Der junge Mann trat hinzu, ber dessen Anwesenheit Hendrik etwas beunruhigt war und der Sebastian angeredet wurde. Er unterhielt sich mit Barbara in einem geschwinden, an schwer verstndlichen, privaten Anspielungen reichen Jargon, dem Hendrik nur mit Mhe folgen konnte. Hfgen stellte bei sich fest, da dieser Mensch, den Barbara ihren besten Jugendfreund nannte und von dem sie behauptete, er schriebe schne Verse und gescheite Aufstze, ihm ausgesprochen unsympathisch war.,Er ist hochmtig und unausstehlich!' dachte Hendrik, der sich in Sebastians Nhe besonders unsicher fhlte, obwohl dieser liebenswrdig zu ihm war. Aber gerade diese unverbindliche und ein wenig spttische Liebenswrdigkeit wirkte verletzend. Sebastian hatte reiches, aschblondes Haar, das ihm in einer dicken Strhne in die Stirne fiel, und ein fein gezeichnetes, etwas mdes Gesicht mit einer langen, stark vorspringenden Nase und verschleiert blickenden grauen Augen. Wahrscheinlich ist auch sein Vater ein Professor oder etwas hnliches', beschlo Hendrik erbittert.,So ein verwhnter, geistreicher Bube ist genau der Umgang, von dem Barbara endgltig verdorben werden knnte.' -
Nach der Mahlzeit sa man in der Diele zusammen; denn auf der Terrasse war es zu hei geworden. Frau Bella hielt es fr ihre Pflicht, ber Literatur zu sprechen. Sie erzhlte, da sie im Zge etwas so besonders Nettes gelesen habe, geradezu spannend sei es gewesen, von wem war es denn nur, na, von unserem Russen, unserem grten! rief die Arme geqult. Wie knnte ich denn nur den Namen vergessen, wo er doch schon immer mein Lieblingsdichter war! Nicoletta schlug vor, ob es sich nicht um Tolstoi gehandelt haben mchte. Ganz richtig - Tolstoi! besttigte Frau Bella erlst. Ich sagte doch: Unser Grter - und es war etwas ganz Neues von ihm. Aber dann stellte sich heraus, da es eine kleine Dostojewski-Novelle gewesen war, die Mutter Hfgen soviel Freude bereitet hatte. Hendrik war blutrot geworden. Um das Gesprchsthema zu wechseln und um diesem arroganten Kreise zu beweisen, da er seine Mutter in peinlichen Situationen nicht im Stiche lie, plauderte er demonstrativ mit Frau Bella und erinnerte sie, herzlich lachend, an mancherlei Lustiges, was sich in vergangenen Jahren zugetragen hatte. Ja, das war ulkig gewesen, als sie beide - Mutter und Sohn - zur Faschingszeit den groen Budenzauber veranstalteten und Papa Kbes erschreckten! Frau Bella maskierte sich als Pascha; der kleine Hendrik - dessen Name damals Heinz gewesen war; aber dies wurde jetzt nicht erwhnt - als Bajadere. Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, Papa Kbes traute seinen Augen nicht, als er nach Hause kam. Mama war die erste, die erkannte, da ich zum Theater gehen mute, sagte Hendrik und sah die Mutter liebevoll an. Papa wollte lange nichts davon wissen. - Dann erzhlte er die Geschichte, wie seine schauspielerische Laufbahn begonnen hatte. Es war noch whrend des Krieges gewesen, 1917, als Hendrik, kaum achtzehn Jahre alt, auf einem Stck Zeitungspapier eine Annoncefand, aus der hervorging, da ein Fronttheater im belgischen besetzten Gebiet junge Schauspieler suchte. Aber an welchem Ort ich diesem schicksalsvollen Zeitungsfetzen begegnet bin, sagte Hendrik, das darf ich gar nicht erzhlen. Da alle lachten, tat er, als ob er sich sehr heftig schmen mte, und brachte nur noch zwischen den Hnden, hinter denen er sein Gesicht verbarg, hervor: Jaja - ich frchte, da Sie es erraten haben
Auf dem Klosett! jubelte schamlos die Generalin, und ihr groes Gelchter sprang in khner Koloratur vom tiefsten Ba bis hinauf zur silbrigen Hhe.
