Hendrik verwahrte sich gegen solche Ausdrucksweise; aber er zitterte vor Freude als er fragte: Glaubst du denn, da Barbara daran denkt?
Nicoletta hatte ihr klirrendes Lachen. Natrlich denkt sie daran. Merkst du nicht, wie sie ganz verndert ist? Lasse dich nicht dadurch tuschen, mein Schatz, da sie dir mitleidig zu begegnen scheint. Ich kenne sie doch - sie gehrt zu den Frauen, in deren Zuneigung sich immer Mitleid mischt. Heirate sie! - es ist fr euch beide ganz entschieden das praktischste. brigens wird es auch fr deine Karriere gnstig sein; der alte Bruckner hat Einflu.
Auch hieran hatte Hendrik schon gedacht. Der Rausch seiner Verliebtheit, der anhielt - oder von dem er doch gern glauben wollte, da er dauerhaft sei -, vermochte Erwgungen khlerer Art nicht ganz zu verdrngen. Geheimrat Bruckner war ein groer Mann, auch nicht arm; die Verbindung mit seiner Tochter wrde Vorteile bringen, neben allem Glck. - Hatte Nicoletta recht mit ihren zynischen und deziclierten Reden? Erwog Barbara die Mglichkeit einer Verbindung mit Hendrik Hfgen? Wie weit ging ihr Interesse an ihm? War es nicht nur spielerischer und oberflchlicher Natur? Ihr Madonnengesicht mit dem spitzbbischen Zug war undurchschaubar. Nichts verriet ihre von goldenen Tnen gesttigte, tiefe, klingende Stimme. Was aber verrieten ihre forschenden Augen, die so oft mit Neugier, mit Mitleid, Freundschaft, vielleicht mit Zrtlichkeit auf Hendrik gerichtet waren?
Er mute sich beeilen, wenn er es erfahren wollte; die Saison war beinah zu Ende, die letzten Knorke-Vorstellungen kamen heran; Barbara und Nicoletta wrden abreisen. Da entschlo sich Hendrik. Nicoletta hatte demonstrativ angekndigt, da sie einen groen Spaziergang mit Rolf Bonetti zu machen gedenke. Barbara war also allein. Hendrik ging zu ihr.
Es wurde ein langes Gesprch, und es endigte damit, da Hendrik auf die Knie strzte und weinte. Weinend bat er Barbara, sie mge Erbarmen haben. Ich brauche dich, schluchzte er, die Stirne auf ihrem Scho. Ohne dich mu ich ganz -zugrunde gehen. Es ist so viel Schlechtes in mir. Allein bringe ich die Kraft nicht auf, es zu besiegen, du aber wirst das Bessere in mir stark machen! So pathetische und peinvoll offene Worte ntigte die Verzweiflung ihm ab. Denn lngst hatte Barbaras ganz fassungsloser Blick ihn wissen lassen, da Nicolettas scharf akzentuierter Zuspruch Irrtum oder freche List gewesen war: niemals hatte Barbara Bruckner gedacht an eine Verbindung mit dem Schauspieler Hfgen.
Nun aber hob er sein trnenberstrmtes Gesicht langsam von ihrem Sche. Sein blasser. Mund zuckte, der Edelsteinschimmer seiner Augen war zerstrt, seine Augen schauten blind vor Elend. Du magst mich nicht, brachte er schluchzend hervor. Ich bin nichts, es wird nichts aus mir - du magst mich nicht - ich bin fertig Er konnte nicht weitersprechen. Was er noch htte sagen wollen, verging in Lallen.
Unter gesenkten Lidern schaute Barbara auf sein Haar. Es war schtter. Auf der Hhe des Kopfes sollten sorgfltig frisierte Strhnen die kleine Glatze verbergen. Nun waren diese Strhnen in die sehlimmste Unordnung-geraten. Vielleicht war es der Anblick des dnnen und armen Haars, der das Mdchen Barbara rhrte.
