Es scheint also doch Krebs zu sein, berichtete hinter vorgehaltenem Taschentuch ein Herr von der englischen Presse dem Pariser Kollegen. Bei diesem aber war er an den Falschen geraten. Pierre Larue hatte das Aussehen eines hchst gebrechlichen, dabei recht tckischen Zwerges; schwrmte aber fr den Heroismus und fr die schnen uniformierten Burschen des neuen Deutschland. brigens war er kein Journalist, sondern ein reicher Mann, der verklatschte Bcher ber das gesellschaftliche, literarische und politische Leben der europischen Hauptstdte schrieb und dessen Lebensinhalt es bedeutete, berhmte Bekanntschaften zu sammeln. Dieser ebenso groteske wie anrchige kleine Kobold, mit dem spitzen Gesichtchen und der lamentierenden Fistelstimme einer krnklichen alten Dame, verachtete die Demokratie seines eigenen Landes und erklrte jedem, der es hren wollte, da er Clemenceau fr einen Schurken und Briand fr einen Idioten halte, jeden hheren Gestapobeamten jedoch fr einen Halbgott und die Spitzen des neudeutschen Regimes fr eine Garnitur von tadellosen Gttern.
Was verbreiten Sie fr infamen Unsinn, mein Herr! Das Mnnchen schaute erschreckend boshaft; seine Stimme raschelte drr wie gefallenes Laub. Der Gesundheitszustand des Fhrers lt nichts zu wnschen brig. Er ist nur ein bichen erkltet.
Diesem kleinen Scheusal war es zuzutrauen, da er hinging und denunzierte. Der englische Korrespondent wurde nervs; er versuchte, sich zu rechtfertigen: Ein italienischer Kollege hat mir im Vertrauen so etwas angedeutet Aber der schmchtige Liebhaber prall gefllter Uniformen schnitt ihm mit Strenge das Wort ab:
Genug, mein Herr! Ich will nichts mehr hren! Das ist alles unverantwortliches Geschwtz! - Entschuldigen Sie, fgte er sanfter hinzu. Ich mu den Exknig von Bulgarien begren. Die Prinzessin von Hessen ist hei ihm, ich habe die Bekanntschaft Ihrer Hoheit am Hofe ihres Vaters in Rom gemacht. Er rauschte davon, die bleichen und spitzen Hndchen auf der Brust gefaltet, in der Haltung und mit dem Gesichtsausdruck eines intriganten Abbs. Der Englnder murmelte hinter ihm her: Damned snob.
Eine Bewegung ging durch den Saal, es gab ein hrbares Rauschen: Der Propagandaminister war eingetreten. Man hatte ihn heute abend nicht hier erwartet, alle wuten um seine gespannte Beziehung zu dem fetten Geburtstagskind - das sich brigens seinerseits noch immer verborgen hielt, um aus seinem Entrees dann den ganz groen Clou zu machen.
Der Propagandaminister - Herr ber das geistige Leben eines Millionenvolkes - humpelte behende durch die glnzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine bse, gefhrliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordinren Trubel genuschtiger, feiger und erbrmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gelhmt von Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich demtig und havoll, an dem gefrchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lcheln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich Mhe, zu bezaubern, zu vershnen und seine tiefliegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfu grazis hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitlufern, Betrgern, Betrogenen und Narren sein falschbedeutendes Raubvogelprofil. An den Gruppen von Millionren, Botschaftern, Divisionskommandanten und Filmstars huschte er, tckisch lchelnd, vorber. Es war der Intendant Hendrik Hfgen, Staatsrat und Senator, bei welchem er stehenblieb.
