Diesem Wortschwall winkte der Geheimrat lchelnd ab. Aber dann erzhlte er - als wre ihm doch daran gelegen, Hfgen von seiner politischen Vorurteilslosigkeit zu berzeugen - auf seine bedchtig wgende, zugleich schnrkelhaft umstndliche und eindringlich anschauliche Art von den bedeutenden Eindrcken, die seine Reise durch die Sowjetunion ihm gebracht hatte. Jeder objektiv Beobachtende mu es feststellen, und wir alle sollten uns an den Gedanken gewhnen, da dort drben eine neue Form des menschlichen Zusammenlebens im Entstehen ist, sagte er langsam und schaute mit seinem blauen Blick in die Ferne, als she er dort die groen und erschtternden Dinge, die in jenem Land Ereignis wurden. Mit Strenge sagte er noch: Diesen Tatbestand bestreiten nur noch Narren oder Lgner. Dann pltzlich nderte er den Ton; bat, man mge ihm die Schssel mit den Himbeeren reichen, und noch whrend er sich bediente, sagte er, das beinah schelmisch lchelnde Gesicht ein wenig schief gehalten - wie er es zuweilen tat -: Miverstehen Sie mich nicht, lieber Herr Hfgen: Natrlich ist diese Welt mir fremd - nur gar zu fremd, wie ich frchte. Aber mu das bedeuten, da ich ohne Gefhl bin fr ihre zukunftstrchtige Gre? Whrend er dies aussprach, nickte er Barbara zu, die ihm die Sahne gereicht hatte. Hendrik war froh, sich seinerseits wieder hren lassen zu drfen. Fr die Einzelheiten aus dem Leben in Sowjetruland schien er sich nicht sonderlich zu interessieren; hingegen begann er mit Temperament vom Revolutionren Theater zu reden und von den Verfolgungen, denen er in Hamburg seitens der Reaktion ausgesetzt war. Er wurde sehr heftig; bezeichnete die Faschisten abwechselnd als Tiere, Teufel und Idioten und erging sich in den zornigsten Redensarten ber jene Intellektuellen, die aus gemeinem Opportunismus mit dem militanten Nationalismus sympathisierten. Die sollten alle aufgehngt werden! rief Hendrik, wobei er sogar auf den Tisch schlug. Der Ge-heimrat sagte, gleichsam beschwichtigend: Jaja - auch ich habe Unannehmlichkeiten gehabt. Mit dieser Bemerkung spielte er auf die berhmten und skandalsen Ereignisse an: auf die Lrmszenen, die ihm nationalistische Studenten bereitet hatten, und auf die ordinren Angriffe, deren Gegenstand er in der reaktionren Presse gewesen war.
Nach der Mahlzeit bat der alte Herr den Schauspieler Hfgen darum, eine Probe seiner Kunst vorzufhren. Hendrik, der darauf keineswegs gefat gewesen war, wehrte sich lange. Der Geheimrat aber lie sich gar zu gerne ein wenig unterhalten und amsieren: wenn sein Kind sich schon einen Komdianten, der ein rosa Hemd und ein Monokel trug, zum Gatten nahm, dann wollte er, der Vater, wenigstens eine drollige Darbietung davon profitieren. Hendrik mute auf der Diele Rilke-Verse deklamieren; selbst die alte Haushlterin und der groe Hund kamen herbei, um zu lauschen. Zu dem kleinen Auditorium gesellte sich noch Nicoletta, die an der Mahlzeit nicht teilgenommen hatte und vom Geheimrat mit halb ironischer Feierlichkeit begrt wurde. Hendrik gab sich auerordentliche Mhe, arbeitete mit den raffiniertesten Mitteln, machte seine Sache sehr gut und erntete reichlichen Beifall. Als er mit einem Bruchstck aus dem Cornet geendigt hatte, schttelte der Geheimrat ihm nicht ohne Bewegtheit die Hand, und Nicoletta, ihrerseits musterhaft artikulierend, lohte seine blendende Aussprache. -
Am nchsten Tage muten die heiden Damen Hfgen, Mutter und Tochter, in Empfang genommen werden. Hendrik sagte zu Barbara, mit der er auf dem Bahnsteig wartete: Du wirst sehen: Josy fllt mir um den Hals und erzhlt, da sie sich wieder verlobt hat. Es ist schauerlich - sie verlobt sich mindestens jedes halbe Jahr einmal, und mit was fr Burschen! Wir sind jedesmal froh, wenn die Verbindungen auseinandergehen. Das vorige Mal htte es meinen armen Vater fast das Leben gekostet. Der Brutigam war ein Rennfahrer, er nahm Papa in seinem Wagen mit, und der Ausflug endete im Straengraben. Der Rennfahrer ist Gott sei Dank tot, Papa hat sich nur ein Bein gebrochen, aber natrlich ist er sehr betrbt darber, da er heute nicht mit uns allen hier sein kann
Es geschah, wie Hendrik prophezeit hatte: Schwester Josy, in einem grellgelben Sommerkleid, das mit roten Blumen bestickt war, sprang leichtfig aus dem Zuge - whrend die Mama noch im Kupee mit den Handkoffern beschftigt war -, fiel ihrem Binder um den Hals und verlangte strmisch von ihm, er solle ihr gratulieren; diesmal handle es sich um einen Herrn, der eine gute Stellung am Klner Rundfunk habe, Ich werde am Mikrophon singen drfen! jubelte Josy. Er findet mich sehr begabt, im Herbst heiraten wir, bist du glcklich, Heini? - Hendrik! verbesserte sie sich schnell und schuldbewut. Bist du auch so glcklich? Hfgen schttelte sie ab, als wre sie ein lstiges Hndchen, das ihn ansprang. Er eilte der Mutter zu Hilfe, die aus dem Kupeefenster nach einem Gepcktrger rief. Josy inzwischen kte Barbara auf beide Wangen. Fein, dich kennenzulernen, plapperte sie. Natrlich mssen wir uns 'du' sagen - 'Sie', das wre doch viel zu steif unter Schwgerinnen. Ich bin so froh, da Hendrik endlich mal heiratet, bis jetzt habe nur ich mich immerzu verlobt, Hendrik hat dir ja bestimmt erzhlt, wie schief es das vorige Mal ausgegangen ist, Papas Bein steckt noch immer in Cups, aber Konstantin hat wirklich eine sehr gute Stellung am Rundfunk, wir wollen im Oktober heiraten, groartig siehst du aus, Barbara, wo ist denn dein Kleid her, sicher ein echt Pariser Modell.
