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»Moment!«, rufe ich verzweifelt, als die Leute schon aufstehen. »Vor der eigentlichen Taufe ... äh ... aus gegebenem Anlass möchte Minnies Patentante Susan Cleath-Stuart ein Gedicht aufsagen. Stimmt's, Suze?« 

Suze fährt auf ihrem Platz herum und flüstert: »was?« »Bitte, Suzezische ich zurück. »Ich muss irgendwie Zeit schinden, sonst verpasst Luke noch alles!« »Ich kenne überhaupt keine Gedichte!«, murmelt sie, als sie aufsteht. »Lies einfach irgendwas aus dem Liederbuch vor! Irgendwas Langes!«, Suze verdreht die Augen, nimmt ein Liederbuch und geht nach vorn. Dort lächelt sie in die Runde.

»Ich möchte gern etwas vorlesen ... » Sie schlägt das Buch auf und blättert herum. »Drei Könige Sind Wir.«  Sie räuspert sich. »Drei Könige aus dem Morgenland sind wir und bringen Gaben aus der Ferne dir ... « 

Suze ist einfach die Größte. Sie liest im Schneckentempo und wiederholt jeden Refrain zweimal.

»Sehr schön.« Reverend Parker unterdrückt ein Gähnen. »Und nun, wenn Sie sich bitte um den Taufstein ... «

»Moment!« Ich rotiere auf meinem Platz herum. »Äh, Minnies Patenonkel Danny Kovitz wird nun ... « Flehentlich starre ich ihn an. »Auch er wird ... ein Gedicht aufsagen?« Bitte, sage ich lautlos, und Danny zwinkert mir zu.

»Zu Ehren der Taufe meiner Patentochter werde ich nun The Real Slim Shady von Eminem aufführen«, sagt er verwegen.

Oha. Ich hoffe, Reverend Parker hört nicht allzu genau hin.

Danny ist nicht der beste Rapper auf der Welt, doch als er fertig ist, klatschen und johlen alle, sogar Mums Bridge-Freundinnen. Also bringt Danny als Zugabe noch „Stan“, wobei Suze den Part von Dido übernimmt. Dann beteiligen sich Tom und Jess mit einem südamerikanischen Kindergedicht, was wirklich bewegend ist. Und schließlich betritt Dad die Bühne und singt „Que Sera Sera“, wobei im Refrain alle mit einsteigen und Martin uns mit einem von Janices Essstäbchen dirigiert.

Mittlerweile sieht Reverend Parker ernstlich genervt aus. »Dank Ihnen allen für die interessanten Beiträge«, sagt er verspannt. »Wenn Sie sich nun um den Taufstein ... « »Moment!«, falle ich ihm ins Wort. »Als Minnies Mutter möchte ich noch ein paar Worte sagen.« »Rebecca!«, fährt Reverend Parker mich an. »Wir müssen jetzt wirklich fortfahren!«

»Nur ganz kurz! «

Hastig laufe ich nach vorn und stolpere in meiner Eile fast. Ich werde einfach reden, bis Luke kommt. Es ist die einzige Möglichkeit.

»Willkommen, Freunde und Familie.« Ich lächle allen zu und meide Reverend Parkers steinernen Blick. »Welch ein besonderer Tag heute ist! Ein besonderer, besonderer Tag! Minnie wird getauft.«

Ich lege eine Pause ein, um diesen Gedanken wirken zu lassen, und werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. Nichts.

« Doch was meinen wir damit?« Ich hebe einen Finger, genau wie Reverend Parker es in seinen Predigten tut. »Oder sind wir alle nur so hier?«

Interessierte Unruhe macht sich im Publikum breit, und einige stoßen sich an und flüstern. Ich fühle mich direkt geschmeichelt. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Rede ein solches Aufsehen erregen würde.

»Denn allzu leicht geht man durchs Leben, ohne sich nach den Blumen umzusehen.« Ich nicke bedeutungsvoll, und es folgt noch mehr Flüstern und Stoßen.

Diese Reaktion ist doch erstaunlich! Vielleicht sollte ich Predigerin werden! Offensichtlich habe ich ein natürliches Talent dafür und einen ganzen Haufen tiefschürfender Ideen.

