Vielleicht war es eine dumme Idee. Oh, Gott. Das war es, oder? Es war eine dumme, dumme, schlechte Idee ... »Rebecca.« Sie öffnet die Tür derart abrupt, dass ich erschrocken quieke.
»Hi.« Ich halte Minnie fester bei der Hand, und einen Moment lang starren wir einander an. Elinor ist in weißes Bouclé gewandet, mit riesigen Perlen um den Hals. Sie scheint mir noch dünner geworden zu sein, und ihre Augen sind seltsam groß, als ihr Blick von mir zu Minnie schweift.
Plötzlich wird mir bewusst, dass sie Angst hat.
Alles steht kopf. Früher hatte ich eine Heidenangst vor ihr.
»Kommt herein.« Sie tritt beiseite, und ich schiebe Minnie sanft vor mir her. Das Zimmer ist herrlich, mit stilvollen Möbeln und einem Blick über den Green Park, und auf dem Tisch ist Kaffee angerichtet, daneben steht ein vornehmer, mehrstöckiger Kuchenständer voll kleiner Eclairs und dergleichen. Ich führe Minnie zu einem steifen Sofa und hebe sie hinauf. Auch Elinor nimmt Platz, und es folgt ein schweigsamer Moment, der so angespannt und unbehaglich ist, dass ich am liebsten schreien möchte. Endlich holt Elinor Luft.
»Möchtest du gern ein Tässchen Tee?«, sagt sie zu Minnie.
Minnie starrt sie nur mit riesengroßen Augen an. Sie scheint mir von Elinor ein wenig eingeschüchtert.
»Es ist Earl Grey«, fügt Elinor an Minnie gewandt hinzu. »Ich bestelle dir auch einen anderen, wenn du möchtest.«
Sie fragt eine Zweijährige, was für einen Tee sie mag? Hat sie schon jemals mit Zweijährigen zu tun gehabt?
Na ja. Wahrscheinlich nicht.
»Elinor ... «, sage ich gutmütig. »Sie trinkt keinen Tee. Sie weiß noch gar nicht, was Tee ist. Heiß!«, füge ich scharf hinzu, als Minnie nach der Kanne greift. »Nicht, Minnie!«
»Oh.« Elinor wirkt etwas ratlos.
»Aber ein Stückchen Kuchen darf sie haben, füge ich eilig hinzu. Dieser Kuchen gefallt mir selbst ganz gut. Und die Kekse auch.
Mit spitzen Fingern platziert sie ein Stück Kuchen auf einen goldgeprägten Teller und reicht ihn Minnie. Ist sie irre? Ein unbezahlbarer Porzellanteller vom Ritz ... und ein Kleinkind? Fast möchte ich mir die Augen zuhalten, als ich mir vorstelle, wie Minnie den Teller fallen lässt, den Löffel wegschleudert, den Kuchen zermanscht und ein heilloses Chaos anrichtet ...
Zu meinem Erstaunen jedoch sitzt Minnie aufrecht da, mit ihrem Teller auf dem Schoß, der Kuchen unangetastet, ihr starrer Blick auf Elinor gerichtet. Sie scheint geradezu fasziniert von ihr zu sein. Und auch Elinor scheint von Minnie ein wenig fasziniert zu sein.
»Ich bin deine Großmutter, Minnie«, sagt sie steif. »Du darfst mich ... Großmutter nennen.«
»Gro-muff«, sagt Minnie zögernd.
Plötzlich ergreift mich Panik. Ich darf nicht zulassen, dass Minnie herumläuft und »Gro-muff« sagt. Luke wird wissen wollen, wer oder was »Gro-muff« ist. Ich kann nicht mal so tun, als würde sie von Mum sprechen, denn Minnie nennt sie »Grana«, was total was anderes ist.
»Nein«, sage ich eilig. »Sie kann dich nicht Großmutter oder Gro-muff oder so nennen. Dann sagt sie es nur zu Hause, und Luke findet alles raus. Er weiß nicht, dass ich hier bin.« Ich merke, wie meine Stimme angespannter wird. »Und er darf es auch nicht wissen. Okay?«
Elinor schweigt. Ich merke, dass sie darauf wartet, ob ich fortfahren möchte. Sie tanzt tatsächlich nach meiner Pfeife.
»Sie könnte dich vielleicht ...« Ich suche nach etwas Harmlosem, etwas Unpersönlichem. »Lady nennen. Minnie, das ist Lady. Kannst du »Lady sagen?«
»Lady.« Unsicher blickt Minnie zu Elinor auf.
