»Junge, Junge«, rief er, »was ist das für ein Pferd?«
»Mein Pferd«, sagte Michel. »Es heißt Lukas und du kannst mir glauben, es ist genauso kitzlig wie Lina.« Gerade da kam Lina angerannt und zog Alfred am Jak-kenärmel.
»Wir wollen nach Hause fahren«, sagte sie. »Der Bauer spannt schon an.«
Ja, nun war aller Spaß zu Ende - nun wollten die Katthulter wieder nach Lönneberga fahren. Etwas aber wollte Michel unbedingt noch tun: Er wollte Gottfried sein Pferd zeigen.
»Sagt Papa, dass ich in fünf Minuten komme«, rief er und ritt los, zum Bürgermeisterhaus, dass es auf den Pflastersteinen klapperte.
Die Oktoberdämmerung hatte sich über Haus und Garten des Bürgermeisters gesenkt, aber alle Fenster leuchteten festlich und aus dem Innern des Hauses hörte man Gelächter und Gerede. Das Fest des Bürgermeisters war in vollem Gang.
Draußen im Garten ging Gottfried auf und ab. Er machte sich nichts aus Festlichkeiten und hatte deshalb wieder seine Stelzen genommen. Aber als Michel angeritten kam, schoss er kopfüber in den Fliederstrauch.
»Wessen Pferd ist das?«, fragte er, kaum dass er die Nase hervorstreckte.
»Meins«, sagte Michel. »Es gehört mir!«
Zuerst wollte Gottfried es nicht glauben, aber als er endlich begriff, dass es wahr war, wurde er wütend.
Wie hatte er seinem Papa in den Ohren gelegen, ihm ein Pferd zu kaufen! Vom Morgen bis zum Abend hatte er um ein Pferd gebettelt - und was hatte sein Papa ihm immer wieder geantwortet?
»Dafür bist du zu klein. Es gibt keinen einzigen Jungen in deinem Alter, der ein Pferd hat!«
Was für eine himmelschreiende Lüge! Hier kam nun Michel - da konnte sein Papa sich ja überzeugen, wenn er Augen im Kopf hatte und wenn er nur herauskommen würde, um das zu sehen! Aber der saß drinnen bei Tisch und feierte, erklärte Gottfried Michel. Er saß fest in einem Haufen von Dummköpfen, die nur aßen und tranken und schwatzten und Reden hielten und niemals fertig wurden.
»Ich krieg ihn nicht heraus«, sagte Gottfried traurig und Tränen standen ihm in den Augen.
Michel tat Gottfried Leid und Michel war nie um einen Ausweg verlegen. Wenn der Bürgermeister nicht zum Pferd kommen konnte, dann konnte ja das Pferd zum Bürgermeister kommen, das war doch nicht schwer. Man brauchte nur die Treppe hinaufzureiten und durch die Tür und durch die Diele ins Esszimmer.
Das Einzige, was Gottfried zu tun hatte, war die Türen aufzuhalten.
Wenn du jemals auf einem Fest gewesen bist, wo plötzlich ein Pferd hereinkommt, dann weißt du, dass manche Menschen die Augen aufreißen und hochfahren, als ob sie noch nie im Leben ein Pferd gesehen hätten. Das taten sie auch bei dieser Feier. Besonders der Bürgermeister. Er zuckte so zusammen, dass ihm ein großes Tortenstück im Hals stecken blieb.
Deshalb konnte er zu seiner Verteidigung auch kein Wort hervorbringen, als Gottfried schrie:
»Was sagst du nun? Hier, hier siehst du doch, dass es welche gibt, die Pferde haben!«
Eigentlich waren die Festgäste von Herzen froh, als das Pferd hereinkam, und das war ganz natürlich, denn Pferde sind ja liebe Tiere. Alle wollten Lukas streicheln. Michel saß oben auf dem Pferderücken und lächelte zufrieden. Sein Pferd durften sie gern streicheln.
Aber da kam ein alter Major, der wollte zeigen, wie gut er sich auf Pferde verstand. Er wollte Lukas ein wenig in die Hinterbeine zwicken. Ach, ach, ach - er wusste ja nicht, wie kitzlig Lukas war!
Der Bürgermeister hatte eben das Tortenstück so einigermaßen aus dem Hals bekommen und wollte gerade das eine oder andere Wort zu Gottfried sagen, aber da,
gerade da zwickte der Major den Lukas in ein Hinterbein. Im selben Augenblick schlug Lukas aus und traf mit dem Huf einen kleinen Serviertisch, der dort stand, und schon sauste die ganze große Sahnetorte quer durchs Zimmer und landete mit einem Klatsch mitten im Gesicht des Bürgermeisters.
»Blupp«, sagte der Bürgermeister.
