Kroge klagte ber die Indifferenz der Hamburger Jugend im besonderen und ber die Ungeistigkeit einer ffentlichkeit im allgemeinen, die sich allem Hheren entfremdet habe. Wie schnell es gegangen ist! stellte er mit Bitterkeit fest. Im Jahre 1919 lief man noch zu Slrindberg und Wedekind; 1926 will man nur mehr Operetten. Oskar H. Kroge war anspruchsvoll und brigens ohne prophetischen Geist. Htte er sich beschwert ber das Jahr 1926, wenn er sich htte vorstellen knnen, wie das Jahr 1936 aussehen wrde? - Nichts Besseres zieht mehr, grollte er noch. Sogar bei den Webern gestern ist das Haus halb leer gewesen.
Immerhin kommen wir doch zur Not noch auf unsere Rechnung. Direktor Schmilz bemhte sich, den Freund zu trsten:
Aber wie! Kroge wollte sich durchaus nicht trsten lassen. Aber wie kommen wir denn auf unsere Rechnung! Berhmte Gste aus Berlin mssen wir uns einladen - so wie heute abend -, damit die Hamburger ins Theater gehen.
Hedda von Herzfeld - Kroges alle Mitarbeiterin und Freundin, die schon in Frankfurt Dramaturgin und Schauspielerin bei ihm gewesen war - bemerkte: Du siehst wieder mal alles schwarz in schwarz, Oskar H.! Es ist ja schlielich keine Schande, Dora Mariin gaslieren zu lassen - sie ist wundervoll -, und brigens kommen unsere Hamburger auch, wenn Hfgen spielt. Whrend sie Hfgens Namen aussprach, lchelte Frau von Herzfeld klug und zrtlich. ber ihr groes, malt gepudertes Gesicht mit der fleischigen Nase, den groen, goldbraunen, wehmtig intelligenten Augen ging ein bescheidenes Aufleuchten.
Kroge sagte brummig: Hfgen wird berzahlt.
Die Martin brigens auch, fgte Schmilz hinzu. Ihren ganzen Zauber in Ehren und zugegeben, da sie ungeheuer zieht: aber tausend Mark Abendgage, das ist doch wohl ein bichen toll.
Berliner Staransprche, machte Hedda spttisch. Sie hatte in Berlin nie zu tun gehabt und behauptele, den Betrieb der Hauptstadt zu verachten.
Tausend Mark im Monat fr Hfgen ist auch bertrieben, behauptete Kroge, pltzlich gereizt Seil wann hat er denn eigentlich tausend? fragte er herausfordernd Schmilz. Es sind doch immer nur achthundert gewesen, und das war reichlich genug.
Was soll ich machen? Schmilz entschuldigte sich. Er ist zu mir ins Bro gesprungen, und er hat sich mir auf den Scho gesetzt. Frau von Herzfeld konnte mit Belustigung feststellen, da Schmilz etwas rot wurde, whrend er dies erzhlte. Er hat mich am Kinn gekitzelt und hat immer wieder gesagt:,Tausend Mark mssen es sein! Tausend, Direktorchen! Es ist eine so schne runde Summe!' Was sollte ich da machen, Kroge? Sagen Sie selbst!
Es war Hfgens schlaue Gewohnheit, wie ein nervser kleiner Sturmwind in Schmitzens Bro zu fahren, wenn er Vorschu oder Gagenerhhung wollte. Zu solchen Anlssen spielte er den bermtig Launischen und Kaprizisen, und er wute, da der ungeschickte dicke Schmilz verloren war, wenn er ihm die Haare zauste und den Zeigefinger munter in den Bauch stie. Da es sich um die Tausend-Mark-Gage handelte, hatte er sich ihm sogar auf den Scho gesetzt: Schmilz gestand es unter Errten.
Das sind Albernheiten! Kroge schttelte rgerlich das versorgte Haupt. berhaupi isl Hfgen ein grundalberner Mensch. Alles an ihm ist falsch, von seinem literarischen Geschmack bis zu seinem sogenannten Kommunismus. Er ist kein Knstler, sondern ein Komdiant.
Was hast du gegen unseren Hendrik? Frau von Herzfeld zwang sich zu einem ironischen Ton; in Wahrheit war ihr keineswegs nach Ironie zumute, wenn sie von Hfgen sprach, fr dessen gebte Reize sie nur zu empfnglich war, Er ist unser bestes Stck. Wir knnen froh sein, wenn wir ihn nicht an Berlin verlieren.
Ich bin gar nicht so besonders stolz auf ihn, sagte Kroge. Er ist doch nicht mehr als ein routinierter Provinzschauspieler, und das wei er brigens im Grunde selbst ganz genau.
