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»Zeig jetzt einfach, wie wohlerzogen du bist, Süße«, raune ich Minnie zu, als wir Hand in Hand gehen. »Sei einfach ein kleiner Engel, wenn du vor dem Weihnachtsmann stehst, okay?«

Jingle Bells bimmelt aus den Lautsprechern, und unwillkürlich bessert sich meine Laune, als wir näher kommen. Als kleines Mädchen bin ich zu genau derselben Weihnachtsmannwerkstatt gegangen.

»Guck mal, Minnie!« Aufgeregt zeige ich mit dem Finger. »Sieh dir die Rentiere an! Die vielen Geschenke!«

Da steht ein Schlitten mit zwei lebensgroßen Rentieren, und alles ist voll mit Kunstschnee und Mädchen in grünen Kostümen, als Elfen verkleidet. Das ist neu. Am Eingang blinzle ich überrascht die Elfe an, die uns mit sonnenstudiogegerbtem Dekolleté begrüßt. Sucht sich der Weihnachtsmann seine Elfen heutzutage bei Modelagenturen? Und sollten Elfen violette Acrylnägel tragen?

»Fröhliche Weihnachten!«, begrüßt sie uns und stempelt mein Ticket ab. »Besuchen Sie auch unseren Wunschbrunnen, und geben Sie dort Ihren Weihnachtswunsch ab. Der Weihnachtsmann wird später alle Wünsche lesen!«

»Hast du das gehört, Minnie? Wir dürfen uns was wünschen!« Ich sehe zu Minnie hinunter, die wortlos staunend die Elfe betrachtet.

Seht ihr? Sie benimmt sich mustergültig.

»Becky! Hier drüben!«, Ich drehe meinen Kopf und sehe, dass Mum schon in der Schlange steht, mit festlich glitzerndem Schal. Sie hält die Griffe von Minnies Buggy fest, der mit Tüten und Paketen beladen ist. »Der Weihnachtsmann macht gerade seine Teepause«, fügt sie hinzu, als wir uns zu ihr gesellen. »Es wird bestimmt noch mindestens eine halbe Stunde dauern. Dad hat sich auf die Suche nach Camcorder-Disks gemacht, und Janice kauft ihre Weihnachtskarten.«

Janice ist Mums Nachbarin von nebenan. Sie kauft ihre Weihnachtskarten jedes Jahr Heiligabend zum halben Preis, schreibt sie am 1. Januar und legt sie für den Rest des Jahres in die Schublade. Sie nennt es >sich selbst überholen<.

»Schätzchen, würdest du dir mal ansehen, was ich für Jess gekauft habe?« , Mum wühlt in einer Tüte herum und holt vorsichtig ein hölzernes Kästchen hervor. »Ist das okay?«

Jess ist meine Schwester. Meine Halbschwester, um genau zu sein. Sie kommt in ein paar Tagen aus Chile zurück, weshalb wir für sie und Tom ein zweites Weihnachten inszenieren, mit Truthahn und Geschenken und allem, was dazugehört! Tom ist Jess' Freund. Er ist der einzige Sohn von Janice und Martin, und ich kenne ihn schon mein Leben lang, und er ist wirklich ...

Nun. Er ist wirklich ...

Egal ... entscheidend ist, die beiden lieben sich. Und schwitzige Hände sind in Chile wahrscheinlich nicht so schlimm, oder?

Ich finde es toll, dass sie kommen, besonders da es bedeutet, dass wir Minnie endlich taufen können. (Jess wird ihre Patentante.) Aber ich begreife, wieso Mum gestresst ist. Jess ein Geschenk zu kaufen ist problematisch. Sie mag nichts, was neu oder teuer ist oder Plastik oder Parabene enthält oder in einer Tasche steckt, die nicht aus Hanf ist.

»Ich habe ihr das hier gekauft.« Mum klappt den Deckel des Kästchens auf und legt eine ganze Reihe ausgefallener Glasfläschchen frei, die sich dort ins Stroh kuscheln. ,»Es ist Duschgel«,  fügt sie eilig hinzu. »Nicht für die Badewanne. Wir wollen nicht schon wieder schuld am DrittenWeltkrieg sein!«

Es gab da diesen kleinen, peinlichen Zwischenfall, als Jess letztes Mal hier war. Wir feierten ihren Geburtstag, und Janice schenkte ihr ein Schaumbad, woraufhin uns Jess eine zehnminütige Standpauke hielt, wie viel Wasser ein Wannenbad verbraucht und dass die Leute in den westlichen Wohlstandsländern von Reinlichkeit besessen sind und jeder nur einmal die Woche fünf Minuten duschen sollte -so wie Jess und Tom es machen.

Janice und Martin hatten sich vor Kurzem erst einen Whirlpool einbauen lassen, deshalb kam Jess' Bemerkung bei ihnen nicht sonderlich gut an.

