Heute frh, auf der Probe, hast du wieder ganz zum Frchten ausgesehen, sprach die Efeu besorgt. So schwarze, tiefe Lcher in den Backen! Und der Husten! Dumpf hat der geklungen - zum Erbarmen!
Miklas konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn bemitleidete; nur die Gaben, in die solches Mitleid sich umsetzte, nahm er gerne, wenngleich wortkarg entgegen. Das klagende Gerede der Efeu berhrte er einfach. Hingegen wollte er von Bock wissen: Stimmt es, da der Hfgen sich heute den ganzen Abend in seiner Garderobe hinter dem Paravent versteckt hat?
Bock konnte es nicht in Abrede stellen. Miklas fand Hfgens Betragen derartig albern, da es ihn geradezu in Heiterkeit versetzte, fch sage doch, ein kompletter Narr! Dabei lachte er triumphierend. Und das alles wegen einer Jdin, der der Kopf bis dahin zwischen den Schultern steckt! Er machte sich bucklig, um anzudeuten, wie die Martin aussehe: die Efeu amsierte sich herzlich. Und so etwas will ein Star sein! Mit seinem hhnischen Ausruf konnte er ebensowohl die Martin meinen wie Hfgen. Beide gehrten, nach seinem Urteil, in dieselbe bevorzugte, Undeutsche, tief verwerfliche Clique. Die Martin! redete er weiter, das bse, leidende, reizvolle junge Gesicht in die mageren, nicht ganz sauberen Hnde gesttzt. Sie soll ja auch immer diese salonkommunistischen Phrasen dreschen, mit ihren tausend Mark jeden Abend. Eine Bande ist das! Aber es wird aufgerumt werden mit denen - der Hfgen wird auch noch dran glauben mssen!
Das enge Lokal war voll Rauch. Die Luft ist ja dick zum Schneiden, klagte die Motz. Das hlt doch der strkste Mann nicht aus. Und meine Stimme! Kinder, morgen knnt ihr mich wieder beim Halsarzt sitzen sehen. Niemand hatte Lust, sie sitzen zu sehen. Rahel Mohrenwitz machte sogar ironisch: Huch, unsere Koloratursngerin! - wofr sie einen frchterlichen Blick von der Motz bekam, die sowieso etwas gegen Rahel hatte: Petersen wute, warum. Erst gestern wieder hatte man ihn in der Garderobe des dmonischen Mdchens gefunden, und die Motz hatte weinen mssen. Heute aber schien sie entschlossen, sich keinesfalls die Stimmung verderben zu lassen von einer dummen Gans, die sich vielleicht auf ihr Monokel und ihre lcherliche Frisur noch was einbildete. Vielmehr faltete sie die Hnde vor dem Bauch und markierte gemtliche Stimmung. Aber nett ist es hier, sagte sie herzlich. Was, Vater Hansemann? Sie blinzelte dem Wirt zu, dem sie noch 27 Mark schuldete und der deshalb nicht zurckblinzelte. Gleich danach entsetzte sie sich, weil Petersen sich ein Beefsteak servieren lie, noch dazu mit Spiegelei. Als ob ein Paar Wrstchen nicht gengt htten! Ihr standen Trnen des Zorns in den Augen. Zwischen Motz und Petersen gab es viel Streit und Hader, weil der Vterspieler, nach dem Dafrhalten seiner Freundin, zur Verschwendungssucht neigte. Immer bestellte er sich teure Sachen, und die Trinkgelder, die er spendierte, waren auch zu hoch. Natrlich: Steak mit Ei mu es sein! jammerte die Motz. Petersen murmelte, da ein Mann sich doch anstndig ernhren msse. Die Motz aber, ganz auer Fassung, fragte pltzlich mit zornigem Sarkasmus die Mohrenwitz, ob Petersen ihr vielleicht eine Flasche Sekt angeboten habe. Veuve Cliquot, extrafein! schrie die Motz und sprach, bei aller Gehssigkeit, den Namen der Sektmarke mit jener Delikatesse aus, welche sie als Salondame legitimierte. Hierber war die Mohrenwitz nun ernsthaft beleidigt. Ich mu doch sehr bitten! rief sie schrill. Soll das ein Witz sein?! Das Monokel fiel ihr aus dem Auge, ihr pausbckiges, vor rger rot gewordenes Gesicht sah pltzlich gar nicht mehr dmonisch aus. Kroge blickte schon venvundert auf; Frau von Herzfeld lchelte ironisch. Der schne Bonetti aber klopfte der Motz auf die Schulter; gleichzeitig auch der Mohrenwitz, die kampfeslustig nher getreten war. Zankt euch nicht, Kinder! riet er ihnen, um den Mund besonders mde und angewiderte Falten. Dabei kommt doch nichts raus. Spielen wir lieber Karten.