Hendrik hatte die Mutter herbeigefhrt, und sein Gesicht strahlte, als sie Barbara beide Hnde reichte. Mein liebes, liebes Kind, sagte Frau Hfgen, wobei ihre Augen ein wenig feucht wurden. Hendrik lchelte, zrtlich und stolz. Fr liebte seine Mutter- Barbara begriff es, und sie freute sich. Freilich, manchmal schmte er sich ihrer, sie war ihm nicht fein genug, ihre Kleinbrgerlichkeit schien ihm blamabel. Aber er liebte sie doch: es lie sich erkennen an seinem freudig belebten Blick und an der Alt, wie er ihren Arm an den seinen prete.
Wie hnlich sie sich sahen, Mutter und Sohn! Von Frau Bella hatte Hendrik die lange, gerade, etwas zu fleischige Nase mit den beweglichen Nstern; den breiten, weichen und sinnlichen Mund; das starke und edle Kinn mit der markanten Kerbe in der Mitte; die weiten, graugrnen Augen; die hochgewlbten blonden Brauen, von denen der empfindliche Zug zu den Schlfen ging. Nur zeigte diese Physiognomie bei der stattlichen und biederen Dame einen anspruchsloseren, bescheideneren Charakter als bei ihrem Sohn: es fehlten die tragischen wie die diabolischen Zeichen. Bei ihr gab es kein Schillern der Augen, und die Lippen hatten kein aasig verfhrerisches, auch kein rtselhaft um Mitleid werbendes Lcheln. Frau Bella war eine energische, gutmtige, famos konservierte Frau von Anfang Fnfzig, mit frischen Farben im sympathisch offenen Gesicht, freundlich gewlbtem Busen, einer blonden Dauerwellenfrisur unter einem blumengarnierten Strohhut und mit einem leichten Sattel von Sommersprossen auf der Nase.
Der Geheimrat enpfing die Damen an der Gartent-re mit der gleichen heiteren Feierlichkeit, die er am Tage vorher fr Hendrik gehabt hatte. Bella und Josy wurden von Barbara nach oben geleitet, wo sie sich geschwind die Hnde waschen und die Nasen pudern wollten. Eine Stunde spter fuhr man in zwei Automobilen zum Standesamt: im Brucknerschen Wagen nahmen, auer dem Brautpaar, Frau Hfgen und der Geheimrat Platz; in einem Taxi folgten Nicoletta, Josy, die alte Haushlterin und ein Jugendfreund Barbaras, der Sebastian hie und ber dessen Anwesenheit Hendrik etwas verwundert war. Die amtliche Zeremonie war schnell erledigt. Nicoletta und der Geheimrat machten die Trauzeugen; alle waren ziemlich aufgeregt, Frau Bella und die kleine Haushlterin weinten, whrend Josy ein nervses Lachen hren lie. Hendrik beantwortete die Fragen des Standesbeamten mit einer belegten Stimme, wobei seine Augen starr wurden und etwas schielten; Barbara hielt ihren sanft forschenden Blick auf den Mann gerichtet, der da neben ihr stand und der nun, berraschenderweise, ihr Gatte sein sollte. - Es folgten Glckwnsche und Umarmungen. Zur allgemeinen berraschung bat Nicoletta Frau Hfgen mit scharfer Stimme um die Erlaubnis, sie Tante Bella nennen zu drfen, und da sie es gestattet bekam, kte sie ihr mit diabolischer Korrektheit die Hand. Das imposante Mdchen war heute vormittag besonders blitzblank und von einer klirrenden Heiterkeit. In ihrem weien, panzerartig harten Leinenkleid, zu dem sie einen breiten, grellroten Lackledergrtel um die Hften trug, hielt sie sich sehr gerade. Zu Barbara sagte sie: Ich bin froh, meine Liebe, da alles so gut geklappt hat - eine etwas sinnlose, jedoch mit schneidender Exaktheit vorgebrachte Bemerkung.