Der Lärm ist ohrenbetäubend. Ein dicht gedrängter Pulk leuchtender Gesichter steht vor uns. Ich erkenne nur ein paar davon. Janice ist ganz vorn, in ihrem Mrs.-Bennet-Kleid, und Jess trägt ein absolut atemberaubendes, schwarzes Etuikleid mit entsprechend dramatischem Make-up. Als ich mich im Zelt so umsehe, bin ich doch unwillkürlich stolz. Überall hängen kleine Lichter und wippen silberne Ballons mit der Aufschrift »Happy Birthday Luke« im Logo von Brandon Communications. Und alles ist voller nachgemachter Werbeplakate und vergrößerter Titelblätter von Tageszeitungen, jeweils mit einer anderen Schlagzeile über Luke Brandon. (Die habe ich damals alle selbst geschrieben.) Die Krönung ist ein riesiger LCD-Bildschirm, wie Brandon C sie bei Pressevorstellungen verwendet. Darauf sind Bilder von Luke zu sehen, eins aus jedem Lebensjahr, vom Baby bis zum Erwachsenen, und darüber steht: »Luke -im Lauf der Jahre«.
Und direkt über unseren Köpfen hängen überall meine Troddeln. Wir haben kleine Lämpchen hindurch gezogen und sie als Girlanden aufgehängt, und sie sehen einfach traumhaft aus.
»Happy birthday to you ...«, fangt irgendjemand an zu singen, und die Menge stimmt mit ein.
Ich werfe einen Blick zu Luke hinüber.
»Wow!«, ruft er wie aufs Stichwort. »Das ist ja eine ... Ich wusste von nichts!« Er gibt sich allergrößte Mühe, total überrascht zu wirken. Das muss ich ihm lassen.
»For he's a jolly good fellow ... «, singen die Gäste jetzt. Luke entdeckt immer mehr Gesichter in der Menge und grüßt sie winkend und lächelnd, und sobald die Singerei vorbei ist, nimmt er sich ein Glas und erhebt es.
»lhr Spinner!«, ruft er, und alles lacht. Das kleine Trio in der Ecke stimmt einen Gershwin-Song an, die Leute drängen sich um Luke, und ich beobachte sein Gesicht, als er alle begrüßt.
Er war nicht von den Socken. Er war nicht sprachlos vor Überraschung. Aber andererseits ... ich wusste, dass er es nicht sein würde. Im selben Moment, als dieser Typ im Berkeley Hotel den Mund aufgemacht hatte.
»Becky! Das ist fantastisch!« Eine Frau von Brandon Communications, deren Namen ich vergessen habe (das atemberaubende Alexander-McQueen-Kleid ist mir aber in Erinnerung geblieben), stürzt sich auf mich. »Haben Sie die ganze Dekoration selbst gemacht?«
Erica und ihre Leute ziehen mit Schnittchen ihre Kreise, und ich sehe, wie Janice mit einer Puderdose an eine gepflegte Blondine herantritt. Gott im Himmel, ich habe ihr doch gesagt, dass sie die Leute nicht schminken soll. Ich muss sie abfangen, und zwar schnell.
Doch bevor es mir gelingt, reicht mir ein grauhaariger Mann einen Cocktail, stellt sich als alten Kollegen von Luke vor und erkundigt sich, wie lange es gedauert hat, das alles zu planen, und dann fragt mich seine Frau (wehendes Kleid, zu viel Lippenstift) ganz aufgeregt, ob ich die Clips auf YouTube gesehen hätte, und nach etwa einer Viertelstunde habe ich noch nichts anderes gemacht, als mich mit wildfremden Menschen zu unterhalten. Ich weiß nicht mal, wo Luke ist.
Es zieht etwas am Zelteingang, und alle halten sich davon fern.
»Leute! Hört mal eben zu!« Lukes gebieterische Stimme weht durchs Zelt, und augenblicklich hören alle Mitarbeiter von Brandon C auf zu reden und sehen sich um, als käme jetzt eine Firmenpräsentation. Auch die anderen fügen sich, und es wird erstaunlich schnell still im Zelt.
»Ich wollte nur sagen ... ich danke euch.« Er blickt in die Runde der lächelnden Gesichter. »Euch allen. Ich kann gar nicht glauben, dass so viele alte Freunde hier sind, und ich freue mich schon darauf, von allen zu hören, wie es ihnen geht. Ich kann nicht glauben, dass ihr alle Bescheid wusstet! Hinterlistige Bande!« Überall im Zelt wird anerkennendes Lachen laut. »Und ich kann nicht glauben, wie clever meine Frau war.« Er dreht sich zu mir um. »Becky, meine Hochachtung.«
Kurzer Beifall brandet auf, und ich verbeuge mich pflichtschuldig. »War es eine echte Überraschung, Luke?«, ruft die Frau mit zu viel Lippenstift. »Hattest du wirklich keine Ahnung?« Luke wirft mir einen klitzekleinen, vorsichtigen Blick zu. Man hat es kaum bemerkt.
