Gerade war Nicoletta dabei, mit dmonischer Sorgfalt zu betonen, da sie ehrgeizig sei, und, wenn es sein msse, auch intrigant. Natrlich, mein Liebling! sagte sie schneidend zu Hfgen, den sie seit ein paar Stunden kannte. Vorwrtskommen wollen wir alle. Man mu Ellenbogen haben. Hendrik, der sie sich neugierig von der Seite beschaute, dachte darber nach, ob sie in diesem Augenblick aufrichtig sei oder posierte. Es war schwer zu entscheiden. Vielleicht war gerade dieser radikal entschlossene Zynismus die Maske, hinter der sie ein ganz anderes Gesicht verbarg. Wer wu^e aber, ob dieses andere versteckte Gesicht auch eine so khne Nase und einen so scharfen Mund hatte wie die Miene, die sie jetzt mit Stolz zur Schau trug?
Hendrik konnte sich nicht verhehlen, da die Frau an seiner Seite ihm Eindruck machte. Ohne Frage, sie war die erste, seitdem er Juliette kannte, fr die er einen beteiligten, interessierten Blick hatte. Er beichtete es der Schwarzen Venus noch am selben Tage und bekam furchtbare Schlge - die diesmal nicht aus rituellen Grnden und weil es so zum Spiel gehrte verabreicht wurden, sondern aus berzeugung und mit echter Leidenschaft; denn Prinzessin Tebab rgerte sich. Hendrik litt, sthnte, geno und versicherte am Ende seiner Prinzessin, da sie die eigentliche Herrin und Geliebte bleiben wrde. Als er aber Nicoletta wiedersah, faszinierten ihn wieder ihre schneidende Sprechweise, ihr blanker, durchdringender Blick und ihre stolz zusammengenommene Haltung.
Es gefiel ihm auch, was sie ihm in prziser Sprache ber ihre Herkunft und Vergangenheit anvertraute. Ihm imponierte das Exzentrische, Abenteuerlich-Fragwrdige, da er selbst aus den brgerlichsten Verhltnissen kam. Nicoletta erzhlte, da sie ihre Eltern nicht gekannt habe. Mein Papa war ein Hochstapler, konstatierte sie erhobenen Hauptes, frhlich und stolz. Mama ist eine kleine Tnzerin an der Pariser Oper gewesen, sehr dumm, wie ich hre; aber sie soll die himmlischsten Beine gehabt haben. Sie blickte herausfordernd auf ihre eigenen, mit denen sie nur angab, als wren sie himmlisch. Papa war ein Genie. Immer verstand er es, auf grtem Fu zu leben. Er ist in China gestorben, wo er siebzehn Teehuser und enorme Schulden hinterlie. Das einzige Andenken, das ich an ihn besitze, ist seine Opiumpfeife. In ihrem Hotelzimmer wies sie Hendrik die Reliquie vor. Mit einer Korrektheit, hinter der man lauter Teufelei vermuten mute, fragte sie ihn, ob er Tee haben wollte oder Kaffee. Die Bestellung rief sie durch das Telefon dem Kellner zu yie einen frchterlichen, mit eisiger Mitleidlosigkeit vorgebrachten Urteilsspruch. Dann erzhlte sie ausfhrlich von ihrer Jugend. Gelernt habe ich gar nicht viel, sagte sie. Aber ich kann auf den Hnden gehen, auf einer rollenden Kugel laufen und wie eine Eule schreien. Ihre Fibel sei die sehr empfehlenswerte Zeitschrift La Vie Parisienne gewesen. Aufgewachsen war sie teils in franzsischen Internaten, aus denen man sie wegen frchterlicher Ungezogenheit stets bald wieder entfernt hatte; teils im Hause des Geheimrats Bruckner, den sie einen Jugendfreund ihres Vaters nannte.
Vom Geheimrat Bruckner hatte Hfgen schon gehrt. Die Werke des Historikers waren berhmt; brigens kannte Hendrik sie nicht. Hingegen wute er, da des Geheimrats gesellschaftliche Stellung ebenso bedeutend wie ungewhnlich war. Der Forscher und Denker war nicht nur eine der exponiertesten und meistbesprochenen Figuren der deutschen und europischen akademisch-literarischen Welt; man sagte ihm auch intime und einflureiche Verbindungen zu politischen Kreisen nach. Seine Freundschaft mit. einem sozialdemokratischen Minister war bekannt; andererseits hatte er Beziehungen zur Reichswehr: seine verstorbene Frau war die Tochter eines Generals gewesen. Viel Anla zu Kommentaren hatte eine Vortragstournee des Geheimrats durch Sowjetruland gegeben. Damals war von der nationalistischen Presse die groe Hetze gegen ihn erffnet worden. Seitdem stellte man gerne mit Erbitterung fest, die Geschichtsbetrachtung Bruckners sei marxistisch beeinflut. Es geschah, da die Studenten lrmten, als er das Katheder betrat. Seine Weltgeltung und seine ruhige, berlegene Haltung schchterten die Aufgeregten ein. Der Geheimrat ging siegreich hervor aus den Skandalen. Er blieb unantastbar.