In diesem Augenblick wurden gedmpfte Rufe laut, und alles drehte sich der Tre zu, die sich geffnet hatte. Dora Martin stand auf der Schwelle. Hinter ihr drngte sich, wie auf der Bhne das Gefolge hinter der Knigin, das Ensemble, mit dem sie reiste.
Dora Martin lachte und winkte allen Mitgliedern des Hamburger Knstlertheaters zu; dabei rief sie mit ihrer heiteren Stimme, auf jene berhmte Alt, die von tausend jungen Schauspielerinnen im ganzen Lande kopiert wurde, in jedem Satz einige Worte zerdehnend: Kinder, wir sind eingeladen, ein ganz langweiliges Bankett, furchtbar schade, aber wir mssen hingehen! Sie schien ihre eigene Sprechweise parodieren zu wollen, so eigenwillig verfuhr sie mit der Lnge der Silben. Aber allen klang es lieblich in den Ohren, auch denen, welche die Martin nicht leiden konnten, zum Beispiel dem jungen Miklas. Es war nicht zu leugnen: Ihr Auftritt hatte groen Effekt gemacht.
Da geschah es, da jemand hinter ihr sich durchs Gefolge drngte. Es war Hendrik Hfgen, der unvermittelt hervorkam. Er hatte den Smoking an, den er in mon-dnen1 Rollen auf der Bhne trug und der, aus der Nhe betrachtet, schon recht abgetragen und fleckig wirkte. ber den Schultern lag ihm ein weies Seidentuch. Sein Atem flog; Wangen und Stirne waren hektisch gertet. Einen recht beunruhigenden Eindruck machte das nervse Lachen, das ihn schttelte, whrend er sich in gehetzter Eile, umflattert vom Seidentuch, tief ber die Hand der Diva bckte, und das nicht ohne eine gewisse irrsinnige Herzlichkeit schien. Entschuldigen Sie, brachte er hervor. Es ist ja phantastisch: ich bin viel zu spt - was mssen Sie von mir denken - eine phantastische Sache Das Lachen beutelte ihn, sein Gesicht wurde immer rter. Aber ich wollte Sie doch nicht gehen lassen, dabei richtete er sich endlich auf, ohne Ihnen gesagt zu haben, wie sehr ich diesen Abend genossen habe - wie wunderschn es gewesen ist! Pltzlich schien die ungeheuer komische Angelegenheit, ber die er fast zersprungen war vor Lachen, nicht mehr zu existieren; er zeigte nun ein ganz ernstes Gesicht.
Dafr war es jetzt an Dora Martin, ein wenig zu lachen, und das tat sie denn auch, besonders heiser und zauberhaft.
Schwindler! rief sie, und von dem eigensinnig gedehnten i kam sie gar nicht mehr weg. Sie sind gar nicht im Theater gewesen! Sie haben sich ja versteckt! Dabei schlug sie ihn leicht mit dem gelben, schweinsledernen Handschuh. Aber das macht nichts, strahlte sie ihn an. Sie sollen ja so begabt sein.
