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Hingegen bekam man es jetzt schon von ihm gezeigt, was man aus dem Mdchen Wendla, dem Knaben Melchior, der mtterlichen Frau Gabor machen konnte. Hendrik sprang, mit einer berraschenden Behendigkeit, auf die Bhne, und wirklich: er verwandelte sich in das zarte Mdchen, das in den morgendlichen Garten tritt und die ganze Welt umarmen mchte, da sie an den Geliebten denkt; in den lebenshungrigen und stolzen Knaben; in die kluge, sorgenvolle Mutter. Seine Stimme konnte zrtlich, bermtig oder gedankenvoll klingen. Es gelang ihm, in diesem Augenblick kindlich jung auszusehen, im nchsten aber uralt. Er war ein glnzender Schauspieler.

Wenn er es dem schnen Bonetti, der die Brauen halb verrgert, halb achtungsvoll hochzog, oder der demtigen Angelika, die gegen Trnen kmpfte, eindrucksvoll demonstriert hatte, was man mit ihren Rollen eigentlich anfangen knnte, wenn man nur das Zeug dazu htte, schnitt er eine mde und verchtliche Grimasse, klemmte sich das Monokel vors Auge und stieg ins Parkett zurck. Von dort aus erklrte, arrangierte und kritisierte er weiter. Keiner blieb verschont von seinen hhnisch herabsetzenden Worten, sogar Frau von Herzfeld wurde abgekanzelt - was sie mit einem verzerrt-ironischen Lcheln hinnahm -; die kleine Angelika hatte sich schon mehrmals trnenberstrmt in die Kulisse zurckgezogen; auf Bonettis Stirne zeigten sich Zornesadern; am tiefsten und leidenschaftlichsten aber rgerte sich Hans Miklas, dessen Gesicht vor Zorn zu verfallen und schwarze Lcher zu bekommen schien.

Da alle litten, wurde Hendrik zusehends besserer Laune. Whrend der Mittagspause, in der Kantine, unterhielt er sich recht angeregt mit Frau von Herzfeld. Um halb drei Uhr lie er die Gesellschaft wieder zur Arbeit antreten. Es war gegen halb vier Uhr, als der schne Bonetti seinen angewiderten Zug um den Mund bekam, die Hncle in die Hosentaschen steckte und gnauzend wie ein verwhntes Kind sagte: Ist denn noch nicht bald Schlu mit der Schinderei? Daraufhin warf Hfgen ihm einen vernichtenden Blick zu aus seinen weichen und eiskalten Augen. Er sagte: Wann aufgehrt wird, das bestimme allein ich! und hielt das schne Kinn besonders hoch gereckt. Dem eingeschchterten Ensemble zeigte er das Antlitz eines edlen und nervsen Tyrannen. Weitermachen, Herrschaften! rief er, wobei seine Stimme den hellen Metallton hatte, dem fast niemand widerstehen konnte. Wo haben wir unterbrochen?

Man probierte folgsam die nchste Szene, war aber kaum mit ihr zu Ende gekommen, als Hendrik seinerseits einen Blick auf die Armbanduhr warf. Sie zeigte ein Viertel vor vier Uhr: Whrend er es feststellte, erschrak er, und zwar so heftig, da es weh im Magen tat. Ihm war eingefallen, da er um vier Uhr eine Verabredung mit Juliette in seiner Wohnung hatte. Sein Lcheln war etwas krampfhaft, als er dem Ensemble mit hastigfreundlichen Worten mitteilte, nun msse Schlu gemacht werden. Dem jungen Miklas, der sich ihm mrrischen Gesichtes nahte, um irgendeine Frage zu stellen, winkte er eilig ab. Er rannte durch das dunkle Parkett dem Ausgang zu; legte das steile Stck Weges, das zwischen dem Theaterportal und der Kantine lag, laufend zurck; langte atemlos im H. K. an; ri dort seinen braunen Ledermantel und den weichen grauen Hut vom Nagel und war schon davon.

Die altmodische Villa, in deren Erdgescho er ein Zimmer bewohnte, lag in einer jener stillen Straen, die vor dreiig Jahren zu den vornehmsten der Stadt gehrt hatten. Mit der Inflation waren die meisten Bewohner der feinen Gegend arm geworden; ihre Villen mit den vielen Zinnen und Giebeln sahen schon recht heruntergekommen aus - verwahrlost, wie die groen Grten, die sie umgaben. Auch Frau Konsul Mnkeberg, der Hendrik monatlich vierzig Mark fr eine gerumige Stube bezahlte, fand sich in bedrngten Verhltnissen. Trotzdem war sie eine tadellose, stolze alte Dame geblieben, die ihre sonderbaren Kostme mit Puffrmeln1 und Spit-zenumhang wrdevoll trug, auf deren glattem Scheitel niemals ein Haar sich widerspenstig zu zeigen wagte und um deren schmale Lippen ironische, aber nicht bittere Fltchen spielten.

