Gewi htte sich Ihre Frau Gemahlin hier sehr gut unterhalten. Hfgen machte immer noch die feierliche Miene. In seinen Worten war von Ironie keine Spur zu finden. Zu schade, da der Fhrer absagen mute. Auch der englische und der franzsische Botschafter sind verhindert.
Mit diesen Feststellungen, die er in sanftestem Tone vorbrachte, verriet Hfgen seinen eigentlichen Freund und Gnner - den Ministerprsidenten, dem er all seinen Glanz zu danken hatte - an den eiferschtigen Propagandaminister. Diesen aber hielt er sich fr alle Flle in der Reserve.
Der gewandte Klumpfu fragte vertraulich, nicht ohne Hohn: Und wie ist hier die Stimmung?
Der Intendant der Staatstheater sagte zurckhaltend: Man scheint sich zu amsieren.
Die beiden Wrdentrger fhrten ihre Unterhaltung leise; denn um sie drngten sich Neugierige, auch mehrere Photographen waren herbeigekommen. Die Kaiio-nenfabi ikantin flsterte eben Pierre Larue zu, der in Verzckung die bleichen Knochenhndchen ber der Brust gegeneinander rieb: Unser Intendant und der Minister - sind sie nicht ein herrliches Paar? Beide so bedeutend! Beide so schn! Sie drngte ihren ppigen, geschmckten Leib nahe an das gebrechliche Krperchen des Kleinen. Der zarte gallische Liebhaber des germanischen Heroismus, der strammen Jnglinge, des Fhrergedankens und der hohen Adelsnamen frchtete sich vor der atmenden Nhe soviel weiblichen Fleisches. Er versuchte, sich ein wenig zurckzuziehen, whrend er zirpte: Exquisit! Ganz charmant! Unvergleichlich! Die Rheinlnderin beteuerte: Unser Hfgen - das ist ein ganzer Mann, sage ich Ihnen! Ein Genie, so etwas gibt es weder in Paris noch in Hollywood! Und so urdeutsch, so gerade, einfach und ehrlich! Ich habe ihn ja schon gekannt, als er noch so klein gewesen ist. Mit der vorgestreckten Hand deutete sie an, wie klein Hendrik gewesen war, als sie, die Millionrin, seine Mutter auf den Klner Wohlttigkeitsveranstaltungen konsequent geschnitten hatte. Ein herrlicher Junge! sagte sie noch und bekam so sinnliche Augen, da Larue panisch die Flucht ergriff.
Man htte Hendrik Hfgen fr einen Mann von etwa fnfzig Jahren gehalten; er war aber erst neunund-dreiig - ungeheuer jung fr seinen hohen Posten. Seine fahle Miene mit der Hornbrille zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich sehr nervse und sehr eitle Menschen zwingen knnen, wenn sie sich von vielen Leuten beobachtet wissen. Sein kahler Schdel hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grauweien Gesicht fiel der beranstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schlfen lief; auerdem die markante Bildung des starken Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt trug, so da die vornehm schne Linie zwischen Ohr und Kinn khn und herrisch betont ward. Auf seinen breiten und blassen Lippen lag ein erfrorenes, vieldeutiges, zugleich hhnisches und um Mitleid werbendes Lcheln. Hinter den groen, spiegelnden Brillenglsern wurden seine Augen nur zuweilen sichtbar und wirksam: Dann erkannte man, nicht ohne Schrecken, da sie, bei aller Weichheit, eiskalt, bei aller Melancholie sehr grausam waren. Diese grngrau schillernden Augen lieen an Edelsteine denken, die kostbar sind, aber Unglck bringen; gleichzeitig an die gierigen Augen eines bsen und gefhrlichen Fisches. - Alle Damen und die meisten Herren fanden, da Hendrik Hfgen nicht nur ein bedeutender und hchst geschickter, sondern auch ein bemerkenswert schner Mann sei. Seine zusammengenommene, vor lauter bewuter und berechneter Anmut fast steife Haltung und sein kostbarer Frack lieen es bersehen, da er entschieden zu fett war, vor allem in der Hftengegend und am Hinterteil.
Ich mu Ihnen brigens zu Ihrem Hamlet gratulieren, mein Lieber, sprach der Propagandaminister. Eine famose Leistung. Die deutsche Bhne kann stolz auf sie sein.
Hfgen neigte ein wenig das Haupt, indem er das schne Kinn etwas nach unten drckte: Oberhalb des hohen, blendenden Kragens entstanden zahlreiche Falten am Hals. Wer vor dem Hamlet versagt, verdient den Namen eines Schauspielers nicht. Seine Stimme klagte vor Bescheidenheit. Der Minister konnte eben noch konstatieren: Sie haben die Tragdie ganz gefhlt - da ging ein ungeheurer Aufruhr durch den Saal.
Der Fliegergeneral und seine Gattin, die gewesene Aktrice Lotte Lindenthal, waren durch die groe Mitteltre eingetreten: Brausendes Beifallsklatschen und drhnender Zuruf begrten sie. Durch ein Spalier von Menschen, aus dem Jubel stieg, schritt das erlauchte Paar. Kein Kaiser hatte jemals schneren Einzug gehalten. Der Enthusiasmus schien ungeheuer: Jeder von den zweitausend auserlesen feinen Menschen wollte sich, den anderen und dem Ministerprsidenten durch mglichst lautes Geschrei und Hndeklatschen beweisen, einen wie glhenden Anteil er am dreiundvierzigsten Geburtstag des Hohen Herrn im besonderen und am Nationalen Staate im allgemeinen nahm. Man brllte: Hoch!, Heil! und: Wir gratulieren! Man warf Blumen, die von Frau Lotte mit wrdevoller Grazie empfangen wurden. Die Kapelle spielte groen Tusch. Der Propagandaminister bekam ein haverzerrtes Gesicht; aber darauf achtete niemand, auer vielleicht Hendrik Hfgen. Dieser stand unbeweglich: Er erwartete seinen Gnner in zusammengenommener, anmutig steifer Haltung.
