»Das ist nicht meine Schuld! Ich habe nichts getan! Ich wusste es ja nicht mal! Und Sie können Ihre Schlafzimmer wiederhaben«, füge ich eilig hinzu. »Oder ... könnten wir sie Ihnen vielleicht abkaufen? Wissen Sie, wir stehen ziemlich unter Druck. Wir wohnen noch bei meinen Eltern, und wir haben ein zweijähriges ... «
Verzweifelt sehe ich zu Mister Evans hinüber, will ihn besänftigen, aber er sieht nur noch mehr wie ein Axtmörder aus als vorher schon.
»Ich rufe meinen Anwalt an.« Er macht kehrt und stampft ins Haus zurück. »Was heißt das jetzt?«, will ich wissen. »Was passiert als Nächstes?«
Magnus kann mir nicht mal in die Augen sehen.
»Ich fürchte, es wird kompliziert. Wir müssen uns die Übertragungsurkunden ansehen, Rechtsbeistand suchen, das Haus muss möglicherweise wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Oder vielleicht kommt man mit Mister Evans auch zu einer Übereinkunft ... Ich denke, Sie müssten den Verkäufer verklagen können, und darüber hinaus könnte es zu einer Verurteilung wegen Betruges kommen ... «
Mit wachsender Bestürzung starre ich ihn an. Eine Verurteilung wegen Betruges interessiert mich nicht. Ich will ein Haus.
»Also kriegen wir nächste Woche nicht den Vertrag?«
»Ich fürchte, der ganze Deal ist vorerst abgeblasen.«
»Aber wir brauchen ein Haus!«, heule ich. »Das ist unser fünfter Anlauf!« »Es tut mir leid.« Magnus holt sein Handy hervor. »Verzeihen Sie, ich muss unsere Rechtsabteilung informieren.« Als er weggeht, sehe ich Suze an. Einen Moment lang sagen wir beide nichts. »Ich kann es nicht glauben«, sage ich schließlich. »Sind wir verflucht?«
»Es wird sich noch alles klären«, sagt Suze zuversichtlich. »Alle werden sich gegenseitig verklagen, und am Ende kriegt ihr das Haus. Und das Positive daran ist: Überleg mal, wie begeistert deine Mum ist, wenn ihr noch ein biss eben länger bei ihr bleibt.«
»Ist sie nicht!«, sage ich verzweifelt. »Sie wird sauer sein! Suze, sie leidet gar nicht unter dem Empty-Nest-Syndrome. Wir haben alles falsch verstanden. «
»Was?« Suze sieht ganz erschrocken aus. »Aber ich dachte, sie würde euch ganz fürchterlich vermissen und wäre selbstmordgefährdet. «
»Es war alles inszeniert! Sie kann es kaum erwarten, dass wir ausziehen! Die ganze Nachbarschaft wartet schon.« Verzweifelt nehme ich meinen Kopf in beide Hände. »Was soll ich nur machen?«
Schweigend sehen wir uns im winterlichen Garten um.
Vielleicht könnten wir das Haus einfach besetzen, denke ich. Oder ein großes Zelt im Garten aufstellen und hoffen, dass es keiner merkt. Wir könnten einen alternativen Lebensstil pfegen und in einer Jurte wohnen. Ich könnte mich »Rainbow« nennen, und Luke wäre »Wolf« und Minnie könnte »Die-in-Mary-Janes-durchs-Gras-Iäuft«, sein.
»Und was willst du jetzt tun?« Suze reißt mich aus einem Traum, in dem wir am Lagerfeuer sitzen und Luke in Lederhosen Holz hackt. Er hat den Namen »Wolf« auf seine Knöchel tätowiert.
»Keine Ahnung«, sage ich mit wachsender Verzweiflung. »Ich muss mir einfach irgendwas einfallen lassen.«
Als ich an diesem Tag nach Hause komme, finde ich Mum und Minnie in der Küche vor, beide mit Schürzen, wo sie Törtchen mit Zuckerguss überziehen. Mum hat das Zuckerguss Set aus dem Pound Shop. Und die Törtchen auch.) Einen Moment lang sind sie so beschäftigt und froh und glücklich, dass sie mich gar nicht bemerken -und plötzlich sehe ich Elinor vor mir, wie sie da in dieser Garderobe stand, so alt und traurig und einsam, und mich fragte, ob sie ihr Enkelkind sehen dürfte.
