich ziemlich gute - es geschah selten, da Hendrik sich wiederholte.
Es wurde ein reizender Abend. Hfgen war blendend in Form. Er bezauberte, er brillierte. Als htte er ein groes Publikum vor sich, anstatt nur die paar geringen Kollegen, verschwendete er, gromtig-bermtig, Witz, Charme und Anekdotenschatz. Was war nicht alles an dieser Wanderbhne passiert, wo er die Vterrollen hatte spielen mssen! Die Motz bekam schon Atemnte vor Lachen. Kinder, ich kann nicht mehr! schrie sie, und da Bonetti ihr drollig-galant mit dem Tchlein fchelte, bersah sie, da Petersen sich schon wieder Schnaps bestellte. Als Hfgen aber dazu berging, mit schriller Stimme, flatternden Gesten und unheimlich schielenden Augen die jugendliche Sentimentale der Wanderbhne nachzuahmen, da verzog sogar Vater Hansemann die.starre Miene, und Herr Knurr mute sein Grinsen hinter dem Taschentuch verbergen. Mehr Triumph war nicht herauszuholen aus der Situation. Hfgen brach ab. Auch die Motz wurde ernst, da sie feststellte, wie besoffen Petersen war. Kroge gab das Zeichen zum Aufbruch. Es war zwei Uhr morgens. Zum Abschied schenkte die Mohrenwitz, die immer originelle Einlalle hatte, Hendrik ihre lange Zigarettenspitze, ein dekoratives, brigens wertloses Stck. Weil du heute abend so enorm amsant gewesen bist, Hendrik. Ihr Monokel blitzte sein Monokel an. Man sah, da Angelika Siebert, die neben Bonetti stand, vor Eifersucht eine weie Nase bekam, und dazu Augen, die trnenvoll und gleichzeitig ein wenig tckisch waren.
Frau von Herzfeld hatte Hendrik aufgefordert, noch eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Im leeren Lokal machte Vater Hansemann schon die Lampen aus. Fr Hedda war das Halbdunkel vorteilhaft: Ihr groes, weiches Gesicht mit den sanften, klug beseelten Augen erschien nun jnger, oder doch alterslos. Dieses war nicht mehr das betrbte Antlitz der alternden, intellektuellen Frau. Die Wangen wirkten nicht mehr flaumig, sondern glatt. Das Lcheln um die orientalisch trgen, halbgeffneten Lippen war nicht mehr ironisch, sondern fast verfhrerisch. Still und zrtlich schaute Frau von Herzfeld auf Hendrik Hfgen. Sie dachte nicht daran, da sie selber reizvoller aussah als sonst; nur da Hendriks Gesicht mit dem angestrengten Leidenszug an den Schlfen und dem edlen Kinn bla und deutlich in der Dmmerung stand, merkte sie und geno sie.
Hendrik hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gesttzt und die Fingerspitzen seiner ausgestreckten Hnde gegeneinander gelegt. Diese anspruchsvolle Haltung leistete er sich wie einer, der besonders schne, gotisch spitze Hnde hat. Hfgens Hnde waren aber keineswegs gotisch; vielmehr schienen sie den Leidenszug der Schlfen durch ihre unschne Derbheit widerlegen zu wollen. Die Handrcken waren sehr breit und rtlich behaart; breit waren auch die ziemlich langen Finger, die in eckigen, nicht ganz sauberen Ngeln endeten. Gerade diese Ngel waren es wohl, die den Hnden ihren unedlen, beinah unappetitlichen Charakter gaben. Sie schienen aus minderwertiger Substanz zu sein: brckelig, sprde, ohne Glanz, ohne Form und Wlbung.
Diese Schadhaftigkeiten und Mngel aber verbarg die vorteilhafte Dmmerung. Hingegen lie sie das trumerische Schielen der grnlichen Augen rtselhaft und reizend wirken.
Woran denken Sie, Hendrik? fragte die Herzfeld, nach langem Schweigen, mit einer innig gedmpften Stimme.
Ebenso leise antwortete Hfgen: Ich denke daran - da Dora Martin unrecht hat Hedda lie ihn, ber seine aneinandergelegten Hnde hinweg, ins Dunkel reden, ohne zu fragen oder zu widersprechen. Ich werde mich nicht beweisen, klagte er in die Dmmerung. Ich hahe nichts zu beweisen. Niemals werde ich erstklassig sein. Ich bin provinziell. Er verstummte, prete die Lippen aufeinander, als erschrke er selber vor den Erkenntnissen und Bekenntnissen, zu denen die sonderbare Stunde ihn brachte.
