Barbaras Augen, die eben noch von einer frohen Helligkeit gewesen waren, wurden nachdenklich und bekamen den forschenden Blick. Nach einem kurzen Schweigen erkundigte sie sich leise: Wie kommst du darauf, das gerade jetzt zu bemerken? Er erwiderte, wobei er immer noch auf strenge Art mit den Fingern trommelte: Es ist allgemein blich, ein weiches Ei aus der Schale und mit Salz zu essen. In der Villa Bruckner speist man es aus dem Glase und mit sechs verschiedenen Gewrzen. Das ist sicher sehr originell. Aber ich sehe keinen Grund, sich ber jemanden lustig zu machen, der an solche Originalitten nicht gewhnt ist.
Barbara schwieg, schttelte verwundert den Kopf und stand auf. Er schaute ihr nach, wie sie sich, mit ihrem schlendernd nachlssigen, etwas schiebenden Gang, langsam durchs Zimmer bewegte. Pltzlich mute er denken:,Es ist sonderbar - nun hat sie die hohen Stiefel an, die mir so gut gefallen, aber an ihren Beinen wirken sie nicht so, wie ich es mir wnsche und wie ich es brauche. Bei ihr sind die Stiefel der korrekte Teil eines sportlichen Kostms. Bei Juliette bedeuten sie etwas anderes'
In Barbaras Gegenwart den Namen Juliette zu denken, bereitete ihm einen bsartigen Triumph, der ihn fr manche Krnkung entschdigte.,Reite du nur spazieren', dachte er hhnisch.,Mache du dir nur einen Cocktail aus dem weichen Ei! Du weit doch nicht, wen ich heute nachmittag, vor der Probe, treffe.' Whrend Barbara, stolz und schweigend, das Zimmer verlie, empfand er die ordinre Genugtuung des Ehemanns, der seine Frau betrgt und stolz darauf ist, da sie ihm nicht dahinterkommt. -
Schon in der zweiten Woche nach seiner Rckkehr hatte Hendrik die Schwarze Venus wiedergetroffen. Sie hatte ihm aufgelauert, als er abends ins Theater ging. Mit welchem Schauer der Wollust und des Entsetzens war er zusammengefahren, als aus dem Dunkel eines Torbogens ihre heisere und vertraute Stimme ihn anrief: Heinz! Dieser Name, dessen er sich schmte und den er abgelegt hatte - ausgesprochen von der dumpfen Stimme der Negerin, tat er ihm wohl, wie eine grausame Liebkosung. Trotzdem hatte er sich dazu gezwungen, die Schwarze anzufahren: Was erlaubst du dir?! Du lauerst mir auf! Da hatte sie ihm hhnisch abgewinkt mit ihrer schnen, kraftvollen, sehnigen Hand: La nur, mein Ser! Wenn du nicht artig bist, gehe ich ins Theater und mache Krach. Es ntzte ihm nichts, da er zischte: Du willst mich also erpressen! Sie grinste: Aber gewi doch! - wobei sie Zhne und Augpfel blitzen lie. Ihr breites Lachen war von einer Gemeinheit, die ihm frchterlich und dabei unwiderstehlich schien. Er drngte Juliette in den Hausgang, denn er zitterte davor, es knnte jemand vorbeikommen und ihn in so schlimmer Gesellschaft bemerken. Wirklich sah Prinzessin Tebab arg verkommen aus. Der kleine Filzhutj den sie tief in die Stirn gezogen trug, und das abgetragene, enge Jackett hatten dieselbe grellgrne Farbe wie die hohen, glnzenden Stiefel. Um den Hals trug sie eine kleine Boa' aus schmutzigen, zerzausten weien Federn. ber diesem traurigen Putz stand breit und dunkel das Gesicht mit den aufgeworfenen, rissigen Lippen und der platten Nase. Wieviel Geld willst du? fragte er sie hastig. Ich bin selber im Augenblick ziemlich knapp Sie antwortete, beinahe schelmisch: Mit Geld ist es nicht getan, mein Zuckerffchen. Du mut mich besuchen.
Was fllt dir ein? murmelte er mit bebenden Lippen. Ich bin verheiratet Aber sie unterbrach ihn streng: Rede kein Blech, mein Schaf. Die Frau Gemahlin kann dir das nicht bieten, was du nun einmal brauchst. Ich habe sie mir doch angeschaut - deine Barbara. (Woher wute sie ihren Namen? Der harmlose Umstand, da sie ihren Namen wute, erfllte Hendrik mit besonderem Schrecken.) Die, Person hat ja nichts in den Knochen, sagte Prinzessin Tebab noch und rollte die wilden Augen. Hendrik, dem der Angstschwei auf der Stirne stand, wartete darauf, da die Schwarze seine Barbara, Bruckners Tochter, eine lahme Ente nennen wrde. Juliette indessen schien nicht geneigt, diese theoretische Konversation fortzusetzen. In einem drohenden Ton, der prompte und exakte Antwort verlangte, fragte sie: Also - wann kommst du zu mir?