Merkwürdigerweise lachten alle los; sie verstanden es eben nicht besser.
Nur die Bürgermeisterin wagte nicht zu lachen.
Ängstlich kam sie mit dem Tortenheber angelaufen.
Hier galt es sofort mit einer Ausgrabung anzufangen, damit ihr armer Mann zumindest für die Augen ein Paar Gucklöcher bekam, sonst konnte er ja nicht sehen, was weiter auf seiner Geburtstagsfeier geschah.
Aber da fiel Michel plötzlich ein, dass er heim musste nach Lönneberga, und er ritt schnell zur Tür hinaus.
Gottfried lief ihm nach, denn jetzt war mit Papa doch nicht zu reden, weil er voller Sahne war, und außerdem konnte Gottfried sich nicht von Lukas trennen.
Draußen an der Gartenpforte wartete Michel, um ihm auf Wiedersehen zu sagen.
»Hast du ein Glück«, sagte Gottfried und streichelte Lukas ein letztes Mal.
»Ja, das hab ich«, sagte Michel.
Gottfried seufzte.
»Aber wir werden jedenfalls ein Feuerwerk haben«, sagte er, wie um sich selbst zu trösten. »Das da.«
Er zeigte Michel all die Feuerwerkskörper, die auf dem Gartentisch in der Fliederlaube lagen, und bei Michel zündete es sofort. Sicher hatte er es eilig - aber er hatte in seinem ganzen armen Leben auch noch nie ein Feuerwerk gesehen.
»Ich könnte einen zur Probe anstecken«, sagte er. »Um festzustellen, ob er in Ordnung ist.«
Gottfried dachte nicht lange nach. Er nahm einen Feuerwerkskörper aus dem Haufen heraus.
»Ja, aber nur diesen kleinen Knallfrosch«, sagte er.
Michel nickte und kletterte vom Pferd. »Ja, nur diesen kleinen Knallfrosch. Kann ich ein Streichholz haben?«
Das bekam er. Und - piff, paff - machte sich der kleine leuchtende Knallfrosch auf den Weg. Ja, der war in Ordnung! Hin und her schoss er und zum Schluss hopste er auf den Gartentisch zurück und legte sich wieder zwischen all die anderen Feuerwerkskörper. Er wollte wohl nicht allein sein, könnte ich mir denken.
Aber davon bemerkten weder Michel noch Gottfried etwas, denn sie hörten auf einmal lautes Rufen hinter sich. Das war der Bürgermeister, der auf die Treppe herausgelaufen kam und mit ihnen reden wollte. Er war nun fast frei von Sahne, nur der Bart schimmerte noch weiß im Oktoberdunkel.
Auf den Straßen von Vimmerby gingen die Vimmerby er immer noch spazieren und lachten, johlten und schrien und wussten nicht, ob sie auf etwas Lustiges oder auf etwas Schreckliches warteten.
Und da kam es! Da kam das Schreckliche, auf das sie insgeheim mit Schaudern gewartet hatten. Plötzlich stand über dem Bürgermeisterhaus der ganze Himmel in Flammen. Plötzlich war die Welt voll von glühenden, zischenden Schlangen und leuchtenden Kugeln und herabstürzendem Feuer. Es krachte und knatterte und puffte und zischte und wurde so schauerlich, dass die armen Vimmerbyer vor Schreck erbleichten.
»Der Komet!«, schrien sie. »Hilfe! Wir sterben!« Es wurde ein Geschrei und ein Weinen, wie man es nie zuvor in der Stadt gehört hatte, denn alle glaubten, ihre letzte Stunde sei gekommen. Arme Menschen, kein Wunder, dass sie kreischten und haufenweise auf den Straßen ohnmächtig wurden. Nur Frau Petrell saß völlig ruhig in ihrer Glasveranda und sah die Feuerkugeln draußen herumwirbeln.
»An Kometen glaube ich nicht länger«, sagte sie zu ihrer Katze. »Ich wette, das ist dieser Michel, der wieder in Fahrt ist.«
Damit sprach Frau Petrell ein wahres Wort. Natürlich waren es Michel und sein kleiner Knallfrosch, die das ganze Geburtstagsfeuerwerk »in Ordnung« gebracht und alles auf einmal in die Luft geknallt hatten.
Aber natürlich war es ein Glück, dass der Bürgermeister gerade im richtigen Augenblick herausgekommen war. Sonst hätte er von seinem großartigen Feuerwerk vielleicht nichts gesehen. Jetzt aber stand er dort, wo es am meisten wirbelte und knallte, und er hatte wirklich damit zu tun jedes Mal zur Seite zu springen, wenn ihm eine Feuerkugel um die Ohren pfiff. Michel und Gottfried begriffen, dass er es lustig fand, denn er stieß bei jedem Hopser kleine fröhliche Schreie aus.