Hfgen wird immer im letzten Augenblick verhindert sein, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die bedenklich fr seine Karriere werden knnten. Kroge hatte verchtlich den Mund verzogen, whrend er dies sagte. Hedcia von Herzfeld sah ihn flehend und kummervoll an. Als aber Otto Ulrichs mit berzeugung uerte: Hendrik gehrt zu uns, wiederholte Ulrichs. Und er wird das durch die Tat beweisen. Seine Tat wird das Revolutionre Theater sein. In diesem Monat soll es erffnet werden.
Noch ist es nicht erffnet. Kroge lchelte boshaft. Zunchst ist nur das Briefpapier da, mit der schnen berschrift.Revolutionres Theater. Nehmen wir aber sogar einmal an, es kommt zur Erffnung: Glauben Sie, Hfgen wird sich heraustrauen mit einem wirklich revolutionren Stck?
Ziemlich heftig erwiderte Ulrichs: In der Tat glaube ich das! brigens ist das Stck ja schon ausgesucht - man kann wohl sagen, da es ein revolutionres ist.
Kroge machte, mit der Miene und Gebrde eines mden und verchtlichen Zweifels: Wir werden ja sehen. Hedda von Herzfeld, die bemerkte, da Ulrichs rot wurde vor Arger, fand es geraten, nunmehr das Thema zu wechseln.
Was war das eigentlich vorhin fr eine phantastische kleine uerung von diesem Miklas? Stimmt es also doch, da der Bursche Antisemit ist und mit den Nationalsozialisten zu tun hat? Bei dein Wort Nationalsozialisten verzerrte sich ihr Gesicht vor Ekel, als htte sie eine tote Ratte berhrt. Schmilz lchle verchtlich, whlend Kroge sagte: So einen knnen wir gerade gebrauchen! Ulrichs versicherte sich durch einen Seitenblick, da Miklas ihnen nicht zuhrte, ehe er mit gedmpfter Stimme erklrte:
Hans ist im Grunde ein guter Kerl - ich wei das, denn ich habe mich oft mit ihm unterhalten. Mit so einem Jungen mu man sich viel und nachsichtig beschftigen - dann gewinnt man ihn vielleicht noch fr die gute Sache. Ich glaube nicht, da er fr uns schon ganz verloren ist. Seine Aufsssigkeit, seine allgemeine Unzufriedenheit sind falsch gelandet - verstehen Sie, was ich meine? Frau Hedda nickte; Ulrichs flsterte eifrig: In so einem jungen Kopf ist alles wirr, alles ungeklrt - es laufen ja heute Millionen herum wie dieser Miklas. Bei denen gibt es vor allem einen Ha, und der ist gut, denn er gilt dem Bestehenden. Aber dann hat so ein Bursche Pech und fllt den Verfhrern in die Hnde, und die verderben seinen guten Ha. Sie erzhlen ihm, an allem bel seien die Juden schuld, und der Vertrag von Versailles*, und er glaubt den Dreck und vergit, wer eigentlich die Schuldigen sind, hier und berall. Das ist das berhmte Ablenkungsmanver, und bei all diesen jungen Wirrkpfen, die nichts wissen und nicht richtig nachdenken knnen, hat es Erfolg. Da sitzt dann so ein Hufchen Unglck und lt sich Nationalsozialist schimpfen!
Sie schauten alle vier zu Hans Miklas hin, der an einem kleinen Tisch in der entferntesten Ecke des Raumes, bei der dicken alten Souffleuse1, Frau Efeu, bei Willi Bock, dem kleinen Garderobier2, und bei dem Bh-nenportier, Herrn Knurr, Platz genommen hatte. Von Herrn Knurr wurde behauptet, da er ein Hakenkreuz unter dem Rockaufschlag versteckt trage und da seine Privatwohnung voll sei von den Bildern des nationalsozialistischen Fhrers, die er in der Portiersloge denn doch nicht aufzuhngen wagte. Herr Knurr hatte heftige Diskussionen und Streitigkeiten mit den kommunistischen Bhnenarbeitern, die ihrerseits nicht im H. K. verkehrten, sondern ihren eigenen Stammtisch in einer Kneipe gegenber hatten - wo sie zuweilen von Ulrichs besucht wurden. Hfgen wagte sich beinah nie an den Stammtisch der Arbeiter; er frchtete, die Mnner wrden ber sein Monokel lachen. Andererseits pflegte er zu klagen, das H. K. sei ihm durch die Anwesenheit des nationalistischen Herrn Knurr ganz verleidet. Dieser verfluchte Kleinbrger, sagte Hfgen von ihm, der auf seinen Fhrer und Erlser wartet wie die Jungfer auf den Kerl, der sie schwngern soll! Mir wird immer hei und kalt, wenn ich an der Portiersloge vorbeigehen mu und an das Hakenkreuz unter seinem Rockaufschlag denke
