»Aber dann kam König Karl XII. und schoss sie ab -zum Glück«, sagte Lina.
Da wurde Krösa-Maja böse. Alt war sie ja, aber nicht so alt, wie Lina glaubte.
»Du redest doch nur, wie du es verstehst«, sagte Krösa-Maja und wollte nichts mehr erzählen. Michel aber schmeichelte und drängte und schließlich fing sie wieder an und erzählte sehr viel Schauriges von Wölfen und davon, wie man früher, als sie noch klein war, Wolfsgruben machte und Wölfe darin fing.
»Also da brauchte Karl XII. dann nicht mehr zu kommen ...«, fing Lina von neuem an, hörte aber schnell auf, denn Krösa-Maja wurde wieder böse, und das war auch kein Wunder. Karl XII. war ein König, der vor Hunderten von Jahren gelebt hatte, musst du wissen, und so alt oder uralt war Krösa-Maja ja nicht.
Aber Michel kriegte sie wieder herum. Und da erzählte Krösa-Maja von Werwölfen, die die fürchterlichsten aller Wölfe wären und die nur im Mondschein umherschlichen. Die Werwölfe könnten sprechen, sagte Krösa-Maja, denn sie wären keine gewöhnlichen Wölfe, sie wären so etwas zwischen Wolf und Mensch und die schrecklichsten Ungeheuer. Träfe man einen Werwolf im Mondschein, dann könnte man der Welt getrost gute Nacht sagen, denn schlimmere Raubtiere gäbe es nicht. Und deshalb sollten die Menschen nachts drinnen bleiben, wenn Mondschein wäre, sagte Krösa-Maja und starrte Lina böse an.
»Obwohl Karl XII ....«, begann Lina. Da schleuderte Krösa-Maja die Wollkämme von sich und sagte, dass sie nun nach Hause gehen müsse, denn jetzt fühle sie sich wirklich alt und müde.
Aber am Abend, als Michel und Ida in ihren Betten in der Kammer lagen, redeten sie wieder von den Wölfen.
»Es ist gut, dass es jetzt keine mehr gibt«, sagte Ida.
»Keine mehr gibt?«, antwortete Michel. »Woher weißt du das, wenn du keine Wolfsgrube hast, um sie darin zu fangen?«
Lange lag er wach und dachte darüber nach und je länger er nachdachte, desto sicherer war er, dass er nur eine Wolfsgrube brauchte; dann würde er schon einen Wolf darin fangen. Flink wie er war, begann er gleich am nächsten Morgen, sich zwischen dem Tischlerschuppen und der Vorratskammer eine Wolfsgrube zu graben. Es war die Stelle, wo im Sommer die vielen Brennnesseln wuchsen, die aber jetzt schwarz und verwelkt am Boden lagen.
Es dauert eine ganze Zeit, bis eine Wolfsgrube gegraben ist. Tief musste sie sein, wenn der Wolf nicht wieder herauskommen sollte, nachdem er einmal hineingefallen war. Alfred half Michel hin und wieder mit einigen Spatenstichen - trotzdem war die Grube erst gegen Weihnachten fertig.
»Ist doch gut so«, sagte Alfred, »denn die Wölfe kommen nicht eher aus dem Wald heraus, bevor es kalter Winter ist und sie richtig ausgehungert sind.« Klein-Ida schüttelte sich, wenn sie an die hungrigen Wölfe dort hinten im Wald dachte, die in der kalten Winternacht angeschlichen kommen und heulend um die Hausecken streichen würden. Aber Michel schüttelte sich nicht. Er sah Alfred mit glitzernden Augen an und freute sich schon auf den Wolf, der in seine Grube fallen sollte.
»Nun muss ich sie nur noch mit Ästen und Zweigen abdecken, damit der Wolf die Grube nicht vorher sieht«, sagte er zufrieden und Alfred stimmte zu.
»Das ist richtig! Listig muss man sein, sagte Stolle-Jocke und fing die Laus mit den Zehen«, sagte Alfred.
So pflegte man nämlich in Lönneberga zu sagen. Nur Alfred hätte es nicht sagen dürfen, denn Stolle-Jocke war sein Großvater, der im Armenhaus von Lön-neberga saß, und über seinen Großvater soll man sich nicht lustig machen. Alfred meinte es natürlich nicht böse, keineswegs. Er sagte nur das, was alle anderen sagten.
Dann war nur noch auf den Wolfswinter zu warten, der ja kommen musste. Und er kam auch. Kurz vor Weihnachten gab es Frost und mit einem Mal fing es an zu schneien, dass es eine Freude war. Es schneite über ganz Katthult und über ganz Lönneberga und über ganz Smaland, bis alles unter einer einzigen Schneedecke lag. Die Zaunlatten ragten gerade noch heraus, sodass man sehen konnte, wo die Wege waren.
