Eine so dominierende Rolle spielte der Name - der mehr als eine Personalbezeichnung, nmlich eine Aufgabe und Verpflichtung war - in Hendrik Hfgens ehrgeizigen Gedanken. Trotzdem duldete er es nun, da Juliette aus ihrer finsteren Ecke ihn drohend anredete mit dem abgelegten und verhaten Heinz.
Er gehorchte ihren beiden Befehlen; bewegte den Lichtschalter, so da pltzlich eine grelle Helligkeit ihm die Augen blendete, und machte dann, die Stirn noch immer gesenkt, ein paar Schritte auf Juliette zu. Einen Meter entfernt von ihr blieb er stehen; auch dieses aber war ihm nicht gestattet. Sie murmelte mit einer heiseren und hchst beunruhigenden Freundlichkeit - wobei ihre Zhne zusammengebissen blieben: Komm doch nher, mein Junge!
Da er sich nicht von der Stelle bewegte, lockte sie ihn, wie einen Hund, den man mit Schmeicheltnen an sich heranholt, um dann um so grausamer zu strafen: Nur nher, mein Schner! Ganz nahe! Nur keine Angst! Er blieb immer, noch bewegungslos, immer noch mit dem geneigten Gesicht; Schultern und Arme hingen ihm schlaff nach vorne, um Schlfen und Augenbrauen trat ein leidender, gespannter Zug hervor; die geblhten Nstern schnupperten ein penetrant ses und gemeines Parfm, das sich mit einem anderen, noch wilderen, aber durchaus nicht sen Geruch - der Ausdnstung eines Krpers - auf erregende und peinigende Art vermischte.
Da das Mdchen durch seine wehleidige und edle Positur auf die Dauer gelangweilt und irritiert wurde, lie sie pltzlich eine Zornesstirnnie hren, die wie heiseres Brllen aus dem Urwald klang: Steh doch nicht da, als ob du dir in die Hosen gemacht httest! Kopf hoch, Mensch! Majesttischer fgte sie hinzu: Blicke mir ins Gesicht!
Er hob langsam den Kopf, whrend sich der Leidenszug um seine Schlfen vertiefte. Im fahlen Antlitz waren seine grnblauen Augen erweitert - vor Wonne oder vor Angst. Sprachlos starrte er auf Prinzessin Tebab, seine Schwarze Venus.
Negerin war sie nur von der Mutter her - ihr Vater war ein Hamburger Ingenieur gewesen -; aber die dunkle Rasse hatte sich als strker erwiesen als die helle; sie sah nicht nach Halbblut aus, sondern beinah nach Vollblut. Die Farbe ihrer rauhen, stellenweis etwas rissigen Haut war dunkelbraun, an manchen Partien - zum Beispiel auf der niedrigen, gewlbten Stirne und auf den schmalen, sehnigen Handrcken - fast schwarz. Heller gefrbt hatte die Natur nur das Innere ihrer Hnde; whrend sie selbst, mittels Auflegen von Schminke, die Farbe ihrer oberen Wangenhlften eigenwillig verndert hatte: ber den starken, brutal geformten Backenknochen lag das knstliche Hellrot wie ein hektischer Schimmer. Auch die Augenpartie war kosmetisch bearbeitet: die Brauen abrasiert und durch schmale Kohlestriche ersetzt; die Wimpern knstlich verlngert; die Schatten auf dem oberen Lid, und bis hinauf zu den schmalen Brauen, ins Rtlichblaue vertieft. Hingegen hatte sie den wulstigen Lippen die natrliche Farbe gelassen. ber den blendenden Zahnreihen, die sie beim Lachen wie beim Schimpfen entblte, erschienen sie rauh, wie das Fleisch der Hnde und des Halses, und von einem dunklen Violett, gegen dessen trben Ton das gesunde Rot des Zahnfleisches und der Zunge heftig kontrastierte. In ihrem Gesicht, das von den beweglichen, grausamen und gescheiten Augen und von den blitzenden Zhnen beherrscht war, bemerkte man zunchst gar nicht die Nase; wie flach und eingedrckt sie war, erkannte man erst bei genauerem Hinschauen. Diese Nase schien in der Tat so gut wie nicht vorhanden; sie wirkte nicht wie eine Erhhung inmitten der wsten und auf eine schlimme Art attraktiven Maske; eher wie eine Vertiefung.
Fr Juliettens hchst barbarisches Haupt htte man sich als-Hintergrund eine Urwaldlandschaft gewnscht statt dieser brgerlichen Stube mit ihren Plschmbeln, Nippesfiguren und seidenen Lampenschirmen. brigens enttuschte nicht nur die Dekoration, von der dieses Haupt sich abhob, sondern auch die Krnung des Hauptes selber: das Haar. Fs war keineswegs die krause, schwarze Mhne, die man zu dieser Stirne, diesen Lippen passend gefunden htte; vielmehr berraschte es durch Glattheit und eine mattblonde Frbung. Die Frisur war einfach; der Scheitel in der Mitte gezogen. Die dunkle Dame gefiel sich in der Behauptung, so seien ihre Haare immer gewesen, niemals habe sie etwas an ihnen verndert: ihre Farbe und Beschaffenheit habe sie vom Vater, dem Ingenieur Martens aus Hamburg, geerbt.