»Was meinst du?«, sagt Mum.

»Weiß nicht.« Sorgfältig lese ich den Aufkleber am Kästchen. »Sind da irgendwelche künstlichen Zusätze drin? Werden bei der Herstellung Menschen ausgebeutet?«

»Ach, Liebes, ich weiß es nicht.« Zögerlich betrachtet Mum das Kästchen, als wäre es eine Nuklearwaffe. ,»Da steht rein natürlich«, meint sie schließlich. »Das ist gut, oder?«

»Ich denke, das müsste gehen.« Ich nicke. »Aber erzähl ihr nicht, dass du es aus einem Einkaufszentrum hast. Sag, du hast es in einem kleinen Ökoladen gekauft.«

»Gute Idee.« Mum strahlt. »Und ich wickle es in Zeitungspapier. Was hast du für sie?«

»Ich habe ihr eine Yogamatte gekauft, handgefertigt von Bäuerinnen in Guatemala« sage ich ein wenig selbstzufrieden. »Damit werden dörfliche Farmprojekte finanziert, und sie verwenden recycelte Plastikkomponenten von Computern.«

»Becky!«, sagt Mum voller Bewunderung. »Wie bist du denn darauf gekommen?«

»Ach ... Recherche.« Ich zucke leichthin mit den Schultern.

Ich werde nicht zugeben, dass ich „grün moralisch vertretbar Geschenk recycelt Umwelt Geschenkpapier gegoogelt habe“.

»Weih-machen! WEIH-MACHEN!« Minnie zerrt so fest an meiner Hand, dass sie mir noch den Arm abreißen wird. »Geh mit Minnie zum Wunschbrunnen, Liebes«, schlägt Mum vor. »Ich halte dir den Platz frei.«

Ich lege die Ponys in den Buggy und führe Minnie zum Wunschbrunnen. Er ist von künstlichen Weißbirken umgeben, an deren Ästen Feen baumeln, und wenn nicht alles voll kreischender Kinder wäre, hätte es bestimmt was Magisches.

Die Wunschzettel liegen auf einem künstlichen Baumstumpf bereit. Ich nehme mir so einen Zettel mit der verschnörkelten grünen Aufschrift »Weihnachtswunsch« und reiche einen der Filzstifte an Minnie weiter.

Gott, ich weiß noch, wie ich als kleines Mädchen Briefe an den Weihnachtsmann geschrieben habe. Meist wurden sie ziemlich lang und ausführlich, mit Illustrationen und Bildern, die ich aus Katalogen ausgeschnitten hatte, damit er mich bloß nicht falsch verstand.

Zwei etwa zehnjährige Mädchen mit rosigen Wangen geben ihre Wünsche ab, flüsternd und kichernd, und bei ihrem bloßen Anblick werde ich ganz wehmütig. Ich muss hier mitmachen, sonst verderbe ich vielleicht noch alles.

Lieber Weihnachtsmann, sehe ich mich auf den Zettel schreiben. Hier ist Becky wieder. Ich stutze, überlege einen Moment, dann schreibe ich hastig ein paar Sachen auf.

Ich meine, nur drei ungefähr. Ich will ja nicht gierig rüberkommen oder so. Minnie kritzelt ihren ganzen Zettel voll und hat Filzer an den Händen und der Nase.

»Der Weihnachtsmann versteht bestimmt, was du meinst«, sage ich sanft, als ich ihr den Zettel abnehme. »Werfen wir sie in den Brunnen!«

Einen Zettel nach dem anderen werfe ich hinein. Winzig kleine Kunstschneeflocken driften von unten herauf, und aus einem Lautsprecher in der Nähe flötet >Winter Wonderland<, und plötzlich ist mir dermaßen weihnachtlich zumute, dass ich die Augen schließe, nach Minnies Hand greife und mir etwas wünsche. Man weiß ja nie ...

»Becky?« Eine tiefe Stimme dringt in meine Gedanken, und meine Augen klappen auf. Vor mir steht Luke, sein dunkles Haar und der blaue Mantel sind mit Kunstschnee übersät. Die Augen glitzern amüsiert. Zu spät merke ich, dass ich mit zusammengekniffenen Augen inbrünstig  »Bittebitte ... « vor mich hin geflüstert habe.

»Oh!«, sage ich etwas nervös. »Hi. Ich hab gerade ... «

»Mit dem Weihnachtsmann gesprochen?«

»Red keinen Quatsch.« Ich finde meine Haltung wieder. »Wo warst du überhaupt?« Luke antwortet mir nicht, sondern geht weg und winkt mir, ihm zu folgen. »Lass Minnie mal einen Moment bei deiner Mutter, sagt er. »Ich muss dir was zeigen.«