Aber dass sich eine Wolfsgrube zwischen der Vorratskammer und dem Tischlerschuppen verbarg, das konnte jetzt niemand mehr erkennen. Darüber lag der Schnee, ein weicher weißer Teppich, und Michel betete jeden Abend, dass seine Äste und Zweige nicht brechen möchten, bevor der Wolf kam und in seine Grube plumpste.
Jetzt hatten sie in Katthult viel zu tun, denn dort wurde Weihnachten gründlich vorbereitet. Zuerst die
große Weihnachtswäsche. Lina und Krösa-Maja knieten auf dem eiskalten Steg am Katthultbach und spülten Wäsche. Lina weinte und hauchte auf ihre Finger, weil sie vor Frost schmerzten. Das große Weihnachtsschwein wurde geschlachtet und nun, sagte Lina, hatte man selbst kaum noch Platz in der Küche, zwischen all den Fleischwürsten, den Klößen, den Bratwürsten und Leberwürsten, die sich neben Schinken und Sülze und gepökelten Schweinsrippen und ich weiß nicht was noch allem drängten. Dünnbier gehörte auch dazu, wenn Weihnachten war. Das hatte Michels Mama in dem großen Holzbottich im Brauhaus gebraut. Gebak-ken wurde, dass einem schwindlig werden konnte: Sirupbrot, feines Roggenbrot und Safranbrot und Weizenbrot und Pfefferkuchen und besonders leckere kleine Brezeln und Sahnebaisers, bunte Kekse und Spritzgebäck, ja, aufzählen kann man nicht alles.
Kerzen musste man selbstverständlich auch haben. Michels Mama und Lina brachten fast eine ganze Nacht damit zu Kerzen zu ziehen, große Kerzen und kleine Kerzen und Baumkerzen, denn nun sollte hier wirklich Weihnachten werden. Alfred und Michel spannten Lukas vor den Holzschlitten, und fuhren in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu schlagen, und Michels Papa ging in die Scheune und kramte einige Hafergarben hervor, die er für die Spatzen aufbewahrt hatte.
»Es ist natürlich eine wahnsinnige Verschwendung«, sagte er, »aber wenn Weihnachten ist, sollen es die Spatzen auch einmal gut haben.«
Es gab noch mehr, an die man denken musste, mehr, denen es auch einmal gut gehen sollte, wenn Weihnachten war. All die Armenhäusler, die Menschen im Armenhaus! Du weißt sicher nicht, was es mit einem
Armenhaus auf sich hatte, und darüber kannst du nur froh sein. Ein Armenhaus war etwas, was es in früheren Zeiten gab, und wenn ich davon alles genau erzählen wollte, würde es schauerlicher werden als sämtliche Schreckensgeschichten von Krösa-Maja über Mörder und Geister und wilde Tiere. Wenn du dir eine schäbige kleine Hütte mit einigen Zimmern darin vorstellst und die Hütte voll mit armen, verbrauchten alten Menschen, die dort zusammen wohnen - in einem einzigen Durcheinander von Dreck und Schmutz und Läusen und Hunger und Elend, dann weißt du, wie damals diese Armen in einem Armenhaus lebten. In Lönneberga war das Armenhaus bestimmt nicht schlechter als anderswo, aber trotzdem war es schrecklich genug dort zu landen, wenn man alt geworden war und sich nicht mehr selbst helfen konnte.
»Armer Großvater«, pflegte Alfred zu sagen, »schöne Tage hat er nicht. Es ginge ja noch, wenn dort nur nicht die herrschsüchtige, zänkische Maduskan kommandieren würde.«
Dieser Drache von Weib hatte im Armenhaus zu bestimmen. Sicher, sie war auch nur eine Armenhäuslerin, aber sie war die größte und stärkste und boshafteste, und deshalb war sie es, die dort kommandierte, was niemals geschehen wäre, wenn Michel es geschafft hätte, schneller zu wachsen und
Gemeinderatspräsident zu werden. Aber jetzt war er leider noch ein kleiner Junge und konnte gegen diese Maduskan nichts ausrichten. Alfreds Großvater hatte Angst vor ihr und Angst vor ihr hatten auch die anderen im Armenhaus.
»Seht, sie geht wie ein reißender Löwe durch die Schafherde«, sagte Stolle-Jocke immer. Er war etwas wunderlich, der Jocke, und sprach, als lese er aus der Bibel vor, aber er war gutmütig und Alfred mochte seinen alten Großvater sehr.
Sie, die im Armenhaus lebten, konnten sich fast nie richtig satt essen, und das war eine Not, fand Michels Mama.