Geradezu berschwemmt mit Hfgen-Bildern wurde die Presse, als der Intendant Hochzeit machte. Er fhrte Nicoletta heim, Mller-Andrea und Benjamin Pelz waren die Trauzeugen, der Ministerprsident sandte als Hochzeitsgabe ein Paar schwarzer Schwne fr einen kleinen Teich, den es im Park von Hendrik-Hall gab. Ein Paar schwarzer Schwne! Die Journalisten gerieten auer sich ber so viel Originalitt; nur einige sehr alte Menschen - wie zum Beispiel die Generalin - erinnerten sich, da schon irher einmal ein hochgestellter Freund der schnen Knste seinem Protege das gleiche Angebinde gemacht hatte: nmlich der bayrische Knig Ludwig II. dem Komponisten Richard Wagner.
Der Diktator selber beglckwnschte telegrafisch das junge Paar; der Propagandaminister schickte einen Korb voll Orchideen, die so giftig aussahen, als sollten die Empfanger mit ihrem Dufte den Tod einatmen; Pierre Lame verfate ein langes franzsisches Gedicht; Theophil Marder depeschierte seinen Fluch; die kleine Angelika, die brigens gerade ein Kind bekommen hatte, weinte noch einmal, zum letztenmal um ihre verlorene Liebe; in allen Redaktionen versteckte man das Material, das man ber Hfgen und Prinzessin Tebab hatte, in die untersten und geheimsten Schubladen, und Doktor Radig diktierte seiner Sekretrin einen Aufsatz, in dem er Nicoletta und Hendrik als ein im schnsten und tiefsten Sinne des Wortes denkclies Paar, als zwei jugendfrische und dabei doch reife, der neuen Gesellschaft mit allen ihren Krften dienende Menschen von reiner Rasse und aus edelstem Stoff feierte. Nur eine einzige Zeitung - der man brigens besonders intime Beziehungen zum Propagandaministerium nachsagte - wagte es, auf die suspekte Vergangenheit Nicolettas anzuspielen: Man beglckwnschte die junge Frau dazu, da sie den Emigranten, Judensprling und Kulturbolschewisten Theophil Marder verlassen habe, um nun wieder aktiv am kulturellen Leben der Nation teilzunehmen. Dies war eine bittere Pille, wenngleich fein verzuckert. Theophils Name wirkte wie eine strende Dissonanz in dem schnen Konzert der Gratulationsartikel.
Nicoletta bersiedelte mit Schrankkoffern und Hutschachteln vom Reichskanzlerplatz in den Grunewald. Die Kammerzofe, die ihr beim Auspacken behilflich war, erschrak ein wenig, als die hohen roten Stiefel zum Vorschein kamen; aber die junge gndige Frau erklrte ihr mit schneidender Deutlichkeit, da sie solches Schuhwerk fr ein Amazonen-Kostm bentige. Ich werde sie als Penthesilea tragen! rief Nicoletta mit einer merkwrdig triumphierenden Stimme. Die Zofe war von diesem exotisch klingenden Namen und von den strhlenden Katzenaugen ihrer Herrin so eingeschchtert, da sie sich htete, noch irgendwelche Fragen zu stellen.
Abends gab es in Hendrik-Hall groen Empfang - wie bescheiden war die kleine Veranstaltung im Hause des Geheimrats bei Hendriks erster Hochzeit gewesen, verglichen mit dieser hchst solennen Festlichkeit! Strahlend von gefhrlichem Liebreiz bewegten sich Oberon und Titania durch die Schar ihrer Gste. Sie hielten sich sehr gerade; er hatte das Kinn hochgereckt, sie raffte mit einer hochmtigen Gebrde die glitzernde, klirrende Schleppe ihrer metallischen Abendtoilette, zu der sie auf den Schultern und im Haar groe, phantastische Glas-blinnen trug. Nicolettas Antlitz leuchtete von harten, knstlichen Frben; Hendriks Gesicht schien zu phosphoreszieren in seiner grnlichen Blsse. Es war deutlich, da ihnen beiden das Lcheln groe Mhe und sogar Qual bereitete. Ihre Mienen wirkten maskenhaft. Der starre Blick schien durch die Personen, die sie auf ihrer stolzen Wanderung begrten, hindurchzugehen wie durch Luft. Was aber sahen sie denn hinter all diesen Frcken, dekorierten Uniformen und kostbaren Roben? Was schauten denn ihre Augen, da sie so glasig wurden unter halbgesenkten Lidern? Was fr Schatten stiegen denn auf und besaen so traurige Macht, da um die Lippen Hendriks und Nicolettas das Lcheln erfror und sich zur leidvollen Grimasse verzerrte?