ber diese Eeststellung, die berraschend kam, erschrak Hfgen zunchst so stark, da die helle Rte von seinem Gesicht wich, welches fahl wurde. Dann aber sagte er, mit einer Stimme, die schmelzend klang: Ich? Begabt? Das ist doch ein ganz unbewiesenes Gercht
Die Vokale konnte auch er zerdehnen, nicht nur Dora Martin brachte dies fertig. Seine Sprachkoketterie hatte eigenen Stil, er war keineswegs darauf angewiesen, irgend jemanden zu kopieren. Dora Martin girrte; er aber sang vor Manieriertheit. Dabei zeigte er jenes Lcheln, das er auf den Proben den Damen vorzumachen pflegte, wenn sie verfngliche Szenen zu spielen hatten: Es entblte die Zhne und war ziemlich gemein. Er bezeichnete es als das aasige Lcheln. (Aasiger - verstehst du, meine Liebe? -, aasiger! mahnte er auf den Proben Rahel Mohrenwitz oder Angelika Siebert, und er machte es vor.)
Ihre Zhne zeigte auch Dora Martin; er whrend der Mund baby-talk sprach und der Kopf kokett zwischen den hochgezogenen Schultern steckte, forschten ihre groen, klugen, unbetrgbaren und traurigen Augen in Hfgens Gesicht. Sie werden es schon noch beweisen, Ihr Talent! sagte sie leise, und eine Sekunde lang war nicht nur ihr Blick ernst, sondern auch ihr Gesicht. Ernsten Gesichtes, beinah drohend, nickte sie ihm zu. Hfgen, der sich noch vor einer Viertelstunde hinterm Para-vent versteckt hatte, hielt ihren Blick aus. Dann lachte die Martin wieder; girrte: Wir sind viel zu spt!; winkte und entschwand mit Gefolge. Hfgen war in die Kantine getreten.
Die Begegnung mit Dora Martin hatte ihn auf wunderbare Art aufgeheitert; er schien jetzt in einer geradezu festlichen Laune zu sein. Von seinem Antlitz kam ein gndiger Glanz. Alle schauten auf ihn, nun beinah ebenso bezwungen, wie sie vorhin auf die Berliner Diva geschaut hatten. - Ehe Hfgen Direktor Kroge und Frau von Herzfeld begrte, war er zu Garderobier Bock getreten. Hr mal, mein Bckchen, sang er und stand verfhrerisch da: Hnde in die Hosentaschen vergraben, Schultern hochgezogen, und auf den Lippen das aasige Lcheln. Du mut mir mindestens sieben Mark fnfzig leihen. Ich will anstndig zu Abend essen, und ich habe so ein Gefhclass="underline" Vterchen Hansemann verlangt heute Barbezahlurig. Aus den schillernden Edelsteinaugen warf er einen mitrauisch schiefen Blick auf Hansemann, der mit blauroter Nase unbewegt hinter der Theke sa. Bock war aufgesprungen; aus Schreck ber Hfgens einerseits ehrenvolles, andererseits grausiges Ansinnen waren seine Augen noch wriger, seine Wangen dunkelrot geworden. Whrend er stumm erregt in den laschen whlte und Hans Miklas mit gehssig gespanntem Blick den ganzen Vorfall beobachtete, war die kleine Angelika eilig hinzugetreten. Aber Hendrik! sagte sie schnell und schchtern. Wenn du Geld brauchst - ich kann dir doch fnfzig Mark bis zum Ersten leihen! Sofort bekam Hfgen fischig kalte Augen. Er sagte hochmtig ber die Schulter: Mische dich nicht in unsere Mnnergeschfte, meine Kleine. Bock gibt gerne. Der Garderobier nickte aufgeregt, whrend sich die Siebert mit nassen Augen zurckzog. Hfgen lie, ohne sich zu bedanken, Bocks Silbermnzen nachlssig in seine Tasche gleiten. Miklas, Knurr und die Efeu schauten finster, Bock fassungslos und Angelika weinend hinter ihm drein, whrend er wiegenden Ganges, immer noch das weie Seidentuch ber den Schultern, das Lokal durchschritt. Vterchen Schmilz lt mich nmlich verhungern, erklrte er, das sieghaft lchelnde Gesicht dem Direktorentisch zugewandt.