»Das gibt einem doch zu denken, oder?«, fahre ich fort. »Doch was meinen wir mit denken?« Mittlerweile flüstern alle. Die Leute reichen iPhones durch die Bänke und zeigen auf irgendwas. Was geht da vor sich? »Ich meine, warum sind wir alle hier?« Meine Stimme geht im Stimmengewirr unter. »Was ist los?«, rufe ich. »Was guckt ihr euch da alle an?« Selbst Mum und Dad starren auf Mums BlackBerry.

»Becky, das solltest du dir ansehen«, sagt Dad mit merkwürdiger Stimme. Er steht auf und reicht mir den BlackBerry. Ich sehe einen Nachrichtensprecher auf der BBC-Website.

» ... das Neueste zu der Eilmeldung, dass die Bank of London einer Notfinanzierung durch die Bank of England zugestimmt hat. Die Entscheidung fiel nach tagelangen Geheimverhandlungen, während derer die Entscheidungsträger um eine Rettung der Lage rangen ...«

Der Nachrichtensprecher redet immer weiter, aber ich höre gar nicht, was er sagt. Ich starre nur das Bild an. Es zeigt mehrere Männer in Anzügen, die mit grimmiger Miene aus der Bank of England kommen. Einer davon ist Luke. Luke war auch dort?

Oh, Gott. Ist er jetzt noch in der Bank of England?

Dann zeigt der Bildschirm eine Gruppe von Fachleuten, die ernst um einen runden Tisch sitzen, mit dieser bebrillten Fernsehmoderatorin, die ihre Gäste ständig unterbricht.

»Also ist die Bank of London praktisch pleite, habe ich recht?«, sagt sie energisch.

»Pleite ist ein starkes Wort. ..«, setzt einer von den Fachleuten an, aber ich kann nicht hören, was er sonst noch sagt, weil in der Kirche plötzlich der Teufel los ist.

»Die sind pleite!«

»Die Bank of London ist pleite!«

»Aber da haben wir unser ganzes Geld angelegt!« Mum wird hysterisch. »Graham, tu was! Heb es ab! Hol das Geld!« »Unsere Urlaubskasse!«, stöhnt Janice. »Meine Altersversorgung!« Ein alter Herr rappelt sich mühsam auf.

»Immer mit der Ruhe«, ruft Jess über das Stimmengewirr hinweg. »Ich bin mir sicher, dass niemand etwas verliert. Banken sind doch abgesichert ... « Niemand hört jedoch auf sie.

»Mein Investment-Fond!« Reverend Parker reißt sich seinen Talar vom Leib und steuert auf die Kirchentür zu.

»Aber Sie können doch nicht einfach verschwinden!«, rufe ich ihm ungläubig nach. »Sie haben Minnie noch gar nicht getauft!« Doch er ignoriert mich einfach, und zu meinem Erstaunen ist Mum ihm dicht auf den Fersen.

»Mum! Komm zurück!«

Ich schnappe mir Minnies Hand, bevor sie ihr hinterherrennt. Alle gehen. Nur Augenblicke später ist die Kirche leer, bis auf Minnie, Suze, Jess, Tom und Danny. Wir sehen uns an, und in stillem Einvernehmen laufen auch wir zum Ausgang der Kirche. Wir stürzen aus der großen Holztür hinaus und bleiben draußen unter dem Vorbau stehen.

»Ach, du liebe Güte!«, haucht Danny.

Auf der Hauptstraße drängen sich die Menschen. Zwei-, dreihundert müssen es wohl sein. Alle rennen in dieselbe Richtung zu der kleinen Zweigstelle der Bank of London, vor der sich bereits eine lange Schlange gebildet hat. Ich sehe Mum, die sich einen Platz erkämpft, und Reverend Parker, der sich unverfroren vor eine alte Dame drängelt, während ein junger Bankangestellter verzweifelt versucht, die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Während ich das alles staunend betrachte, erregt etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Ein Stück abseits der Bank of London, direkt gegenüber der Kirche, fällt mir jemand in der Menge auf. Dunkle, helmartige Frisur, blasse Haut, Jackie-O-Sonnenbrille, Hahnentrittkostüm ...

Ungläubig sehe ich genauer hin. Ist das ...

Das kann nicht sein ...

Elinor?

Doch im selben Moment ist sie -oder wer es auch gewesen sein mag -bereits wieder in der Menge verschwunden. Ich reibe mir die Augen und sehe noch mal hin. Jetzt steht an der Stelle ein Polizist, der aus heiterem Himmel aufgetaucht ist und den Leuten sagt, dass sie von der Straße runtergehen sollen.

Seltsam. Ich habe es mir wohl eingebildet.