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Es geschah nicht ganz selten, da die hrenblonde, mtterliche Frau in Hendrik-Hall fr eine Partie Tischtennis oder ein Tnzchen mit dem Hausherrn erschien. Was fr ein Fest war dies stets! Mutter Bella lie auffahren, was die Vorratskammern an Feinstem boten, Nicoletta erging sich in scharf akzentuierten Komplimenten ber die veilchenblauen Augen der hohen Frau, Pierre Lame kmmerte sich nicht mehr um den kleinen Bock, und sogar Vater Kbes warf durch die Trritze einen Blick auf die hochbusige Dame, die mit dem silbrigen Gelchter jungmdchenhaften bermutes die Rume erfllte.

Wer aber entstieg der riesenhaften Limousine, die nun, mit dem bedrohlichen Gerusch eines Flugzeuges, unter dem Portal von Hendrik-Hall hielt? Vor wem flog die Haustre auf? Wer lrmte sbelrasselnd im Vorraum? Wer schob seinen enormen Bauch, der ber den Sulenbeinen schwankte, seine majesttisch vorgewlbte, vor Orden blitzende Brust in die ehrfurchtsvoll erstarrte Versammlung? Er war es, der Dicke, der mit dem Sehwerte am gttlichen Throne die Wacht hlt. Er kam, um seine Lotte abzuholen und um seinem Mephisto eben mal guten Abend zu wnschen.

Die Lindenthal flog ihm an den Hals. Frau Bella aber, der beinah bel wurde vor Stolz und Aufregung, brachte hervor - und es klang wie ein Sthnen -: Exzellenz Herr Ministerprsident, darf ich Ihnen irgend etwas kommen lassen? Eine kleine Erfrischung? Vielleicht ein Glas Sekt?

Viele Leute trafen sich in Hendrik-Hall, angezogen durch den Ruhm und die Liebenswrdigkeit des Hausherrn, die soignierte1 Kche, den Weinkeller, die Tennispltze, die ausgewhlt guten Grammophonplatten, den ganzen imposanten Luxus des Milieus. Mancherlei Personen verbrachten hier die angenehmsten Mittags -, Nachmittags- und Abendstunden: Schauspieler und Generle, Lyriker und hohe Beamte, Journalisten und exotische Diplomaten, Mtressen und Komdiantinnen. Ein paar Menschen indessen, die in vergangenen Zeiten recht intime Beziehungen zu Hendrik Hfgeii gehabt hatten, nahmen nicht teil an diesem heiter-ppigen Treiben. Die Generalin lie sich nicht sehen in Hendrik-Hall, vergeblich wartete Frau Bella auf ihre Visitenkarte. Die alte Dame hatte ihr Gut verkaufen mssen und lebte in einer kleinen Wohnung nicht weit vom Tiergarten. Mehr und mehr verlor sie den Kontakt zu der Berliner Gesellschaft, in der sie einst eine so brillante Rolle gespielt hatte. Mir liegt nichts daran, in Husern zu verkehren, wo ich Begegnungen mit Mrdern, Sittlichkeitsverbrechern oder Irrsinnigen ausgesetzt bin, erklrte sie stolz und lie klappernd die Lorgnette sinken, durch die sie ihren Gesprchspartner fixiert hatte. Vielleicht vermutete sie, da man auch in Hendrik-Hall Gefahr laufe, kriminelle oder pathologische Figuren anzutreffen - ein nicht nur unbegrndeter, sondern sogar frevelhafter Verdacht, da er sich auf ein Haus bezog, in dem die Regierungsmitglieder ein und aus gingen.

Noch jemand, der sich von der Besitzung des Intendanten fernhielt, war Otto Ulrichs. Er wurde nicht eingeladen, und er htte die Einladung, wenn eine solche an ihn ergangen wre, wohl kaum akzeptiert. Er war stark beschftigt, und zwar beschftigt auf eine Art, welche die Krfte des Krpers wie die der Seele mit groer Heftigkeit in Anspruch nimmt. brigens begann Ulrichs das Bild, das er sich vor vielen Jahren von seinem Kameraden Hendrik gemacht und seitdem mit soviel Treue und Geduld im Herzen bewahrt hatte, allmhlich zu revidieren; Ulrichs war ein sehr gutmtiger und sogar weicher Mensch gewesen, bei allem revolutionren Elan. Zu Hfgen hatte er ein groes, unerschtterliches Vertrauen gehabt. Hendrik gehrt zu uns! hatte er mit seiner warmen, berzeugenden Stimme jedem geantwortet, der Zweifel an der moralischen und politischen Zuverlssigkeit seines Ereundes laut werden lie. Hendrik gehrt zu uns! Glaubte dies Otto Ulrichs auch heute noch? Mit vielen Illusionen hatte er Schlu gemacht, unter anderem auch mit denen, die Hendrik Hfgen betrafen. Er war nicht mehr gutmtig, und er war gar nicht mehr weich. Sein Blick hatte einen drohenden, fast lauernden Ernst bekommen, der ihm frher fremd gewesen war. Seine Augen hatten ihre sympathische Offenheit eingebt; was sie dafr nun besaen, war eine genau abwgende, durchdringende, ruhige und gesammelte Kraft.

