,Er ist vielleicht wahnsinnig', dachte Hendrik, und diese Erwgung, obwohl sie doch die schlimmsten Perspektiven erffnete, hatte etwas Beruhigendes, beinahe Trstliches fr ihn.,Ich halte fr sehr wohl mglich, da er wahnsinnig ist. Bei gesundem Verstand wrde er mir doch nicht diese tolle Visite machen, die ihn das Leben kosten knnte und die niemandem ntzt. Kein Vernnftiger setzt so viel aufs Spiel, nur um mich ein bichen zu erschrecken. Es ist kaum denkbar, da wirklich Otto es war, der ihm dazu den Auftrag gegeben hat. Otto neigte keineswegs zu Exzentrizitten. Er wute, da wir unsere Krfte fr ernstere Dinge ntig haben
Hendrik war nher an das Fenster herangetreten. Nun sprach er auf den Menschen ein wie auf einen Kranken - wobei er es aber immerhin fr geraten hielt, die Hand am Griff des Revolvers zu lassen, der sich in der Tasche seines Hausgewandes befand. Machen Sie, da Sie wegkommen, Mann! Ich rate es Ihnen im guten! Ein Diener knnte Sie von unten sehen. Es ist jeden Augenblick mglich, da meine Frau hier ins Zimmer tritt oder meine Mutter. Sie bringen sich in die rgste Gefahr, fr nichts und wieder nichts! - So verschwinden Sie doch! rief Hendrik gereizt, da die Figur im Fensterrahmen unbeweglich blieb.
Der Mann, statt auf Hfgens wohlmeinende Vorschlge irgend einzugehen, erwiderte mit einer Stimme, die pltzlich viel tiefer und brigens vllig ruhig klang: Erzhle deinen Freunden von der Regierung, da Otto mir eine Stunde vor seinem Tod hat sagen lassen: Ich bin fester berzeugt von unserem Sieg als jemals in meinem Leben. - Da war er schon am ganzen Krper zerschlagen und konnte kaum noch reden, denn er hatte den Mund voll Blut.
Woher wissen Sie das? fragte Hendrik, dessen Atem jetzt sehr hastig und etwas keuchend ging.
Woher ich das wei? Der Besucher hatte wieder das schaurig-aufgerumte kurze Gelchter. Von einem SA-Mann, der bis zuletzt in seiner Nhe war und der eigentlich zu uns gehrt. Er hat sich alles gemerkt, was Otto in seiner letzten Stunde gesagt hat.,Wir werden siegen!' hat er immer wieder gesagt.,Wenn man so weit ist wie ich jetzt, irrt man sich nicht mehr', hat er gesagt,,Wir werden siegen!' Der Besucher, beide Arme auf das Fenstersims gesttzt, beugte den Oberkrper vor und betrachtete drohend den Hausherrn mit seinen leuchtenden grnen Augen, die vielleicht die Augen eines Wahnsinnigen waren.
Hendrik fuhr zurck, von diesem Blick wie von einer Flamme getroffen, und keuchte: Warum erzhlen Sie mir das alles?
Damit deine hohen Freunde es erfahren! rief der Mann mit einem bsen, rauhen Jubel in der Stimme.
Damit die groen Schufte es erfahren! Damit der Herr Ministerprsident es erfahrt!
Hendrik begann die Nerven zu verlieren. Er bekam sonderbar zuckende Gesten: seine Hnde flogen zum Gesicht hinauf und sanken wieder hinab, auch seine Lippen zuckten, und seine kostbaren Augen verdrehten sich. Was soll das alles?! brachte er hervor und hatte ein wenig Schaum vor dem Munde. Was beabsichtigen Sie denn eigentlich mit diesem theatralischen Scherz?! Wollen Sie mich erpressen? Wollen Sie Geld von mir? Bitte, hier ist welches! Er griff sinnlos in die seidene Tasche seiner robe de chambre, in der sich nur der Revolver befand, keineswegs Geld. Oder beabsichtigen Sie nur, mich einzuschchtern? Das wird Ihnen nicht gelingen! Sie meinen wohl, ich zittere vor dem Moment, da ihr an die Herrschaft kommt - denn natrlich werdet ihr einmal herrschen! Der Intendant redete mit weien, zuckenden Lippen; whrend er flatternde Schritte, die beinahe schon Sprnge waren, durchs Zimmer tat. Aber im Gegenteil! rief er schrill und blieb mitten im Raum stehen. Dann werde ich erst recht gro! Meinen Sie vielleicht, ich habe mich fr diesen Fall nicht gesichert?! Oho! triumphierte hysterisch der Intendant. Ich habe die besten Beziehungen zu euren Kreisen! Die Kommunistische Partei schtzt mich, man ist mir zu Dank verpflichtet!