»Ich bin Lady«, sagt Elinor nach einer Pause, und plötzlich tut sie mir direkt leid, was lächerlich ist, denn schließlich kann ja nur sie selbst etwas dafür, dass sie so ein Eisblock ist. Trotzdem ist es etwas tragisch, in einer Hotelsuite zu sitzen und deinem eigenen Enkelkind als »Lady« vorgestellt zu werden.
»Ich habe etwas zur Unterhaltung gekauft.« Abrupt steht Elinor auf und geht ins Schlafzimmer. Ich nutze die Gelegenheit, um Minnies Rock abzuwischen und mir ein Eclair in den Mund zu stopfen. Gott, ist das köstlich! »Hier, bitte schön.« Steif hält Elinor uns eine Schachtel hin.
Es ist ein Puzzle von einem impressionistischen Gemälde. Zweihundert Teile. Du meine Güte. Nie im Leben kann Minnie so ein Puzzle legen. Eher isst sie es auf. »Hübsch!«, sage ich. »Vielleicht können wir es zusammen machen!«
»Ich mag Puzzles«, sagt Elinor, und mir fallt fast die Kinnlade herunter. Das ist eine Premiere. Noch nie habe ich Elinor sagen hören, dass sie irgendetwas mag.
»Nun ... äh ... am besten mache ich es mal auf.«
Ich nehme den Deckel von der Schachtel und schüttle die Teile auf den Tisch, wobei ich voll und ganz erwarte, dass Minnie sie sich schnappt und in die Teekanne wirft oder so was in der Art.
»Ein Puzzle kann man nur legen, indem man methodisch vorgeht«, sagt Elinor zu Minnie. »Zuerst drehen wir die Teile um.«
Als sie damit beginnt, greift sich Minnie eine Handvoll.
»Nein«, sagt Elinor und wirft Minnie einen dieser frostigen Blicke zu, bei denen ich früher am liebsten im Boden versunken wäre. »So nicht.«
Einen Moment rührt sich Minnie nicht, hält die Teile nach wie vor in ihrer winzigen Faust, als wollte sie herausfinden, wie ernst es Elinor ist. Sie blicken einander in die Augen, und beide sehen wild entschlossen aus, vielleicht sogar ...
Oh, mein Gott, sie sehen beide gleich aus!
Ich glaube, ich hyperventiliere jeden Moment, oder ich falle in Ohnmacht oder irgendwas. Es ist mir noch nie aufgefallen aber Minnie hat die gleichen Augen und dieses entschlossene Kinn und den gleichen hochherrschaftlichen Blick.
Meine schlimmste Befürchtung ist wahr geworden. Ich habe eine Mini-Elinor zur Welt gebracht. Ich nehme mir ein kleines Baiser und esse es. Ich brauche den Zucker, gegen den Schock.
»Gib mir die Teile«, sagt Elinor zu Minnie, und nach einer kurzen Pause händigt Minnie ihr sie aus.
Wie kommt es, dass Minnie sich so gut benimmt? Was ist los?
Elinor hat schon damit begonnen, die Teile auf dem Tisch zu arrangieren, mit konzentriertem Blick. Verdammt. Anscheinend war es ihr Ernst, dass sie Puzzles mag, was?
»Wie geht es Luke?«, sagt sie, ohne aufzublicken, und ich erstarre.
»Es ... es ... geht ihm gut.« Ich nehme einen SchluckTee und wünschte plötzlich, es wäre ein Schuss Brandy darin. Die bloße Erwähnung Lukes macht mich nervös. Ich sollte nicht hier sein. Minnie sollte nicht hier sein. Falls Luke es je herausfinden sollte ... »Wir müssen bald gehen«, sage ich unvermittelt. »Minnie, noch fünf Minuten.«
Ich kann nicht fassen, dass ich derart selbstbewusst vorgehe. In der Vergangenheit hat sich Elinor immer so benommen, wie ihr gerade zumute war, und wir anderen dienerten um sie herum.
»Luke und ich hatten eine ... Meinungsverschiedenheit.« Elinors Kopf ist starr über die verstreuten Teile geneigt. Ich bin etwas perplex. Normalerweise spricht Elinor schwierige Familienthemen nicht an.
»Ich weiß«, sage ich knapp.
»Luke hat gewisse Charakterzüge, die ich ... «, sie stockt erneut, » ... nur schwer nachvollziehen kann.«
»Elinor, dazu kann ich nicht wirklich etwas sagen«, erwidere ich unbehaglich. »Ich kann nicht darüber sprechen. Es war zwischen dir und Luke. Und ich weiß nicht mal, was passiert ist, nur dass du etwas über Annabel gesagt hast ...«
Bilde ich es mir ein, oder zuckt Elinor leicht zusammen? Ihre Hände schieben nach wie vor Puzzleteilchen hin und her, doch ihr Blick geht ins Leere. »Luke war ... dieser Frau treu ergeben«, sagt sie.