Ich mache so alles mgliche, sagte sie nachdenklich. Eigentlich zeichne ich Mit Theaterdekorationen habe ich mich viel beschftigt. Dies war ein Stichwort fr Hendrik; er lie die Unterhaltung lebhafter werden. Mit fliegendem Eifer, auf den Wangen eine helle Rte, sprach er von Wandlungen des dekorativen Stils, von all dem, was es auf diesem Gebiete neu zu entdecken oder wieder zu verwenden, zu verbessern gbe. Barbara lauschte, antwortete, blickte prfend, hatte Lcheln, rhrend ungeschickte Gebrden der Arme, schalkhaft und versonnen tnende Stimme, die verstndige, durchdachte Urteile sprach.
Hendrik und Barbara plauderten leise, angeregt, nicht ohne Innigkeit. Nicoletta und Marder inzwischen funkelten sich verfhrerisch an. Beide lieen alle ihre Knste spielen. Nicolettas schne Raubtieraugen waren noch blanker als sonst; die Akkuratesse ihrer Aussprache bekam triumphalen Charakter. Zwischen den grell gefrbten Lippen leuchteten, wenn sie lachte und sprach, die kleinen und scharfen Zhne. Marder seinerseits lie intellektuelles Feuerwerk sprhen. Sein beweglicher, zuckender Mund, dessen bluliche Frbung uerst ungesund wirkte, redete fast ununterbrochen. brigens hatte Marder die Neigung, mit grter Intensitt immer wieder dieselben Dinge zu sagen. Vor allem bestand er mit einer passionierten Hartnckigkeit darauf, da die heutige Zeit, deren aufmerksamsten und berufensten Richter er sich nannte, die denkbar schlechteste, verkommenste und hoffnungsloseste aller Epochen sei. Es existierte in ihr keine geistige Bewegung, keine allgemeine Tendenz oder besondere Leistung, die sein frchterlicher Anspruch irgend htte gelten lassen. Vor allem fehlten in ihr, seiner Meinung nach, die Persnlichkeiten; er, Marder, war die einzige weit und breit, und er wurde verkannt. Das Verwirrende war, da der Beobachter und Richter europischen Verfalls dieser trostlosen Gegenwart keineswegs das Bild einer Zukunft entgegensetzte, die zu lieben und um derentwillen das Bestehende zu hassen wre; da er vielmehr, um das Seiende herabzusetzen, eine Vergangenheit pries, die doch gerade er durchschaut, verhhnt und kritisch erledigt hatte. Die fiebrig animierte Nicoletta war nicht dazu geneigt, sich ber irgend etwas zu wundern; sonst htte es ihr wohl erstaunlich scheinen knnen, da eben der Mann, der sich selbst den klassischen Satiriker der brgerlichen Epoche zu nennen liebte, nun Offiziere der alten deutschen Armee und rheinische Industrielle zu Idealfiguren verklrte, die tadellose Disziplin und khne Persnlichkeit sieghaft in sich vereinigten. Der alte Sptter, dessen selbstherrlicher, aber geistig richtungsloser Radikalismus ins Reaktionre abgeglitten und entartet war, deklamierte schnarrendes Lob fr die physischen und moralischen Qualitten preuischer Generale und denunzierte mit der gereizten Stimme eines Unteroffiziers die schlappe Weichlichkeit des heutigen Geschlechts. Nirgends Zucht! Nirgends Disziplin! schrie er so laut und zornig, da die alten Herren, die bei ihren Rotweinflaschen saen, erstaunt die Kpfe herdrehten. Auch die Frauen hatten jede Disziplin verloren, behauptete der aufgebrachte Marder. Sie verstanden nichts mehr von der Liebe, aus der Hingabe machten sie ein Geschft, wie die Mnner waren sie oberflchlich und vulgr geworden. Hier lachte Nicoletta so herausfordernd, da Marder galant hinzufgte: Ausnahmen gibt es natrlich!
Dann aber begann er wieder zu schimpfen. Seine Ansicht ging dahin, die deutschen Mnner htten allen Sinn fr Ordnung und Respekt verloren, seitdem die allgemeine Dienstpflicht abgeschafft war. Heute, in einer verlotterten Demokratie, sei alles Talmi1, falsch, durch Reklame gro gemachter Betrug. Wenn es anders wre, fragte Marder erbittert, mte ich dann nicht der erste Mann im Staate sein? Wre die ungeheure Kraft und Kompetenz meines Hirns nicht dazu berufen, alle wesentlichen Dinge ffentlichen Lebens zu entscheiden - whrend heute, da jeder Instinkt und Mastab fr echten Rang abhanden kam, meine Stimme nur die beinah berhrte des ffentlichen schlechten Gewissens ist! Seine Augen glhten, sein hageres Gesicht, dessen Blsse zu der Schwrze des Schnurrbarts kontrastierte, war verzerrt. Um ihn zu beruhigen, erinnerte Nicoletta daran, da die Stcke keines anderen lebenden Autors so hufig aufgefhrt wrden wie die seinen. Er lchelte mit flchtig befriedigter Eitelkeit. Aber schon nach wenigen Sekunden verfinsterte er sich wieder. Pltzlich schrie er Hendrik Hfgen an, der innig vertieft in sein Gesprch mit Barbara sa: Haben Sie vielleicht gedient, Herr?
Hendrik, berrascht und entsetzt von so drohender Anrede, wandte ihm ein ziemlich fassungsloses Gesicht zu. Marder aber verlangte: Antworten Sie, Herr! Hendrik brachte, mhsam lchelnd, hervor: Nein, natrlich nicht Gott sei Dank nicht Darauf lachte Marder triumphierend.
Da sieht man es wieder! Keine Disziplin! Keine Persnlichkeit! - Haben Sie vielleicht Disziplin, Herr? Sind Sie vielleicht eine Persnlichkeit? - Alles Talmi, alles Ersatz, Plebejertum, wohin ich immer schaue!!
Das war eine Impertinenz; Hendrik wute nicht, wie er reagieren sollte. Er fhlte Zorn in sich hochsteigen; um der Damen willen, und auch, weil Marders Ruhm ihm imponierte, entschlo er sich, einen Skandal zu vermeiden. brigens hielt er den Schriftsteller fr nervenkrank. Welch erstaunliche und erschtternde Vernderung aber ging nun vor mit Marder, der eine schauerlich gedmpfte Stimme und prophetische Augen bekam!
Das alles wird grlich enden. Er raunte es - in welche Fernen oder in was fr Abgrnde schaute jetzt sein Blick, der mit einemmal eine so fiirchterlich durchdringende Kraft bekam? Es wird das Schlimmste geschehen, denkt an mich, Kinder, wenn es da ist, ich habe es vorausgesehen und vorausgewut. Diese Zeit ist in Verwesung, sie stinkt. Denkt an mich: Ich habe es gerochen. Mich tuscht man nicht. Ich spre die.Katastrophe, die sich vorbereitet. Sie wird beispiellos sein. Sie wird alles verschlingen, und um keinen wird es schade sein, auer um mich. Alles, was steht, wird zerbersten. Es ist morsch. Ich habe es befhlt, geprft und verworfen. Wenn es strzt, wird es uns alle begraben. Ihr tut mir leid, Kinder, denn ihr werdet euer Leben nicht leben drfen. Ich aber habe ein schnes Leben gehabt.
Theophil Marder war fnfzig Jahre alt. Er war mit drei Frauen verheiratet gewesen. Er war angefeindet und ausgelacht worden; er hatte den Erfolg, den Ruhm und auch den Reichtum kennengelernt.