In einer Dachkammer, deren graue Kahlheit durch die slich-grelle Reproduktion einer Raffael-Madonna ber dem Bett nicht verschnt, sondern grotesk betont wurde, begannen die makabren Exerzitien wieder, die frher Frau Konsul Mnkebergs brgerliche Stube als Dekoration gehabt hatten. Hier atmete der junge Ehemann wieder den wildfremd-vertrauten Geruch, der gemischt zu sein schien aus billigstem Parfm und dem Aroma des Urwalds. Hier gehorchte er wieder der rauhen, bellenden Stimme, dem Hndeklatschen, dem rhythmischen Stampfen seiner Meisterin. Hier deklamierte er wieder franzsische Verse, wenn er sthnend vor Erschpfung auf die harte Pritsche gesunken war, die der Knigstochter als Bett diente. Nun aber fhrten diese finsteren Festlichkeiten, die Hfgen sich - wie frher - zweimal in der Woche gnnte, zu einem, ababscheulichen Hhepunkt, der ihnen frher gefehlt hatte. Wenn alles vorber war und Frulein Juliette ihren befriedigten und ermatteten Schler ruhen lie, dann begann Hendrik, in dieser Kammer und vor dieser Frau, von seiner Gattin Barbara zu sprechen.
Was er der diskret-forschenden, eiferschtig-gespannten Neugierde seiner Freundin Hedda von Herzfeld, was er dem kameradschaftlichen Interesse des Gesinnungsgenossen Otto Ulrichs verschwieg, das gestand er seiner Schwarzen Venus, die ihn Heinz nennen durfte: ihr beichtete er, was er um Barbara litt. Ihr, und nur ihr gegenber zwang er sich zur Aufrichtigkeit. Er verheimlichte nichts, auch nicht die eigene Schande. Da Frulein Martens von seiner physiologischen Niederlage, seiner ehelichen Blamage erfuhr, lachte sie rauh, lang und herzlich. Hendrik wand sich unter diesem Gelchter, das ihm schwerer zu ertragen schien als die schrfsten Hiebe. ber ihm grinste die schwarze Knigstochter: Na, wenn das so ist, mein Ser - wenn sich das so verhlt - dann kannst du wohl nicht erwarten, da deine Schne dich noch mit besonderem Respekt behandelt!
Er berichtete von Barbaras Morgenritten, die er als eine stndige Provokation empfand; er beklagte sich ber all ihre stolzen Extravaganzen - aus den weichen Eiern macht sie sich einen Gocktail, mit zehn scharfen Saucen, und schaut noch auf mich herab, weil ich mein Ei wie ein gewhnlicher Sterblicher aus der Schale esse! Alles in meiner Wohnung mu mglichst genauso sein wie in den Husern ihres Vaters und ihrer Gromama. Deshalb hat sie auch nicht erlaubt, da ich mir den klei-tnen Bock als Diener nehme: ein sehr braver Junge, mir treu ergeben, mit ihm htte sie sich nicht gegen mich verschwren knnen. Aber nein, ein Mensch, der zu mir hlt, das duldet sie in unserem Haushalt nicht. Da sucht sie Ausreden und behauptet, der kleine Bock wrde die Wohnung nicht in Ordnung halten - dabei kennt sie ihn berhaupt nicht, er ist seit Jahren mein Garderobier, und ich kann es beschwren: er ist die personifizierte Ordnungsliebe. Statt seiner haben wir nun irgendeine unsympathische alte Person, die zwanzig Jahre lang Zimmermdchen auf dem Gut der Generalin war: damit sich nur ja nichts ndert im Leben der gndigen Frau!
Mit solchen Erzhlungen und Lamentationen endeten die Visiten in Juliettens dsterer Dachkammer. Ehe Hendrik die fnf Mark auf dem Nachttisch deponierte und ging, sagte er seiner Prinzessin, da er sie viel, viel mehr liebe als Barbara. Das ist ja gar nicht wahr, antwortete Juliette mit ihrer ruhigen und tiefen Stimme. Du lgst ja schon wieder. Daraufhin zeigte Hendrik ein vieldeutiges, schmerzliches, hhnisches, versonnenes Lcheln. Lge ich? fragte er leise. Und dann - pltzlich mit einer hellen Stimme und das Kinn hochgereckt: Na, ich mu ins Theater
Die Proben zu der neuen Inszenierung des Sommernachtstraum, in der Hendrik den Elfenknig Oberen spielte, und die Vorbereitungen zu einer groen Revue waren wichtiger und erregender als das zugleich komplizierte und mige Problem, wen er mehr liebe: Barbara oder Juliette. Unsereiner hat nicht das Recht, sich durch Privatangelegenheiten ablenken zu lassen von der Arbeit, erklrte er seiner Freundin Hedda. Schlielich ist man zuerst und vor allem Knstler, schlo er, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, der sowohl stolz und siegesgewi als auch leidend war. -