Natrlich hat er eine ekelhafte Kindheit gehabt, sagte Otto Ulrichs, der noch bei Hans Miklas war. Er hat mir einmal davon erzhlt. Aufgewachsen ist er in irgend so einem finsteren niederbayrischen Nest. Der Vater ist im Weltkrieg gefallen, die Mutter scheint eine aufgeregte, unvernnftige Person zu sein; machte den verrcktesten Krach, als der Junge zum Theater gehen wollte - man kann sich das ja alles vorstellen. Er ist ehrgeizig, fleiig, auch begabt; er hat enorm viel gelernt, mehr als die meisten von uns. Ursprnglich wollte er Musiker werden, er hat den Kontrapunkt gelernt, und er kann Klavier spielen, und er kann Akrobatik und Steptanzen und Ziehharmonika und berhaupt alles. Er arbeitet den ganzen Tag, dabei ist er wahrscheinlich krank, sein Husten klingt scheulich. Natrlich findet er, da er zurckgesetzt wird und nicht gengend Erfolg hat, und schlechte Rollen. Er glaubt, wir sind verschworen gegen ihn, von wegen seiner sogenannten politischen Gesinnung. Ulrichs schaute noch immer, aufmerksam und ernst, zum jungen Miklas hinber. 95 Mark Monatsgehalt, sagte er pltzlich und blickte drohend auf Direktor Schmilz, der sofort unruhig auf seinem Stuhl zu rcken begann, es ist schwer, dabei ein anstndiger Mensch zu bleiben. Nun schaute auch die Herzfeld aufmerksam zu Miklas hinber.
Zum Garderobier Bock, zur Souffleuse Efeu und Herrn Knurr pflegte Hans Miklas sich stets dann zu setzen, wenn er sich recht niedertrchtig benachteiligt fand von der Direktion des Knstlertheaters, die er vor seinen politischen Freunden als verjudet und marxistisch bezeichnete. Vor allem hate er Hfgen, diesen ekelhaften Salonkommunisten. Hfgen war, wenn man Miklas glauben durfte, eiferschtig und eitel; Hfgen war grenwahnsinnig und wollte alles spielen, besonders aber spielte er ihm, Miklas, die Rollen weg. Es ist eine Gemeinheit, da er mir den Moritz Stiefel nicht gelassen hat, uerte der Verbitterte. Miklas schaute zornig auf seine eigenen Beine, die mager und sehnig waren.
Garderobier Bock, ein dummer Bursche mit wrigen Augen und sehr blonden, sehr harten Haaren, die er kurz geschoren wie eine Brste trug, kicherte ber seinem Bierglas: niemand wute, ob ber Hendrik Hfgen, der als Gymnasiast komisch aussehen wrde, oder ber den machtlosen Zorn des jungen Hans Miklas. Die Souffleuse Efeu hingegen zeigte Entrstung; sie besttigte Miklas, da es eine Gemeinheit sei. Das mtterliche Interesse, das die dicke alte Person an dem jungen Menschen nahm, brachte fr diesen praktische Vorteile mit sich. brigens sympathisierte sie auch politisch mit ihm. Sie stopfte ihm seine Socken, lud ihn zum Abendessen ein; schenkte ihm Wurst, Schinken und Eingemachtes. Damit du dicker wirst, Junge, sagte sie und schaute ihn zrtlich an. Dabei gefiel ihr gerade die Magerkeit seines trainierten, nicht sehr groen, elastischen, schmalen Krpers. Wenn sein dichtes dunkelblondes Haar am Hinterkopf gar zu widerspenstig in die Hhe stand, sagte die Efeu: Du siehst aus wie ein Gassenjunge! und holte einen Kamm aus dem Beutel.
Wie ein Gassenjunge sah Hans Miklas wirklich aus, freilich wie einer, dem es nicht besonders gut geht und der seine Angegriffenheit trotzig bezwingt. Sein Leben war anstrengend; er trainierte den ganzen Tag, mutete seinem schmalen Krper vieles zu, wahrscheinlich kamen daher seine Reizbarkeit und der finster abweisende Ausdruck seines jungen Gesichtes. Dieses Gesicht hatte ble Farben; unter den starken Backenknochen gab es schwarze Lcher, so eingefallen waren die Wangen. Um die hellen Augen waren die Rnder auch beinah schwarz. Hingegen war die reine, kindliche Stirne wie beschienen von einer bleichen und empfindlichen Helligkeit; auch der Mund leuchtete, aber auf ungesunde Art, viel zu rot; in den abweisend vorgeschobenen Lippen schien sich alles Blut zu sammeln, von dem das Gesicht sonst leer war. Unter den starken und verfhrerischen Lippen, von denen die Souffleuse Efeu oft den Blick nicht lassen konnte, enttuschte das zu kurze, schwchlich abfallende Kinn.