Sie hat Minnie zuletzt gesehen, als die Kleine noch in der Wiege lag. Schon jetzt hat sie so viel von Minnies Leben verpasst. Ich weiß ja, dass sie sich alles selbst zuzuschreiben hat, und ich weiß auch, dass sie eine gemeine Hexe ist. Aber trotzdem ...
Oh, Gott, ich bin hin und her gerissen. Soll ich zulassen, dass Minnie sie kennenlernt? Nicht, dass ich mir ernstlich vorstellen könnte, wie Elinor Törtchen mit Zuckerguss überzieht. Aber irgendwas könnten sie bestimmt zusammen machen. Wahrscheinlich im Chanel-Katalog blättern.
Minnie konzentriert sich derart andächtig, bunte Streusel auf ihre Kuchen zu streuen, dass ich sie nicht stören möchte. Ihr Gesicht ist ganz rosig vor Anstrengung, sie verzieht die kleine Nase, und an ihren Bäckchen kleben Streusel mit dem Zuckerguss. Während ich sie so betrachte, krampft sich mir das Herz zusammen. Ich könnte ewig so stehen bleiben und sie beobachten, wie sie vorsichtig ihren kleinen Topf schüttelt. Dann plötzlich sieht sie mich, und ihre Augen leuchten auf.
»Mami! Streusel!« Stolz hält sie den kleinen Topf hoch.
»Bravo, Minnie! Guck dir mal die vielen hübschen Törtchen an!« Eilig bücke ich mich und gebe ihr einen Kuss. Ihre Wangen sind voll Zuckerguss -mehr oder weniger scheint mir alles von einer dünnen Zucker schicht überzogen zu sein.
»Essen.« Voller Hoffnung bietet mir Minnie ein Törtchen an. »Streusel essen!« Sie stopft es mir in den Mund. »Lecker!« Unwillkürlich muss ich lachen, als mir Krümel vom Kinn rieseln. »Mmmh.« »Hallo, Becky!« Mum blickt von ihrem Spritzbeutel auf. »Wie war das Haus?«
»Oh.« Ich komme zu mir. »Super.«
Was in gewissem Sinne auch stimmt. Es war super, abgesehen von der Tatsache, dass die Hälfte gestohlen war. »Und ist immer noch alles bereit für den Einzug?« »Tja.« Ich reibe an meiner Nase herum, und ein paar Streusel fallen herunter. »Es könnte vielleicht zu einer geringfügigen Verzögerung kommen ...«
»Verzögerung?« Mum klingt augenblicklich verspannt. »Was für eine Verzögerung denn«
»Ich weiß es nicht genau«, weiche ich hastig zurück. »Vielleicht ist es auch gar nichts. «
Argwöhnisch mustere ich Mum. Ihre Schultern sind ganz starr. Das ist kein gutes Zeichen.
»Na ja, nun, falls es eine Verzögerung geben sollte«, sagt sie schließlich, »könntet ihr natürlich noch hierbleiben. Irgendwas anderes käme ja gar nicht in Frage.«
Oh, Gott. Sie klingt so edel und aufopferungsvoll. Ich kann es kaum ertragen.
»Ich bin mir sicher, dass es nicht so weit kommt!«, sage ich eilig. »Aber falls doch ... könnten wir auch immer noch ... was mieten?« Ich wage kaum, das Wort auszusprechen, und wie zu erwarten schnappt sie danach wie ein Hai, der Blut wittert.
»Mieten? Ihr werdet nichts mieten, Becky. Das ist doch rausgeschmissenes Geld!«
Mums Abneigung gegen das Mieten ist pathologisch. Jedes Mal, wenn ich vorgeschlagen habe, dass Luke und ich uns auch irgendwo was mieten könnten, hat sie getan, als wollten wir absichtlich Geld an einen Vermieter zahlen, nur um sie zu kränken. Und wenn ich sage: »In ganz Europa wohnen die Leute zur Miete«, rümpft sie nur die Nase und sagt: »Europa!«
»Becky, gibt es denn ein Problem?« Mum hört auf, Zuckerguss zu verteilen, und sieht mich an.« Zieht ihr nun aus oder nicht?«
Ich kann ihr nicht die Wahrheit sagen. Wir werden eben einfach ausziehen müssen. Irgendwie.
« Selbstverständlich ziehen wir aus!«, sage ich gutgelaunt. »Selbstverständlich! Ich habe nur gesagt, es könnte zu einer Verzögerung kommen. Wird es wahrscheinlich aber nicht. In drei Wochen sind wir weg.« Und damit haste ich aus der Küche, bevor sie noch was fragen kann.