Noch eine Sensation! Intendant Hfgen gehrte zu den deklarierten Favoriten des Ministerprsidenten und Fliegergenerals, der seine Berufung an die Spitze der Staatstheater durchgesetzt hatte gegen den Willen des Propagandaministers. Dieser war, nach einem langen und heftigen Kampf, dazu gezwungen worden, seinen eigenen Proteg, den Dichter Csar von Muck, zu opfern und auf Reisen zu schicken. Nun aber ehrte er demonstrativ das Geschpf seines Feindes durch seine Begrung und durch sein Gesprch. Wollte der schlaue Meister der Propaganda auf solche Weise vor der internationalen Elitegesellschaft bekunden, da es Unstimmigkeiten und Rnke zwischen den Spitzen des deutschen Regimes gar nicht gebe und da die Eifersucht zwischen ihm, dem Reklamechef, und dem Fliegergeneral ins hliche Gebiet der Greuelmrchen gehre? Oder war Hendrik Hfgen - eine der meistbesprochenen Figuren der Hauptstadt - seinerseits so unermelich schlau, da er es fertigbrachte, zum Propagandaminister ebenso intime Beziehungen zu unterhalten wie zum Fliegergeneral - Ministerprsidenten? Spielte er den einen Machthaber gegen den anderen aus, lie sich von den beiden groen Konkurrenten protegieren? Seiner legendren Geschicklichkeit wre es zuzutrauen
Das war ja alles ungeheuer interessant! Pierre Larue lie den Exknig von Bulgarien einfach stehen und trippelte durch den Saal - von seiner Neugierde dahingeweht wie eine Feder vom Winde -, um dieses sensationelle Renkontre aus der nchsten Nhe mit anzuschauen, Csar von Mucks sthlerne Augen kniffen sich mitrauisch zusammen, die Millionrin aus Kln sthnte wollstig vor lauter Angeregtheit und Freude an der erhabenen Situation; whrend Frau Bella Hfgen, die Mutter des groen Mannes, allen, die in ihrer Nhe standen, gndig und gleichsam ermunternd zulchelte, als wollte sie ihnen bedeuten: Mein Hendrik ist gro, und ich bin seine distinguierte Mutter. Trotzdem braucht ihr nun nicht gleich in die Knie zu sinken. Er und ich, wir sind auch nur von Fleisch und Blut, wenngleich sonst ausgezeichnet vor den brigen Menschen.
Wie geht es Ihnen, mein lieber Hfgen? fragte der Propagandaminister anmutig lchelnd den Intendanten. Auch der Intendant lchelte, aber nicht gleich bis zu den Ohren hinauf, sondern mit einer Vornehmheit, die fast schmerzlich wirkte. Ich danke Ihnen, Herr Minister! Er sprach leise, etwas singenden Tones, dabei uerst akzentuiert-. Der Minister hatte seine Hand noch immer nicht losgelassen. Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin erkundigen, sagte der Intendant, und nun mute sein hoher Gesprchspartner endlich ein ernstes Gesicht machen. Sie ist heute abend ein wenig unplich. Dabei lie er die Hand des Senators und Staatsrats los. Dieser sagte wehmtig: Wie leid mir das tut.
Natrlich wute er - was allen hier im Saale bekannt war -, da die Frau des Propagandaministers vllig verzehrt und innerlich verwstet war von Eifersucht auf die Gattin des Ministerprsidenten. Da der Diktator selber unverehelicht blieb, war das angetraute Weib des Reklamechefs die Erste Dame im Reiche gewesen, und sie hatte diese ihre gottgewollte Funktion mit Anstand und Wrde erfllt, ihr Todfeind konnte es nicht bestreiten.
Dann aber kam diese Lotte Lindenthal daher, eine mittt-lere Schauspielerin - jung war sie auch nicht mehr -, und lie sich heiraten von dem prachtliebenden Dicken. Die Frau des Propagandaministers litt unbeschreiblich. Man machte ihr den Rang der Ersten Dame streitig! Eine andere drngte sich vor! Mit einer Komdiantin ward ein Kult getrieben1, als ob die Knigin Luise auferstanden wre! Immer wenn es eine Veranstaltung zu Lottes Ehren gab, rgerte sich Frau Reklamechef so ungeheuer, da sie Migrne bekam. Auch heute abend war sie im Bett geblieben.