Es rollten die Kpfe adliger junger Mdchen, von denen man behauptete, sie htten etwas ausgeplaudert, was der totale Staat geheimhalten wollte - Kpfe ab, diesmal waren es zwei /arte Damenkpfe. Es rollten die Kpfe von Mnnern, die kein anderes Verschulden kannten, als da sie ihre soxialistische Gesinnung nicht hatten abschwren wollen - auch der Messias aber, der sie hinrichten lie, nannte sich Sozialist. Der Messias behauptete, da er den Frieden liebe, und lie die Pazifisten in den Konzentrationslagern martern. Sie wurden gettet, den Angehrigen ging ihre Asche in versiegelter Urne zu, samt der Mitteilung, das Pazifistenschwein habe sich erhngt oder sei auf der Flucht erschossen worden. Die deutsche Jugend lernte das Wort Pazifist als einen Schimpfnamen; die deutsche Jugend brauchte nicht mehr Goethe oder Plato zu lesen, sie lernte schieen, Bomben werfen, sie ergtzte sich bei nchtlichen Gelndebungen; wenn der Fhrer vom Frieden schwatzte, begriff sie, da er es nur scherzhaft meinte. Diese militrisch organisierte, disziplinierte, gedrillte Jugend kannte nur ein Ziel, hatte nur eine Perspektive: den Revanchekrieg, den Eroberungskrieg. Elsa-Lothringen5" ist deutsch, die Schweiz ist deutsch, Holland ist deutsch, Dnemark ist deutsch, die Tschechoslowakei ist deutsch, die Ukraine ist deutsch, sterreich ist so besonders deutsch, da eigentlich kaum ein Wort darber zu verlieren ist, Deutschland mu seine Kolonien wiederhaben. Das ganze Land verwandelt sich in ein Heerlager, die Rstungsindustrie floriert, es ist die totale Mobilmachung in Permanenz, und das Ausland schaut gebannt auf dies imposante, grauenerregende Schauspiel wie das Kaninchen auf die Schlange, von der es gleich gefressen sein wird.
Man amsiert sich auch unter der Diktatur. Kraft durch Freude ist die Parole, Volksfeste werden arrangiert, die Saar ist deutsch* - ein Volksfest. Der Dicke heiratet endlich seine Lindenthal und lt sich Hochzeitsgeschenke im Wert von Millionen machen - ein Volksfest. Deutschland tritt aus dem Vlkerbund aus, Deutschland hat seine Wehrhoheit wieder: lauter Volksfeste. Zum Volksfest wird jeder Vertragsbruch, ob es sich um den Vertrag von Versailles oder um den von Locarno* handelt, und das obligate Plebiszit, das sich anschliet. Lang ausgedehnte Volksfeste sind die Verfolgung der Juden und die ffentliche Anprangerung jener Mdchen, die mit ihnen Rassenschande trieben; die Verfolgung der Katholiken, von denen man jetzt erst erfhrt, da sie niemals viel besser als die Juden waren, und gegen die schalkhaf-terweise Devisenprozesse wegen Bagatellen arrangiert werden, whrend die nationalen Fhrer Riesenvermgen ins Ausland verschieben; die Verfolgung der Reaktion, unter der man sich nichts Genaues vorstellen kann. Der Marxismus ist ausgerottet, aber immer noch eine Gefahr und Anla zu Massenprozessen, die deutsche Kultur ist judenrein, dafr aber so de geworden, da niemand mehr etwas von ihr wissen will; die Butter wird knapp, aber Kanonen sind wichtiger; zum 1. Mai, der frher der Feiertag des Proletariats gewesen, erzhlt heute ein versoffener Doktor - aufgeschwemmte Champagnerleiche - etwas ber die Lebensfreude. WTircl dies Volk denn nicht mde so zahlreicher und so fragwrdiger festlicher Veranstaltungen? Vielleicht ist es schon mde. Vielleicht sthnt es schon. Aber der Lrm aus den Megaphonen und Mikrophonen bertnt seinen Jammerlaut.
Das Regime geht weiter seinen schauerlichen Weg. Am Rand des Weges hufen sich die Leichen.
Wer sich auflehnte, wute, was er riskierte. Wer die Wahrheit sagte, mute mit der Rache der Lgner rechnen. Wer die Wahrheit zu verbreiten suchte und in ihrem Dienste kmpfte, war bedroht mit dem Tode und mit allen jenen Schrecken, die dem Tod in den Kerkern des Dritten Reiches voranzugehen pflegten.