Da ein Mann dieses Namens und dieses Berufes ihr Vater gewesen war, schien festzustehen oder wurde doch von niemandem bestritten. brigens war Martens seit fahren tot. Der arbeitsreiche Aufenthalt im Inneren Afrikas war ihm nicht bekommen. Geschwcht vom Malariafieber, das Herz ruiniert von Chininspritzen und von alkoholischen Exzessen, war er nach Hamburg zurckgekehrt, um dort, eilig und ohne viel Aufsehen zu erregen, zu sterben. Das Negermdchen, das seine Geliebte gewesen war, lie er am Kongo; ebenso das dunkelhutige kleine Geschpf, dessen Vater er sein mochte. Die Nachricht vom Tode des Ingenieurs drang nicht bis nach Afrika. Nach geraumer Zeit verlor Juliette auch noch die Mutter; nun machte sie sich auf in das sehr ferne, sicherlich sehr wundervolle Deutschland. Sie hoffte, dort von der vterlichen Liebe lanciert zu werden. Indessen konnte man ihr nicht einmal das Grab des Ingenieurs zeigen; die Gebeine ihres armen Vaters waren verlorengegangen wie sein Andenken.
Ein Glck fr die junge Juliette, da sie leidlich Steptanzen konnte: sie hatte es noch bei den Ihren gelernt. So gelang es ihr, bald eine Anstellung in einem der besten Etablissements von St. Pauli zu finden. Dort htte sie sich sicherlich halten knnen, und vielleicht wre der gescheiten und energischen Person ein ehrenvoller Aufstieg beschieden gewesen - htten nur ihr heftiges Temperament und eine unbeherrschbare Neigung fr starke
Getrnke ihr nicht den allerfatalsten Strich durch die Rechnung gemacht. Sie liebte es und konnte es gar nicht lassen, mit der Reitpeitsche auf diejenigen ihrer Bekannten und Kollegen loszugehen, mit denen sie gerade nicht in allen Stcken der gleichen Meinung oder Stimmung war: eine Angewohnheit, ber die man in St.-Pauli-Kreisen sich zunchst wie ber eine humoristische und niedliche Nuance ergtzte, die aber auf die Dauer gar zu originell und brigens einfach strend wurde.
Juliette bekam ihre Entlassung und erlebte nun, in unbesorgt geschwindem Tempo, das, was man gemeinhin von Stufe zu Stufe sinkennennt; das heit: sie mute ihre Tanzknste in immer kleineren, immer bler beleumundeten Lokalen zeigen. Ihre Einnahmen aus solcher Ttigkeit wurden nach und nach so gering, da sie sich bald gezwungen sah, ihnen durch Nebenverdienste aufzuhelfen. Welche Beschftigung kam in Frage, wenn nicht die des abendlichen Spaziergangs auf der Reeperbahn und in den benachbarten Gassen? Ihr schner, dunkler Krper, den sie in aufrechtem, stolzem, ja fast hochmtigem Gang ber das Trottoir bewegte, war wahrhaftig nicht das schlechteste Stck von diesem ungeheuren Ausverkauf der Leiber, der sich hier allnchtlich den durchreisenden Matrosen und den armen wie den ehrenwerten Mnnern der Stadt Hamburg bot.
Der Schauspieler Hfgen brigens hatte die Bekanntschaft seiner Schwarzen Venus keineswegs auf dem Strich gemacht; vielmehr in der engen, vom Tabaksqualm und vom. Lrm besoffener Schiffer erfllten Kneipe, wo sie, fr eine Abendgage von drei Mark, ihre dunklen, glatten Glieder und ihre kunstvoll klappernden Steps zur Schau stellte. Auf dem Programm des finsteren Kabaretts war die schwarze Tnzerin Juliette Martens als Prinzessin Tebab angezeigt - ein Name, den sie nur als Knstlerin fhren durfte, auf den sie aber auch im zivilen Leben Anspruch zu haben behauptete. Durfte man ihren Angaben Glauben schenken, so war ihre verstorbene Mutter, die verlassene Geliebte des Hamburger Ingenieurs, von rein frstlichem Blute gewesen: Tochter eines veritablen, unermelich reichen, gromtigen und leider in relativ zartem Alter von seinen Feinden verspeisten Negerknigs. Was Hendrik Hfgen betrifft, so war er weniger von ihrem Titel beeindruckt gewesen - obwohl auch dieser ihm ganz auerordentlich gefallen hatte - als vielmehr von ihren beweglichen grausamen Augen und von den Muskeln ihrer schokoladenfarbenen Beine. Nachdem die Nummer der Prinzessin Tebab beendet gewesen war, hatte er sich in der Garderobe der Knstlerin melden lassen, um ihr seinen - zunchst vielleicht etwas berraschend klingenden -Wunsch vorzutragen: nmlich den, Tanzstunden bei ihr zu nehmen. Heute mu ein Schauspieler trainiert sein wie ein Akrobat, hatte Hfgen erklrend hinzugefgt; aber die Prinzessin schien nicht sehr begierig auf seine Erluterungen. Ohne sich lang zu verwundern, hatte sie den Preis pro Stunde und das erste Rendezvous verabredet.