Vielleicht begegneten ihre Augen dem prfenden Blick Barbaras, die ihre Freundin gewesen war und die nun in der Ferne und Fremde - ach, von diesen beiden getrennt durch Abgrnde, ber die es keine Brcke mehr gab - ihre ernste und harte Pflicht tat. Vielleicht zeigte sich ihnen das groteske Mrtyrerantlitz Theophil Marders, der - halb verblendet, halb wissend, gezeichnet von tausend Qualen, mit denen er alle Snden der Hybris und eines nrrisch Ich-besessenen Dnkels bte - jammervoll und zornig herschaute zu Nicoletta, die ihn und damit ihr trotzig-selbstgewhltes Schicksal verlassen hatte. Vielleicht aber sahen sie gar nicht das Gesicht irgendeines 'bestimmten Menschen, sondern, in einer vagen und berwltigenden Zusammenfassung, das
Bild ihrer eigenen Jugend, die Stimme alles dessen, was aus ihnen htte werden knnen und was sie, in frevelhaftem Ehrgeiz, versumt hatten, aus sich zu machen; die lange, schmachvolle Geschichte ihres Verrates - eines Verrates nicht nur an anderen, sondern an sich selbst: an dem edleren, besseren und reineren Teil ihres eigenen Wesens -; die bitterlich blamable und trbe Chronik ihres Verfalls, ihres Abstieges, der sich einer blden Welt als Aufstieg prsentierte. Ihr Aufstieg - so meinte die blde Welt - hatte sie gemeinsam bis zu dieser sieghaft-hochzeitlichen Stunde gefhrt; whrend es doch diese Stunde gerade war, die ihre gemeinsame Niederlage besiegelte. Nun gehrten sie fr immer zueinander, diese beiden Glitzernden, Schimmernden, Lchelnden - so wie zwei Verrter, so wie zwei Verbrecher fr immer zueinander gehren. Das Band, das den einen Schuldigen an den anderen bindet, wird nicht Liebe sein, sondern Ha.
Whrend der Kultursenat trauliche Kameradschaftsabende veranstaltete; whrend die Groen des Landes in den Hotelhallen fr ihre notleidenden Volksgenossen milde Gaben einkassierten, mit denen man die Propaganda des Dritten Reiches im Ausland finanzierte; whrend Hochzeiten gefeiert, Lieder gesungen und unendlich viele Reden gehalten wurden - ging das Regime der totalen, militant-hochkapitalistischen Diktatur seinen schauerlichen Weg weiter, und am Rande des Weges huften sich die Leichen.
Die Auslnder, die sich eine Woche in Berlin und einige lge in der Provinz aufhielten - englische Lords, ungarische Journalisten oder italienische Minister -, rhmten die tadellose Sauberkeit und Ordnung, die ihnen auffiel im erniedrigten Lande. Sie fanden, alle Leute zeigten lustige Gesichter, und stellten fest: Der Fhrer wird geliebt, er ist der Geliebte des ganzen Volkes, eine Opposition gibt es nicht. Inzwischen war die Opposition, sogar im Herzen der Partei selber, so stark und so bedrohlich geworden, da das frchterliche Triumvirat - der Fhrer, der Dicke und der Hinkende - schlagartig eingreifen mute. Der Mann, dem der Diktator seine Privatarmee verdankte, den der Propagandachef noch vorgestern bezaubernd angegrinst und den der Staatschef noch gestern seinen treuesten Kameraden genannt hatte, - er wurde eines Nachts vom Fhrer hchstpersnlich aus dem Bett gerissen und ein paar Stunden spter erschossen. Ehe der Schu knallte, gab es zwischen dem Messias aller Germanen und seinem treuesten Kameraden eine Szene, wie sie zwischen hochgestellten Herren kaum je blich war. Der treueste Kamerad schrie den Messias an: Du bist der Schuft - der Verrter: du bist es! Zu solcher Aufrichtigkeit hatte er nun den Mut, da er merkte, da sein letztes Stiind-lein geschlagen hatte. Mit ihm muten Hunderte von alten Parteimitgliedern sterben, die zu renitent geworden waren. Gleichzeitig brachte man ein paar hundert Kommunisten um, und weil man doch schon beim Tten groen Stils war, lieen der Dicke, der Hinkende und der Fhrer auch noch alle die beiseite schaffen, gegen die sie persnlich irgend etwas hatten, oder von denen sie, fr die Zukunft, irgend etwas befrchteten: Generale, Schriftsteller, alte Ministerprsidenten auer Dienst - es wurden keine Unterschiede gemacht, manchmal erscho man auch die Frauen gleich mit. Kpfe mssen rollen, der Fhrer hatte es immer gesagt, und nun war man soweit. Eine kleine Suberungsaktion - wurde nachher proklamiert. Die Lords und die Journalisten fanden, die Energie des Fhrers sei etwas Wundervolles: er war ein so sanfter Mensch, liebte die Tiere, rhrte kein Fleisch an, aber die treuesten Kameraden konnte er verrecken sehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Volk schien den Gottgesandten nach der Blutorgie noch heftiger zu lieben als vorher, einsam und verstreut saen die im Lande, die sich ekelten und entsetzten. Ich mu erleben, hatte der Doktor Faust einst geklagt, ich mu erleben - da man die frechen Mrder lobt.