Otto Ulrichs hatte sich sehr weit vorgewagt. Seine politischen Freunde wiesen ihm die Schwierigsten und gefhrlichsten Aufgaben zu. Man war der Ansicht - oder man hoffte doch, da seine Stellung am Staatstheater ihn bis zu einem gewissen Grade schtzte. Jedenfalls war seine Situation gnstiger als die von manchen seiner Kameraden, die unter falschen Namen in Verstecken lebten - immer auf der Flucht vor den Agenten der Gestapo, verfolgt von der Polizei wie Verbrecher, wie Diebsgesindel oder Mrder gehetzt durch dieses Land, das verfallen an die Mrder und an das diebische Gesindel war. Otto Ulrichs konnte manches wagen, was fr seine Freunde den gar zu sicheren Untergang bedeutet htte. Er wagte zuviel. Eines Morgens wurde er verhaftet.
Damals studierte man im Staatstheater den Hamlet ein; der Intendant selber hatte die Titelrolle. Otto Ulrichs sollte den Hofmann Gldenstern spielen. Als er, ohne da er sich entschuldigt htte, nicht zur Probe kam, erschrak Hfgen, der sofort wute oder doch ahnte, was geschehen war. Er zog sich vorzeitig von der Probe zurck, das Ensemble arbeitete ohne ihn weiter. Als der Intendant durch Ottos Wirtin erfahren hatte, da Ulrichs am frhen Morgen von drei Herren in Zivil abgeholt worden war, lie er sich mit dem Palais des Ministerprsidenten verbinden. Wirklich bemhte der Dicke sich selbst an den Apparat, wurde aber recht kurz angebunden und zerstreut, als Hendrik ihn fragte, ob er etwas ber die Verhaftung Otto Ulrichs' wisse. Der Fliegergeneral erklrte, da er nicht unterrichtet sei. Ich bin auch gar nicht zustndig, sagte er etwas nervs. Wenn unsere Leute den Kerl einstecken, wird er schon irgend etwas auf dem Kerbholz haben. Ich war ja von Anfang an mitrauisch gegen den Burschen. Und dieser Sturmvogel' damals, das war doch wohl eine verdammt ble Kiste. Als Hendrik dann noch zu fragen wagte, ob man denn gar nichts zur Milderung von Ulrichs' Situation unternehmen knne, wurde der Dicke ungndig. Nein, nein, mein Lieber - lassen Sie nur besser Ihre Finger von dieser Sache! lie sich seine fette und scharfe Stimme vernehmen. Sie tun klger daran, sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu kmmern. Das klang bedrohlich. Auch die Anspielung auf den Sturmvogel, wo Hfgen doch selber als Gensse aufgetreten war, hatte keinen angenehmen Ion gehabt. Hendrik begriff, da er den Verlust der allerhchsten Gnade riskierte, wenn er sich fr den Augenblick weiter um das Los seines alten Freundes bekmmerte.,Ich will ein paar lge vergehen lassen', beschlo er.,Wenn ich den Dicken einmal in besserer Laune treffe, werde ich mit aller Vorsicht versuchen, auf die Sache zurckzukommen. Einmal werde ich den Otto schon noch herausbekommen, aus dem Columbiahaus oder aus dem Lager. Aber jetzt ist Schlu! Der Bursche mu mir ins Ausland. Durch seine sinnlose Unvorsichtigkeit, durch seinen antiquierten und kindischen Begriff vom Heroischen wird er mich noch in die schlimmsten Unannehmlichkeiten bringen'
Als es Hendrik nach zwei 'lagen noch immer nicht geglckt war, sich irgendwelche Nachrichten ber Ulrichs zu verschaffen, wurde er unruhig. Den Ministerprsidenten schon wieder telefonisch zu behelligen, wagte er nicht. Nach langem berlegen entschlo er sich dazu, Lotte anzurufen. Die herzensgute Frau des groen Mannes erklrte zunchst, sie sei froh, einmal wieder Hendriks liebe Stimme zu hren. Er versicherte ihr, etwas hastig, da es ihm, was ihre Stimme betreffe, genauso ergehe; brigens habe er diesmal fr seinen Anruf auch noch einen besonderen Grund. Ich mache mir Sorgen um Otto Ulrichs, sagte Hfgen. - Wieso denn Sorgen? rief die hrenblonde aus ihrem Rokokoboudoir zurck. Er ist doch tot. Sie war erstaunt darber und schien es beinahe drollig zu finden, da Hendrik es noch nicht wute. Er ist tot, wiederholte Hendrik leise. Zum Erstaunen der Frau Generalin hngte er ein, ohne sich von ihr verabschiedet zu haben.