Ohne mit ihren Hnden das nasse Gesicht zu berhren, das er ihr hinhielt, ohne die Lider zu heben, sagte sie langsam: Wenn du es so gerne willst, Hendrik Wir" knnen es ja versuchen Wir knnen es ja versuchen
Daraufhin stie Hendrik Hfgen einen leisen, heiseren Schrei aus, der wie ein gedmpftes Triumphgeheul klang.
Dieses war die Verlobung.
IV Barbara
In Barbara blieb ein groes Staunen ber das Abenteuer, auf das weder ihr Herz noch ihre Gedanken vorbereitet waren und dessen Konsequenzen unabsehbar schienen. In was geriet sie hier? Was geschah ihr? Was hatte sie auf sich genommen? Sprte sie denn einen tieferen Kontakt zu diesem vieldeutigen und gewandten, hchst begabten, manchmal rhrenden, zuweilen beinah abstoenden Menschen - zu diesem Komdianten Hendrik Hfgen? Barbara war kaum zu verfhren, sie blieb khl noch vor den routiniertesten Tricks. Um so schneller erwachten in ihr Mitleid und die pdagogische Anteilnahme. Hendriks erfahrene Schlauheit hatte dies gleich erfat. Seit dem ersten Abend, da er, im wirkungsvollen Gegensatz zu Marders lrmend-bravourser Art, den Stillen und Feinen gespielt hatte, verzichtete er, Barbara gegenber, weise und enthaltsam auf alle schillernden Knste. Nur von ernsten und ergreifenden Dingen war zwischen ihm und ihr die Rede gewesen: von seiner ethisch-politischen Gesinnung, von der Einsamkeit seiner Jugend, von der Hrte und vom Zauber seines Berufes; schlielich aber hatte er dem Mdchen, in der entscheidenden Minute, sein trnenberstrmtes, von Seelenqual erblindetes Gesicht ge/eigt, und was er ihr noch htte sagen knnen, war vergangen in Lallen.
Barbara war es gewohnt, von ihren Freunden in Anspruch genommen xu werden, wenn diese sich in Nten und Verwirrungen befanden. Nicht nur Nicoletta war mit. ihren komplizierten Beichten bei ihr gewesen, sondern auch junge Mnner, und selbst ltere, Freunde ihres Vaters, kamen zu ihr, wenn sie die Trsterin brauchten. Sie war erfahren in den Schmerzen der anderen; seit frher fugend aber hatte sie es sich versagt, eigene Schmerzen, eigene Ratlosigkeit gar zu ernst zu nehmen oder mitzuteilen. Deshalb glaubte man, es gbe nichts, was ihr inneres Gleichgewicht strte. Von ihren Freunden wurde Barbara fr den ausgeglichenen, energisch klugen, vielfach begabten, reifen, sanften und sicheren Menschen gehalten. Vielleicht gab es unter allen, die ihr nahestanden, nur einen, der um die Labilitt ihres inneren Zustandes, um ihre Zweifel an der eigenen Kraft, ihre wehmutsvolle Liebe zur Vergangenheit und ihre Scheu vor der Zukunft wute: der alte Bruckner kannte sein Kind, das er liebte.
Deshalb enthielt der Brief, den er schrieb, als er die Nachricht von ihrer Verlobung erhalten hatte, nicht nur Traurigkeit darber, da sie nun sein Haus verlassen wollte; sondern auch Sorge. Ob sie denn alles wohl bedacht und genau beschlossen habe? - wollte der Vater wissen. Und Barbara erschrak ber den warnenden Ernst seiner Frage. Hatte sie's denn wohl bedacht und genau beschlossen? Jeder Ratschlag, den sie Freunden gab, war das sorgfltig erwogene Resultat langer berlegungen, klugen Denkens. In ihrem eigenen Leben lie sie die Ereignisse mit einer spielerischen Nachlssigkeit an sich herankommen. Manchmal frchtete sie sich ein wenig, aber doch niemals genug, um auszuweichen oder abzuwehren: dies verboten ihr sowohl die Neugierde als auch der Stolz. Mit Skepsis und einer lchelnden Khnheit, ohne sich jemals gar zuviel des Schnen fr sich selbst zu versprechen, wartete sie der Dinge, die da kommen sollten. Lchelnd schaute sie ihren sonderbaren Hendrik an, der mit einer so temperamentvollen Rhetorik von ihr verlangte, da sie seinen guten Engel spiele. Vielleicht lohnte es sich, vielleicht hatte sie hier eine Pflicht, vielleicht gab es in ihm einen edlen, gefhrdeten Kern, ber den zu wachen ihr - gerade ihr - aufgetragen war. Wenn es denn so sein sollte: Barbara strubte sich nicht. Grere Sorgen als um ihr eigenes berraschendes Schicksal machte sie sich um Nicoletta, die sich an Marder verlor.