Otto Ulrichs hatte jetzt den gespannten, lauschenden Gesichtsausdruck, die zugleich vorsichtigen und khnen, sprung- und fluchtbereiten Gesten eines Menschen, fr den es geraten ist, bestndig auf der Hut zu sein. Und auf der Hut mute er sich wirklich befinden zu jeder Stunde seines schwierigen und gefhrlichen Tages. Denn Otto Ulrichs spielte ein gewagtes Spiel.

Er blieb Mitglied des Staatstheaters; aber nur, um jenen Rat zu befolgen, den Hendrik selber ihm gegeben hatte - wahrscheinlich, ohne ihn seinerseits sehr ernst zu meinen -: er benutzte seine Stellung an dem offiziellen Institut als eine Alt von Rckendeckung, die ihn vor einer gar zu genauen berwachung und Kontrolle durch die Beamten der Gestapo schtzte. Wenigstens war dieses seine Hoffnung und Berechnung. Vielleicht tuschte er sich. Vielleicht wurde er von Anfang an beobachtet, und man lie ihn nur eine Zeitlang gewhren, um ihn spter desto sicherer zu packen und ein mglichst umfangreiches belastendes Material bei ihm zu finden. Ulrichs glaubte nicht, da man ihm schon auf den Spuren sei. Die Mitglieder des Ensembles/die zunchst einen mitrauischen Bogen um ihn gemacht hatten, begegneten ihm jetzt mit kollegialer Herzlichkeit. Es war ihm gelungen, sie durch sein mnnlich einfaches, unbefangen heiteres Wesen zu gewinnen. Denn er hatte die Kunst der Verstellung gelernt. Sein fanatisch auf ein Ziel gerichteter, zu jedem Opfer glhend bereiter Wille hatte ihn schlau werden lassen. Er war sogar dazu imstande mit der Lindenthal zu scherzen. Er begrte die Bhnenarbeiter demonstrativ mit der vorgeschriebenen Formeclass="underline" dem Heil!, dem der gehate Name des Diktators folgte. Wenn der Ministerprsident in seiner Loge sa, behauptete Ulrichs, da er Herzklopfen habe aus Erregung darber, da er vor dem groen Mann spielen drfe. Herzklopfen hatte er wirklich, aber von einem Schauder, in dem Triumph und Angst sich vermischten. Denn der Vorhangzieher, mit dem er im Bunde stand, hatte ihm, als er nach seiner Szene die Bhne verlie, etwas zugeraunt, was auf eine illegale Versammlung Bezug hatte. Beinah unter den Augen des furchtbaren Dicken, des allerhchsten ordengeschmckten Henkers, erkhnte sich dieser kleine Schauspieler, der die Schrecken der Folterkammern und der Lager kannte, seine unterminierende, zersetzende, aufrhrerische Arbeit gegen die Macht weiter zu tun.

Die Begegnung mit den Schrecken hatte seine Krfte nur eine kurze Zeit lang gelhmt. In den ersten Wochen nach seiner Entlassung aus dem Inferno war er in einem Zustand der Erstarrung gewesen. Seine Augen hatte geschaut, was kein Menschenauge sieht, ohne zu erblinden vor bergroem Jammer: die ganz nackte, ganz entfesselte, mit einer schauerlichen Pedanterie organisierte Niedertracht; die absolute und totale Gemeinheit, die, indem sie Wehrlose martert, sich noch selber feiert, ernst nimmt, glorifiziert als die patriotische Tat, als die moralische Erziehungsleistung an destruktiven, volksfremden Elementen, als sittlicher, notwendiger und gerechter Dienst am erwachten Vaterland.

Man mchte am liebsten gar nichts mehr von den Menschen hren und wissen, wenn man sie erst einmal in diesem Zustand gekannt hat, sagte Ulrichs. Aber er liebte die Menschen, und seine Gesinnung bestand in dem unerschtterlichen Glauben, da aus ihnen, irgendwann einmal, doch noch etwas Vernnftiges werden knnte. Er berwand seine gramvolle Apathie. Wenn man Zeuge dieses Schlimmsten gewesen ist, sagte er, dann hat man nur noch die Wahclass="underline" sich umzubringen oder leidenschaftlicher als je vorher weiterzuarbeiten. Er war ein einfacher und tapferer Mensch. Seine Nerven waren stark und erholten sich von dem Schock. Er arbeitete weiter.

Es bereitete ihm keine Schwierigkeit, die Beziehung zu den illegal-oppositionellen Kreisen herzustellen. Unter den-Arbeitern und Intellektuellen, deren Ha auf den Faschismus so genau durchdacht und so leidenschaftlich war, da er sich auch unter den hchst gefhrlichen und - wie es schien - fast hoffnungslosen Bedingungen der Stunde bewhrte, hatte er viele Freunde. Das Mitglied der Preuischen Staatstheater beteiligte sich an unterirdischen Aktionen gegen das Regime. Ob es um heimliche Zusammenknfte, ob es um die Herstellung und Verbreitung verbotener Flugbltter, Zeitungen und Broschren ging oder um Sabotageakte in den Fabriken, bei den ffentlichen Festlichkeiten der Diktatur, bei Rundfunkbertragungen, Filmvorstellungen: der Schauspieler Otto Ulrichs gehrte zu denen, welche die Vorbereitungen entscheidend beeinfluten und bei den Handlungen ihr Leben riskierten.