Man hatte Wetten darber abgeschlossen, in welcher Phantasieuniform der Dicke heute abend erscheinen wrde. Es war eine asketische Koketterie von ihm, nun die Gesellschaft durch den allerschlichtesten Aufzug zu verblffen. Die flaschengrne Litewka, die er trug, wirkte fast wie eine streng geschnittene Hausjacke. Auf der Brust blitzte ihm nur ein ganz kleiner silberner Ordensstern. In den grauen Hosen wirkten seine Beine - die er sonst gerne unter langen Mnteln verbarg - besonders umfangreich: es waren Sulen, auf denen er sich langsam dahinbewegte. Die kolossalische Gre und Breite seiner monstrsen Figur waren geeignet, Schrecken und Ehrfurcht um sich zu verbreiten - zumal kein Anla.bestand, irgend etwas an ihm komisch zu finden: Dem Khnsten verging das Lachen, wenn er erwog, wieviel Blut schon auf den Wink des Speck-und-Fleisch-Rie-sen geflossen war und wie unermelich viel Blut vielleicht noch strmen wrde zu seinen Ehren. Auf dem kurzen, wulstigen Hals erschien sein massives Haupt wie bergssen von dem roten Safte: das Haupt eines Csars, von dem man die Haut abgezogen hat. An diesem Gesicht war nichts Menschliches mehr: Es war aus rohem, umgeformtem Fleische ein Klotz.
Der Ministerprsident schob seinen Bauch, dessen enorme Wlbung in die der Brust berging, majesttisch durch die strahlende Versammlung. Der Ministerprsident grinste.
Sein Weib Lotte grinste nicht, sondern verschenkte Lcheln, eine Knigin Luise in jedem Zoll. Auch ihre Robe, deren Kostbarkeit den Gesprchsstoff der Damen gebildet hatte, war einfach bei allem Pomp: glatt flieend, aus einem schimmernden Silbergewebe, endend in einer kniglich langen Schleppe. Das Brillantendiadem aber in der hrenblonden Frisur, die Perlen und Smaragde auf dem Busen bertrafen an Gewicht und Strahlenglanz alles, was es sonst noch zu bewundern gab in dieser ppigen Runde. Das riesenhafte Geschmeide der Provinzschauspielerin reprsentierte Millionenwerte: Sie verdankte es der Galanterie eines Gatten, der gerne die Prunksucht und Korrumpiertheit republikanische!" Minister und Brgermeister in ffentlicher Rede geielte, und der Freue einiger wohlsituierter und bevorzugter Untertanen. Sie galt als uneigenntzig, unantastbar rein. Sie war zur Idealgestalt geworden unter den deutschen Frauen. Sie hatte groe, runde, etwas hervortretende Kuhaugen von einem feuchtstrahlenden Blau; schnes blondes Haar und einen schneeweien Busen. brigens war auch sie schon ein wenig zu dick - man speiste gut und reichlich im Prsidentenpalais. Man erzhlte sich bewundernd von ihr, da sie sich gelegentlich bei ihrem Gatten fr Juden aus der guten Gesellschaft einsetze - die Juden kamen trotzdem ins Konzentrationslager. Man nannte sie den guten Engel des Ministerprsidenten; indessen war der Frchterliche nicht milder geworden, seitdem sie ihn beriet. Eine ihrer berhmtesten Rollen war die Lady Milford in Schillers Kabale und Liebe gewesen: jene Matresse eines Gewaltigen, die den Glanz ihres Geschmeides und die Nhe ihres Frsten nicht mehr ertrgt, da sie erfahren hat, womit man Edelsteine bezahlt. Als sie zum letztenmal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm: So deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals bersiedelte, noch einmal die Stze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spiegesellen hetzen und verfolgen lassen wrden, lebte er heute und hier. In ihrer Gegenwart wurden die schauerlichen Geheimnisse des totalen Staates besprochen: Sie lchelte mtterlich. Morgens, wenn sie ihrem Gatten neckisch ber die Schulter lugte, sah sie Todesurteile vor ihm auf dem Renaissanceschreibtisch - und er unterzeichnete sie; abends zeigte Sie den weien Busen und die hrenblonde Kunstfrisur in Opernpremieren oder an den geschmckten Tafeln der Bevorzugten, die ihres Umgangs gewrdigt wurden. Sie war unberhrbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der Liebe ihres Volkes, weil zweitausend Ehrgeizige, Kufliche und Snobs Lrm machten zu ihren Ehren. Wie sie dahinschritt, erhbe-; nen Hauptes, bergssen vom Licht und von der allgemeinen Bewunderung, gab es keinen Zweifel in ihrem Herzen an der Haltbarkeit solchen Zaubers. Niemals - so meinte sie zuversichtlich -, niemals wrde abfallen von ihr dieser Glanz; niemals wrden die Gemarterten sich rchen, niemals wrde die Finsternis nach ihr greifen.