brigens gingen die Ereignisse schnell. Hendrik drngte: die Hochzeit sollte noch im Sommer stattfinden. Nicoletta war es, die seinen Wunsch untersttzte. Wenn ihr schon heiraten mt, meine Lieben, sprach sie - und tat, als sollte hier etwas geschehen, wovon sie auf das dringendste abgeraten, worein sie sich aber nun, da es unvermeidlich schien, mit Vernunft und Wrde schickte -, wenn es denn einmal sein mu, sagte sie, sorgfltig akzentuierend, dann lieber gleich und sofort. Eine lange Verlobungszeit ist lcherlich.
Als Hochzeitstag wurde ein Datum Mitte Juli festgelegt. Barbara war nach Hause gereist: es gab viel zu erledigen und vorzubereiten. Nicoletta und Hendrik inzwischen gastierten mit einer Komdie, die nur zAvei Rollen hatte, in den Badeorten an der Ostsee. Barbara mute zahlreiche und kostspielige Ferngesprche mit Hendrik fhren, bis sie es erreichte, da er ihr die Papiere schickte, die fr das Standesamt unentbehrlich waren. Zwei Tage vor dem Hochzeitstermin traf Nicoletta ein - eine auffallende Erscheinung fr die sddeutsche kleine Universittsstadt, wo die Bruckners wohnten. Einen Tag spter kam Hendrik, der noch in Hamburg Station gemacht hatte, um seinen neuen Frack abzuholen. Das erste, was er Barbara auf dem Bahnsteig erzhlte, war, da der Frack blendend schn, aber leider total unbezahlt sei. Er lachte viel und nervs; war braungebrannt und trug einen sehr hellen, etwas zu engen Sommeranzug mit rosa Hemd und einem weichen, silbergrauen Filzhut. Sein Lachen wurde immer krampfhafter, je nher man der Villa Bruckners kam. Barbara glaubte zu merken, da Hendrik sich davor frchtete, ihren Vater kennenzulernen. Der Geheimrat envartete das junge Paar vor der Tr seines Hauses, im Garten. Er begrte Hendrik mit einer Neigung des Oberkrpers, die so tief und feierlich war, da man vermuten mute, sie sei ironisch gemeint. Jedoch lchelte er nicht; sein Gesicht blieb ernst. Das schmale Haupt war von einer Feinheit und Empfindlichkeit, die fast erschreckend wirkten. Die gefurchte Stirne, die lange, zart gebogene Nase, die Wangen waren wie gearbeitet aus einem kostbaren, gelblich nachgedunkelten Elfenbein. Der Abstand zwischen Nase und Mund war gro, grauer Schnurrbart bedeckte ihn. Vielleicht war es eben diese unverhltnismig lange Partie zwischen Oberlippe und Nasenansatz, die das Gesicht verzeichnet, irgendwie verzerrt und jenen Bildern hnlich erscheinen lie, die uns gewisse prparierte Spiegel oder die Darstellungen primitiver Male von Mnnergesichtern geben. Auffallend langgezogen war auch das Kinn, und auch auf ihm gab es Bart. Zunchst gewann man den Eindruck, da der Geheimrat einen Spitzbart trage; in Wahrheit reichte die graue Behaarung kaum ber das Kinn heraus. Die Spitzbart-Wirkung kam von der auerordentlichen Lnge des Kinnes.