»Ja, absolut!« Er klingt etwas gepresst. »Ich hatte keine Ahnung, bis ich in die ... « Er stockt. »Allerdings habe ich natürlich geahnt, dass irgendetwas los sein muss, als wir ins Taxi stiegen ... « Wieder stockt er und kratzt sich unbehaglich im Gesicht. Erwartungsvolle Stille macht sich breit.
»Wisst ihr was ... ?« Schließlich blickt Luke auf, ohne seine übliche Fassade. »Ich will euch nicht belügen. Ich will euch nichts vormachen, denn es bedeutet mir einfach zu viel. Ich möchte sagen, was ich wirklich empfinde. Tatsächlich hat sich vorhin jemand verplappert. Ein bisschen jedenfalls. Also, ja, ich habe etwas ... geahnt. Aber wisst ihr was? Entscheidend ist bei so einer Party nicht die Überraschung. Entscheidend ist die Mühe, die sich jemand gibt, sodass es einen einfach ... umhaut. Und man denkt: »Womit habe ich das verdient?« Er macht eine Pause. Seine Stimme bebt ein bisschen. »Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt, und ich möchte einen Toast ausbringen. Auf Becky!«
Ich schiele auf mein Handy. Es piept mir die ganze Zeit schon Nachrichten, und ich habe Lukes kleiner Ansprache nur halb zugehört. Doch jetzt blicke ich auf.
»Okay, Luke.« Ich gestatte mir ein kleines Lächeln. »Du täuschst dich. Bei so einer Party kommt es allein auf die Überraschung an. Nimm deinen Drink. Nimm deinen Mantel. Und komm bitte hier entlang. Wenn Sie bitte alle Ihre Mäntel nehmen und uns folgen würden ...«
Aus heiterem Himmel sind Daryl, Nicole, Julie und drei ihrer Freunde aufgetaucht und schieben Garderobenständer herein. Die Gäste starren einander ratlos an. Daryl zwinkert mir zu und ich zwinkere zurück. Er ist ein echter Schatz, dieser Daryl.
Vor einer Woche hat er sich gemeldet und meinte, er hätte das mit dem Feuerschlucken schon viel besser drauf und ob ich ihn mir noch mal ansehen wollte. Woraufhin ich dankend abgelehnt habe, aber ich hatte eine andere kleine Aufgabe für ihn. Alle sechs Teenager tragen smarte, weiße Hemden und Schürzen, und Nicole trägt -wie ich sehe -ihre Vivienne-Westwood Schuhe.
Luke rührt sich nicht von der Stelle. Er scheint völlig baff zu sein.
Ha!
»Becky ... »Er legt seine Stirn in Falten. »Was um alles in der Welt ... « Ha! Ha! »Du meinst, das hier ist deine Party?« Verächtlich nicke ich zum Zelt hin.
Am liebsten möchte ich vor Freude hüpfen, als ich ihn durch Janices Haus zur Auffahrt führe. Und da stehen sie. Wie auf Kommando. Drei riesige Busse parken dort. Sie sind pechschwarz, und auf der Seite steht in Weiß:
LUKES EIGENTLICHE ÜBERRASCHUNGSPARTY.
»W...«
Lukes Mund steht offen. Ihm scheinen die Worte zu fehlen.
Ja!!!
»Rein mit dir!«, sage ich selig.
Ich weiß, ich weiß, ich habe bisher nichts davon erzählt. Tut mir leid. Ich wollte es ja. Aber ich hatte Angst, jemand könnte sich verplappern.
Die Stimmung im Bus ist fantastisch. Alle sind plötzlich ganz aufgekratzt. Immer wieder höre ich Satzfetzen wie »Wohin fahren wir?« und »Wusstest du was davon?« und dann schallendes Gelächter.
Und Luke scheint mir richtig platt zu sein. So platt habe ich ihn noch nie gesehen. Ich muss ihn öfter überraschen. »Okay, jetzt die Augenbinde ... «, sage ich, als wir zur Abzweigung kommen. »Nein.« Er fangt an zu lachen. »Das kann nicht dein Ernst sein ...« »Los, Augenbinde um!« Im Spaß wackle ich streng mit dem Zeigefinger.
Ich genieße die Macht, die ich über ihn habe. Ich habe ihn total in der Hand. Rasch knote ich die Augenbinde richtig fest und spähe vorn aus dem Bus. Wir sind fast da!