Der Alte ist wundervoll, sagte Nicoletta von ihm. Er versteht auch etwas von Menschen; an Papa zum Beispiel hatte er eine groe Anhnglichkeit. Deshalb lie er sich von mir immer alles gefallen - und ich meinerseits hatte Geduld mit seiner feinen Langweiligkeit.
Nicolettas beste Freundin, ihre eigentliche Schwester, war Barbara, Bruckners Tochter. Ein so schnes Geschpf! Und so gut! Nicolettas Blick wurde weicher, whrend sie dies sagte; aber auf die klirrend exakte Aussprache konnte sie nicht verzichten. - Zu der Knorke-Premiere wurde nicht nur Theophil Marder erwartet, sondern auch das Mdchen Barbara. Ich bin neugierig, ob du sie mgen wirst, sagte Nicoletta zu Hendrik. Vielleicht liegt sie dir nicht besonders. Aber sei bitte nett zu ihr, mir zu Gefallen. - Sie ist etwas scheu, stellte Nicoletta fest und schmetterte die Vokale. -
Am Tag der groen Premiere traf Barbara Bruckner ein; Marder kam erst gegen Abend, mit dem Berliner Schnellzug. Hfgen machte Barbaras Bekanntschaft, als er, unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, einen Kognak in der Kantine trank. Nicoletta sprach mit musterhafter Deutlichkeit und greller Stimme: Dieses ist meine liebste Freundin, Barbara Bruckner! - wozu sie eine zeremonielle Geste unter dem schwarzen, steif plissierten Cape vollfhrte. Hendrik war zu aufgeregt, um sich das junge Mdchen genauer zu betrachten. Er strzte seinen Kognak hinunter und verschwand. In der Garderobe fand er zwei groe Blumenstrue: weien Flieder von Angelika Siebert, und von der Herzfeld zart teegelb getnte Rosen. Um sich durch ein gutes Werk die Gunst des Himmels zusichern, berreichte Hfgen dem kleinen Bock - der vor Premieren stets etwas weinerlich aussah - mit groer Geste fnf Mark, wodurch freilich die Sieben-Mark-fnfzig-Schuld noch immer nicht vllig getilgt war.
Die Urauffhrung der Komdie Knorke verlief glnzend: Marders beiende Pointen schlugen knallend ein, die steile Fhrung des Dialogs kitzelte das Publikum zu halb entsetzten, halb beglckten Gelchtern, vor allem aber begeisterte das exakte, schnoddrig-pathetische, in jeder Hinsicht blendende Zusammenspiel zwischen Hfgen und der neuen Kraft, Nicoletta von Niebuhr, die auf Engagement gastierte. Nach dem zweiten Akt muten die beiden Hauptdarsteller sich dem animierten Saal hufig zeigen. In der Pause erschien Theophil Marder bei Hfgen, Nicoletta geleitete ihn.
Marders unruhiger, aber durchdringender Blick musterte alle Gegenstnde in der Garderobe, zuletzt Hendrik selbst, der erschpft vorm Spiegel sa. Nicoletta war, respektvoll schweigend, an der Tr stehengeblieben. Nach langer Pause sagte Marder mit. einer penetranten Kommandostimme: Sie sind ja 'ne dolle Type! Seine grausam fixierenden Augen wichen nicht von Hendriks schn geschminktem Gesicht.
Sind Sie zufrieden, Herr Marder? Hfgen suchte den Satiriker durch Juwelenblicke und angegriffenes Lcheln zu bezaubern. Theophil aber sagte: Na ja und fgte unverschmt hinzu; Na ja, Herr - wie war doch der Name? Nun war Hendrik doch etwas beleidigt; trotzdem nannte er seinen Namen mit der singendwerbenden Stimme. Daraufhin machte Marder: Hendrik - Hendrik - ulkiger Name, mu ich schon sagen, sehr ulkig!: so hhnisch, da es Hfgen eisig ber den Rcken lief. Pltzlich aber rief der Dichter mit einer bengstigenden Frhlichkeit: Hendrik! Wieso Hendrik?! Natrlich heien Sie eigentlich Heinz! - Heit eigentlich Heinz, nennt sich Hendrik! Hahaha, das ist aber mal gut! Er lachte gellend, herzlich und ausfhrlich. Hfgen, aus Entsetzen ber so viel bse Hellsicht, war bleich geworden unter seiner rosigen Maske und zitterte. Nicoletta, ohne einzugreifen, schaute mit blanken Katzenaugen amsiert vom einen zum andern. Theophil war schon wieder ernst. Er schien nachzudenken; dabei bewegte er ununterbrochen den blulichen Mund unter dem schwarzen Schnurrbart. Das erregte Spiel seiner Lippen erinnerte auf eine unheimliche Art an das gierige Saugen fleischfressender Pflanzen oder schnappender Fischmuler. Abschlieend sagte Marder: Sind aber 'ne dolle Type. Starkes Talent - rieche das, habe verdammt feine Nase. Sprechen uns noch. Essen nachher zusammen. Komm, Kind! Er nahm Nicoletta am Arm und verlie die Garderobe. Hfgen blieb im Zustand vlliger Konsterniertheit zurck.