Hier war ein Hohngelchter die Antwort. Das knnte dir wohl so passen, rief der Schreckliche aus dem Fenster. Beste Beziehungen zu unseren Kreisen! So bequem, Freundchen, so bequem machen wir es euch doch nicht! Wir haben Unvershnlichkeit gelernt, Herr Intendant - ich bin eigens hier raufgeklettert, um dich davon zu unterrichten: da wir die Unvershnlichkeit gelernt haben. Unser Gedchtnis ist gut - ganz brillant ist unser Gedchtnis, Freundchen! Wir vergesssen keinen! Wir wissen, welche wir als erste aufzuhngen haben!
Da konnte Hendrik nur noch kreischen: Scheren Sie sich zum Teufel!! Wenn Sie nicht in fnf Sekunden verschwunden sind, rufe ich doch noch die Polizei - dann werden wir ja sehen, wer von uns beiden als erster hngt!
In seiner zitternden Wut wollte er irgend etwas nach dem Unhold schleudern; fand nichts, was ihm fr diesen Zweck geeignet schien, und ri sich die Hornbrille von der Nase. Mit einem krchzenden Aufschrei warf er die Hornbrille in die Richtung des Fensters. Aber das armselige Gescho traf den Gegner nicht und zerbrach mit einem leisen Klirren an der Wand.
Der frchterliche Gast war verschwunden. Hendrik eilte ans Fenster, um ihm noch etwas nachzurufen. Ich bin berhaupt unentbehrlich! schrie der Intendant in den dunklen Garten. Das Theater braucht mich, und jedes Regime braucht das Theater! Kein Regime kann ohne mich auskommen!
Ei bekam keine Antwort; von dem rotbrtigen Fassadenkletterer war keine Spur mehr zu sehen. Ihn schien der nchtliche Garten verschluckt zu haben. Der nchtliche Garten rauschte mit seinen schwarzen Bumen, seinen dunklen Bschen, auf denen die weien Blten ein mattes Schimmern hatten. Der Garten schickte seine Dfte und seinen khlenden Atem. Hendrik wischte sich die feuchte Stirne. Er bckte sich, hob die Brille auf und stellte mit Betrbtheit fest, da sie zerbrochen sei. Langsam und mit etwas schwankenden Schritten ging er durchs Zimmer, wobei er sich tastend wie ein Blinder air den Mbeln hielt; denn seine Augen waren noch getrbt vom Entsetzen, und brigens fehlte ihnen die gewohnte Brille.
Whrend er sich in einen der niedrigen, breiten Fauteuils sinken lie, sprte er, wie unendlich mde er war;,Was fr ein Abend!' dachte er und empfand tiefes Mitleid mit sich, wenn er bedachte, was er alles usgestan^ den hatte.,Dergleichen wirft ja den Strksten um.' Dabei legte er sein feuchtes Gesicht in die Hnde. Und ich bin nicht der Strkste.' - Es wre angenehm gewesen, jetzt ein wenig zu weinen. Aber er wollte nicht Trnen vergieen, die niemand sah. Nach all den Schrecken, die hinter ihm lagen, glaubte er nun Anspruch zu haben auf die trstliche Nhe eines lieben Menschen.
,Ich habe sie alle verloren', klagte er.,Barbara, meinen guten Engel; und Prinzessin Tebab, die dunkle Quelle meiner Kraft; und Frau von Herzfeld, die treue Freundin, und sogar die kleine Angelika: alle habe ich sie eingebt.' - In seiner groen Wehmut fand er, da cler tote Otto Ulrichs zu beneiden sei. Der brauchte keine Schmerzen mehr zu ertragen; der war erlst von der Einsamkeit dieses bitteren Lebens. Seine letzten Gedanken aber waren die des Glaubens und einer stolzen Zuversicht, gewesen. - War nicht sogar Miklas beneidenswert - Hans Miklas, dieser trotzige kleine Feind? Beneidensswert waren alle, die glauben konnten, und doppelt beneidenswert jene, die im Rausch des Glaubens ihr Leben gegeben hatten
Wie war dieser Abend zu berstehen? Wie war hinwegzukommen ber diese Stunde voll tiefer Ratlosigkeit, voll Angst und voll einer Sehnsucht, die ins Leere irrte und der Verzweiflung verwandt schien? - Hendrik meinte, da er die Einsamkeit kaum noch ein paar Minuten lnger wrde ertragen knnen.
Er wute: oben, in ihrem Boudoir1, erwartete ihn seine Frau - Nicoletta. Wahrscheinlich trug sie unter dem leichten Seidengewand die hohen, geschmeidigen Stiefel aus glnzendem rotem Leder. Die Peitsche, die auf dem Toilettentisch neben Dosen, Pasten und Flakons lag, war von grner Farbe. Bei Juliette war die Peitsche rot, die Stiefel aber waren grn gewesen