Hendrik fhlte sich unsicher in der Gegenwart der Dame Mnkeberg; ihre vornehme Herkunft und Vergangenheit schchterten ihn ein. So war es ihm auch jetzt durchaus nicht angenehm, der feinen Alten im Vestibl zu begegnen, nachdem er gerade die Haustr so krachend hinter sich ins Schlo geworfen hatte. Angesichts ihrer imposanten Haltung nahm auch er sich ein wenig zusammen; zupfte sich den roten Seidenschal zurecht und klemmte sich das Monokel vors Auge. Guten Abend, gndige Frau, wie geht es Ihnen? sprach er mit der singenden Stimme, die sich am Ende der Hflichkeitsfloskel nicht hob, wodurch der formelhaft konventionelle und anmutig leere Charakter des Satzes betont ward. Die artige kleine Anrede begleitete er mit einer leichten Verneigung, die, bei aller eleganten Nachlssigkeit, doch beinah hfischen Stil hatte.

Die Witwe Mnkeberg lchelte nicht; nur die Fltchen einer erfahrenen Ironie spielten ihr ein wenig strker um Augen und schmale Lippen, als sie erwiderte: Beeilen Sie sich, lieber Herr Hfgen! Ihre - Lehrerin envartet Sie schon seit einer Viertelstunde. Die boshafte kleine Pause, welche Frau Mnkeberg vor dem Wort Lehrerin machte, bewirkte, da Hendrik sein Gesicht hei werden fhlte..Sicher bin ich ganz rot geworden', dachte er, rgerlich und beschmt.,Aber sie kann es wohl hier im Halbdunkel nicht bemerken', versuchte er, sich selbst zu beruhigen, whrend er sich mit der vollendeten Anmut eines spanischen Granden zurckzog.

Ich danke Ihnen, gndige Frau. Er hatte die Fre zu seinem Zimmer geffnet.

Im Rume herrschte ein rosiges Halbdunkel; es brannte nur die mit buntem Seidentuch verhllte Lampe auf dem niedrigen, runden Tisch neben dem Schlafsofa. In die farbige Dmmerung hinein rief Hendrik Hfgen mit einer ganz kleinen, demtigen, etwas zitternden Stimme: Prinzessin Tebab, wo bist du?

Aus einer dunklen Ecke antwortete ihm ein tiefes, grollendes Organ: Hier, du Schwein - wo denn sonst? Oh - danke -, sagte, immer noch sehr leise, Hendrik, der mit gesenktem Haupt bei der Tre stehengeblieben war. Ja jetzt kann ich dich sehen Ich bin froh, da ich dich sehen kann

Wieviel Uhr ist es? schrie die Frau aus der Ecke. Hendrik versetzte bebend: Ungefhr vier Uhr - denke ich.

Ungefhr vier Uhr! Ungefhr vier Uhr! hhnte die bse Person, die immer noch im Schatten unsichtbar blieb. Ist ja drollig! Ist ja ausgezeichnet! Sie sprach mit einem stark norddeutschen Akzent. Ihre Stimme war ausgeschrien wie die eines Matrosen, der sehr viel suft, raucht und schimpft. Es ist ein Viertel nach vier Uhr, stellte sie fest, pltzlich unheimlich leise.

Mit derselben schauerlichen Gedmpftheit, die nichts Gutes verhie, forderte sie ihn auf: Willst du nicht eben mal ein bichen nher an-mich ran kommen, Heinz - nur ein ganz klein bichen! Aber erst mach das Licht an! Unter der Anrede Heinz zuckte Hendrik zusammen wie unter dem ersten Schlag. Er gestattete es keinem Menschen, auch seiner Mutter nicht, ihn so zu nennen: Nur Juliette durfte es wagen. Auer ihr wute es wohl niemand hier in der Stadt, da sein eigentlicher Vorname Heinz war - ach, in welcher sen und schwachen Stunde hatte er es ihr anvertraut? Heinz: das war der Name, mit dem alle ihn angeredet hatten, bis zu seinem achtzehnten Jahr. Erst als er sich darber klargeworden war, da er Schauspieler und berhmt werden wollte, hatte er sich den gewhlteren Hendrik zugelegt. Wie schwer war es bei der Familie durchzusetzen gewesen, da man sich an ihn gewhnte und ihn ernst nahm - diesen ausgefallenen, anspruchsvollen Hendrik! Wie viele Briefe, die mit Mein lieber Heinz! begannen, hatte man unbeantwortet gelassen - bis auch die Mutter Bella und die Schwester Josy sich endlich zu der neuen Anrede bequemten. Mit Jugendfreunden, die hartnckig bei Heinz blieben, hatte man den Verkehr rigoros abgebrochen; brigens legte man ohnedies keinen Wert auf den Umgang mit Kameraden, die peinliche Anekdoten aus einer schalen Vergangenheit mit dem wiehernden Gelchter eines taktlosen Humors hen'orzuholen liebten. Heinz war gestorben; Hendrik sollte gro werden. - Der junge Schauspieler Hfgen kmpfte einen erbitterten Kampf mit den Agenturen, den Theaterdirektoren und Feuilletonredaktionen darum, da man seinen frei erfundenen, prezisen Vornamen richtig schriebe. Er zitterte vor Zorn und Gekrnktheit, wenn er sich auf einem Programm oder in einer Rezension als Henrik aufgefhrt fand. Das kleine d in der Mitte seines selbstgewhlten Namens war fr ihn ein Buchstabe von ganz besonderer, magischer Bedeutung: Wenn er es erst erreicht haben wrde, da ausnahmslos alle Welt ihn als Hendrik anerkannte - dann war er am Ziel, ein gemachter Mann.