Schmilz fragte: Wo steckt er denn heute abend? - worauf Frau von Herzfeld leise durch die Nase lachte: Er hat sich in seiner Garderobe hinter einem Paravent versteckt - der kleine Bock hat es mir erzhlt. Er ist immer furchtbar aufgeregt und eiferschtig, wenn Berliner Gste da sind. So weit wie die werde er es niemals bringen, sagt er dann - und versteckt sich hinter einem Pravent, vor lauter Hysterie. Die Martin bringt ihn wohl besonders aus der Fassung, das ist so eine Art von Haliebe bei ihm. Heute abend soll er schon einen Weinkrampf gehabt haben.
Da seht ihr seinen Minderwertigkeitskomplex! rief Kroge und schaute triumphierend um sich. Oder vielmehr: da er im Grunde irgendwo die richtige Einschtzung hat fr sich selber. -
Die drei saen in der Theaterkantine, die, nach den Initialen des Hamburger Knstlertheaters, kurz H. K. genannt wurde.
Drunten, im Theater, spielte Dora Martin, die mit ihrer heiseren Stimme, der verfhrerischen Magerkeit des ephebischen Krpers und den tragisch weiten, kindlichen und unergrndlichen Augen das Publikum der groen deutschen Stdte verhexte, einen Reier zu Ende. Die beiden Direktoren und Frau von Herzfeld hatten nach dem zweiten Akt ihre Loge verlassen. Die brigen Mitglieder des Knstlertheaters waren im Saal geblieben, um der Berliner Kollegin, die sie halb bewunderten und halb haten, bis zum Schlu zuzusehen.
Das Ensemble, das sie sich mitgebracht hat, ist ja wirklich unter jeder Kritik, stellte Kroge verchtlich fest.
Was wollen Sie? meinte Schmilz. Wie soll sie jeden Abend ihre tausend Mark verdienen, wenn sie sich auch noch teure Leute mit auf die Reise nimmt?
Aber sie selber wird immer besser, sagte die kluge Herzfeld. Sie kann sich jede Manieriertheit leisten. Sie kann wie ein geisteskrankes Baby sprechen? Sie bezwingt.
Geisteskrankes Baby ist nicht schlecht, lachte Kroge. Man scheint unten fertig zu sein, fgte er hinzu, mit einem Blick durchs Fenster. Die Leute kamen den gepflasterten Weg herauf, der vom Theater, an der Kantine vorbei, zu dem Tor fhrte, durch das man auf die Strae trat.
Nach und nach fllte sich die Kantine. Die Schauspieler grten mit einer respektvoll betonten Herzlichkeit den Direktorentisch und riefen dem Wirt, einem gedrungenen, krftigen Greise mit weiem Knebelbart und blauroter Nase, kleine Scherze zu. Vterchen Hansemann, der Kantinenbesitzer, war fr das Ensemble eine beinah ebenso bedeutungsvolle Persnlichkeit wie Schmilz, der geschftliche Direktor. Von Schmilz konnte man Vorschu bekommen, wenn er sich gerade in gndiger Laune befand; bei Hansemann aber mute man anschreiben lassen, wenn in der zweiten Monatshlfte die Gage aufgebraucht und ein Vorschu nicht genehmigt worden war. Alle standen bei ihm in der Kreide; man behauptete da Hfgen ihm mehr als hundert Mark schuldig war.
Alle sprachen ber Dora Martin, jeder hatte seine eigene Ansicht ber den Rang ihrer Leistung; nur darber, da sie entschieden zuviel Geld verdiente, waren alle sich einig.
Die Motz erklrte: An dieser Starwirtschaft geht das deutsche Theater zugrunde - wozu ihr Freund Petersen grimmig nickte. Petersen war Vterspieler mit dem Ehrgeiz zum Heroischen; er bevorzugte Knige oder adlige alte Haudegen in historischen Stcken. Leider war er etwas zu klein und dick fr diese Partien - was er auszugleichen suchte durch eine stramme und kampfeslustige Haltung. Zu seinem Gesicht, das den Ausdruck falscher Biederkeit zeigte, htte ein grauer Schifferbart gepat; da er fehlte, wirkte seine Miene ein wenig kahl, mit der langen, rasierten Oberlippe und den sehr blauen, ausdrucksvoll blitzenden, zu kleinen Augen. Die Motz liebte ihn mehr als er sie: das wuten alle. Da er genickt hatte, wandte sie sich nun direkt an ihn, um in einem intimen und bedeutungsvollen Ton zu sagen: Nicht wahr, Petersen: ber diese Miwirtschaft haben wir schon hufig miteinander gesprochen? Er besttigte treuherzig: Gewi doch, Frau! und blinzelte Rahel Mohrenwitz zu, die aufgemacht war als das perverse und dmonische junge Mdchen: mit schwarzen Ponys bis zu den rasierten Augenbrauen und einem groen, schwarzgerandeten Monokel im Gesicht, das brigens kindlich, pausbckig und vllig ungeformt war.