Whrend die allgemeine Stimmung immer frhlicher und animierter wurde, ging Hendrik zu den Anekdoten ber das Wandertheater ber, wo er die Vterrollen hatte spielen mssen: nun konnte er, ungeniert und heiter, all seine altbewhrten Piecen3 hervorholen und wieder einmal funkeln lassen; denn in diesem Kreise waren sie ja noch unbekannt. Nur Barbara hatte sie teilweise schon gehlt, weshalb der Blick, mit dem sie den Erzhlenden beobachtete, erstaunt und sogar ein klein wenig angewidert wurde. -
Abends kamen einige Freunde, und Hendrik durfte seinen unbezahlten Frack zeigen, der ihm wundervoll stand. Die Tafel war schn mit Blumen geschmckt; nach dem Braten klopfte der Geheimrat ans Ghampagnerglas und hielt eine Rede. Er begrte die Anwesenden, vor allem Hendriks Mutter und Schwester - wobei er Frau Bella mit scherzhafter Artigkeit die andere junge Frau Hfgen nannte -, und ging dann auf das Problem der Ehe im allgemeinen, auf die Person und die knstlerischen Verdienste seines neuen Schwiegersohnes im besonderen ein. Dem Geheimrat, der seine Worte mit Sorgfalt und mit einer liebevollen Geschicklichkeit whlte, gelang es, den Schauspieler Hfgen als eine Art von Mr-chenprinzen zu charakterisieren, der, tagsber unscheinbar, sich des Abends magisch zu verwandeln vermag. Da sitzt er! rief Bruckner und deutete mit seinem langen, schmalen Zeigefinger auf Hendrik, der sofort etwas rot wurde. Da sitzt er, sehen Sie ihn sich nur an! Er scheint ein schlanker junger Mann zu sein - gewi, sehr stattlich in seinem gut geschnittenen Frack, aber doch relativ unauffllig. Unauffllig nmlich, wenn ich ihn mit der bunten, zauberhaften Figur vergleiche, die abends, im Rampenlicht, auf der Bhne aus ihm wird; Da beginnt er zu strahlen, da wird er unwiderstehlich! Und der von seinem Thema hingerissene Gelehrte verglich den Schauspieler Hfgen - den er doch niemals auf der Szene gesehen hatte, sondern nur als Rilke-Rezitator kannte - mit einem Glhwrmchen, das sich tags aus schlauer Bescheidenheit bersehen lt, um in der Dunkelheit erst recht verfhrerisch zu gaukeln. Hier lie Nicoletta ein grelles Lachen hren, whrend die Generalin mit der Kette klapperte, an der ihre Lorgnette hing.
Der Geheimrat lie zum Schlu das junge Paar hochleben. Hendrik kte Barbaras Hand. Wie schn du aussiehst! sagte er und lchelte ihr innig zu. - Barbaras Kleid war aus einer schweren, teefarbenen Seide. Nicoletta hatte es getadelt und behauptet, es sei nicht modisch, sondern ein Phantasiekostm, dem man seine Herkunft von der Hausschneiderin ansehe. Niemand aber konnte leugnen, da es Barbara vorzglich stand. ber dem breiten Kragen aus alten Spitzen - er war eines der Hochzeitsgeschenke der Generalin - erhob sich in rhrender Schlankheit ihr brunlicher Hals. - Das Lcheln, mit dem sie Hendrik antwortete, war ein wenig zerstreut. Ging nicht ihr schwrzlichblauer, sanfter, prfender Blick vorbei an Hfgen, der ihr gegenberstand? Wem galt dieser Blick, der bekmmert, aller auch etwas spttisch schien? Hendrik, pltzlich irritiert, wandte sich um. Er sah Sebastian, Barbaras Freund: in der schlechten Haltung, die ihm eigen war, mit hngenden Schultern und den Kopf nach vorne gestreckt, stand er nur einige Schritte entfernt von dem jungen Paar. Sein Gesicht war betrbt und zeigte einen angestrengt lauschenden Ausdruck. Auf eine merkwrdige Art bewegte er die Finger seiner beiden Hnde - so etwa, als wollte er in der Luft Klavier spielen. Was bedeutete dies? Machte er Barbara Zeichen, deren geheimen Sinn nur sie verstehen konnte? Worauf lauschte er denn, der Verhate? Und warum diese Traurigkeit in seinem Gesicht? Liebte er Barbara? Sicher liebte er sie. Wahrscheinlich hatte er sie heiraten wollen; vielleicht hatte es schon vor Jahren eine kindliche Verlobung gegeben zwischen ihm und ihr. Nun habe ich ihm alles verdorben!' empfand Hendrik, halb triumphierend, halb entsetzt. Wie er mich verabscheut!' Er schaute weg von Sebastian und auf die brigen Gste - die Freunde dieses berhmten Hauses. Da fand er, da sie alle betrbte Gesichter hatten. Mnner mit durchgearbeiteten, charaktervollen Mienen - Hendrik hatte ihre Namen bei der Begrung nicht verstanden; aber es waren wohl Professoren, Schriftsteller, groe rzte -; ein paar junge Leute, die ihm alle mit Sebastian eine fatale hnlichkeit zu haben schienen; Mdchen, die in ihren Abendkleidern wie maskiert wirkten - als gingen sie sonst in grauen Flanellhosen, weien Laboratoriumskitteln oder grnen Grtnerschrzen: Hendrik schien es, als mischte sich in den Blicken, die sie auf ihn richteten, Neid mit Hohn. Hatten sie denn alle Barbara geliebt? Nahm er sie ihnen allen weg? War er also der Eindringling, die verdchtige, unserise Figur, mit der man sich ungern und nur aus Rcksicht auf Barbaras rtselhafte - wahrscheinlich flchtige - Laune an einen Tisch setzt? In Wahrheit sprachen diese Menschen ber hundert neutrale Dinge: ber ein neues Buch, eine Theatervorstellung oder die politische Lage, die ihnen Sorgen machte. Hendrik aber meinte, sie beschftigten sich nur mit ihm; sie sprchen, lchelten, spotteten nur ber ihn.