Und weiter? fragte Frau von Herzfeld mit sanftem Vorwurf. Und weiter denken Sie nichts? Immer nur daran? Da er stumm blieb, dachte sie: Ja - dieses ist wohl das einzige, was ihn wirklich beschftigt. Das mit dem politischen Theater vorhin und sein Enthusiasmus fr die Revolution - das war also auch nur Komdie.' Diese Entdeckung erfllte sie mit Enttuschung; irgendwo fhlte sie sich aber auch auf eine merkwrdige Art von ihr befriedigt. Er lie mysteris die Augen schillern; eine Antwort hatte er nicht.
Merken Sie denn nicht, wie Sie die kleine Angelika qulen? fragte die Frau neben ihm. Spren Sie denn nicht, da Sie - andere leiden machen? Irgendwo mssen Sie doch fr all das bezahlen. Sie lie den klagenden und suchenden Blick nicht von ihm. Irgendwo mssen Sie doch ben - und lieben.
Nun war es ihr doch peinlich, da sie dies gesagt hatte. Es war entschieden zuviel, sie hatte sich gehen lassen. Schnell entfernte sie ihr Gesicht von seinem. Zu ihrem Erstaunen bestrafte er sie durch kein bses Grinsen, durch kein hhnisches Wort. Vielmehr blieb sein Blick schielend, schillernd und starr, ins Dunkel gerichtet, als suchte er dort Antwort auf dringliche Fragen, Stillung seiner Zweifel und das Bild einer Zukunft, deren eigentlicher Sinn es war, ihn gro zu machen.
II Die Tanzstunde
Fr den nchsten Tag hatte Hendrik den Beginn der Probe auf halb zehn Uhr angesetzt. Pnktlich versammelte sich das Ensemble, soweit es in Frhlings Erwachen beschftigt war, teils auf der zugigen Bhne, teils im sprlich beleuchteten Parkett. Nachdem man etwa eine Viertelstunde lang gewartet hatte, entschlo sich Frau von Herzfeld dazu, Hfgen aus dem Bro zu holen, wo er sich seit neun Uhr mit den Direktoren Schmilz und Kroge besprach.
Gleich bei seinem Eintritt waren sich alle darber klar, da er sich heute in der ungndigsten Stimmung befand - der strahlende Causeur1 vom vorigen Abend war nicht wiederzuerkennen. Die Schultern auf nervse Art hochgezo-gen, die Hnde in den Hosentaschen vergraben, ging er eilig durch das Parkett und bat, mit einer vor Gereiztheit fast tonlosen Stimme, um ein Exemplar des Textbuches. Ich habe meines zu Hause liegenlassen. Er hatte einen bitter gekrnkten Ton, der gleichsam allen Anwesenden einen leisen, aber intensiven Vorwurf ans dem Umstand machte, da er, Hendrik, beim Weggehen vergelich und zerstreut gewesen war. Nun, darf ich bitten? Es gelang ihm, zugleich wegwerfend gedmpft und sehr schneidend zu sprechen. Hat denn niemand so ein Heftchen fr mich?
Die kleine Angelika reichte ihm das ihre. Ich brauche mein Buch nicht mehr, sagte sie errtend. Ich kann meinen l ext.
Hendrik, anstatt sich zu bedanken, bemerkte kurz: Das will ich auch hoffen! - und wandte sich von ihr ab.
ber dem roten Seidenschal, den er statt eines Hemdes trug - oder der doch das Hemd, falls er ein solches anhatte, versteckle -, wirkte sein Gesicht besonders fahl. Das eine Auge schaute, unter halb gesenktem Lid, verchtlich und bse; vor dem anderen blitzte das Monokel. Als er mit einer pltzlich ganz hellen, durchdringenden und etwas klirrenden Kommandostimme rief: Anfangen, Herrschaften! - zuckte alles zusammen.
Er rannte im Zuschauerraum umher, whrend auf der Bhne gearbeitet wurde. Den Moritz Stiefel - die Rolle, welche er sich selber vorbehalten hatte - lie er von Mi-klas, dem seine eigene Partie nur sehr wenig zu tun gab, markieren. Darin konnte man eine besondere Bosheit sehen, da der arme Miklas doch seinerseits den Moritz, fr sein Leben gerne gespielt htte. brigens schien Hfgen, mit provokantem Hochmut, den Kollegen andeuten zu wollen, da er seinerseits es keineswegs ntig habe, irgend etwas zu probieren oder vorzubereiten: er war der Regisseur, stand ber dem Ganzen; seine Routine war so gro wie sein Genie, die eigene Rolle erledigte er nebenbei; erst auf der Generalprobe wrde man es von ihm zu sehen und zu hren bekommen, wie Moritz Stiefel, der dstere Gymnasiast, der verzweifelt liebende, der Selbstmrder aufzufassen und zu spielen sei.