»Halt die Klappe!« Ich boxe ihn an die Brust. »Bist du dir darüber im Klaren, in welcher Lage wir uns befinden?«
»Wenn es nach mir ginge, wären wir nicht in dieser Lage«, sagt er ganz ruhig. »Denn dann hätten wir deinen Eltern von vornherein die Wahrheit gesagt.«
Wir kommen zu einer roten Ampel. Mum und Dad halten neben uns und winken fröhlich, und ich winke mit krankem Grinsen zurück.
»Okay«, sage ich zu Alf. »Wenn die Ampel umspringt, geben Sie Gas!«
»Wertes Fräulein, das hier ist ein Möbelwagen, kein Ferrari.«
Die Ampel wird gelb, und ich gestikuliere >Los, los!<, mit beiden Händen. Alf wirft mir einen müden Blick zu und legt in aller Ruhe den ersten Gang ein. Ehrlich. Am liebsten würde ich ihm anbieten, dass ich das Fahren übernehme.
»Tut mir leid, Leute. Tankstop.« Alf fährt zu einer Tankstelle, und natürlich folgen uns Mum und Dad in ihrem Volvo. Kurz darauf ist Mum schon ausgestiegen, kommt herüber und klopft an die Tür der Fahrerkabine.
»Alles in Ordnung?«, ruft sie herauf. »Natürlich!« Ich kurble die Scheibe herunter und lächle. »Wir müssen nur tanken.« »Denn ich habe hier Janice am Telefon. Du hättest doch nichts dagegen, wenn sie mitkäme, oder, Liebes?«
Was?
Bevor ich antworten kann, hat Mum sich schon wieder dem Telefon zugewandt. »Ja, wir sind an dieser BP mit der Cafeteria ... bis gleich! Janice und Martin waren gerade unterwegs, auf dem Rückweg von ihrem Yogakurs ...« Sie wendet sich mir zu. »Da kommen sie schon!« Euphorisch winkt sie, als ein schwarzer Audi auf die Tankstelle einschert. »Juuuuhu!«
»Becky!« Janice lehnt sich aus dem Fenster, als der Audi näher kommt. »Du hast doch nichts dagegen, oder, Liebchen? Denn deine Mum hat uns alles über das Haus erzählt. Wie aufregend!«
»Ihr folgt uns«, erklärt Mum Martin. »Und wir folgen dem Möbelwagen.«
Ich fasse es nicht. Wir fahren im Konvoi.
»Gib Maida Vale in dein Navi ein«, kommandiert Mum. »Denn falls wir uns doch verlieren sollten ... Becky, wie ist die genaue Adresse?«, ruft sie plötzlich zu mir herüber.
»Ich ... äh ... ich sims sie dir ... «
Ich muss ihr die Wahrheit sagen. Ich muss einfach. Hier und jetzt.
»Die Sache ist, Mum ...«, Ich schlucke und werfe hilfesuchend einen Blick zu Luke hinüber, doch der ist ausgestiegen und steht draußen vor der Tankstelle, mit dem Handy in der Hand.
»Nein, das ist verdammt noch mal nicht okay!«, höre ich ihn sagen.
Oh, Gott. Er sieht richtig wütend aus. Was ist passiert?
»Becky.« Ich zucke zusammen, als Janice aus heiterem Himmel auftaucht und mich durch die Scheibe anstarrt. Sie trägt ein knallpinkes Yoga-Trikot, bei dem einem die Augen tränen, und dazu bunte Kniestrümpfe und Clogs. Ein dürres, neunzehnjähriges Model könnte mit diesem Look vielleicht noch so eben durchkommen. »Ich wollte nur mal kurz mit dir allein sprechen, wo Luke gerade nicht da ist.« Fast flüstert sie. »Es geht um die P.A.R. T.Y.. Neulich habe ich Hello gelesen. Über diese Royal Fashion Party. Hast du das gesehen?«
Ich nicke abwesend, behalte Luke im Auge. Er hat sich vom Möbelwagen entfernt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er jemanden anschreit. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir lieber wäre, wenn Minnie seine Ausdrücke nicht hört.
Streitet er mit Sage Seymour? Bricht er mit ihr, bevor ich überhaupt Gelegenheit hatte, sie kennenzulernen und ihre beste Freundin zu werden? Wenn ja, bringe ich ihn um.
» ... und die hatten einen Schminkbereich für die zahlreichen Prominenten!«, endet Janice mit schwungvoller Geste. »Verstehst du?«
Da muss ich wohl irgendwas verpasst haben. »Entschuldige, Janice.« Ich lächle geknickt. Ich hab nicht richtig zugehört.
»Ich bin Visagistin, Liebchen«, sagt sie, als sei es offensichtlich. »Und ich würde mich gern freiwillig melden und selbst einen kleinen Make-up-Bereich einrichten. Ich könnte alle Gäste schminken! Es wäre mein Geschenk für Luke!«
Mir fehlen die Worte. Janice ist mitnichten Visagistin. Sie hat einen Kurs an der Volkshochschule belegt und gelernt, wie man Rouge und Highlighter beidhändig auf die Wangen einer Plastikpuppe schmiert. Und jetzt will sie auf meiner Party die Gäste schminken?
»Janice ... das ist wirklich lieb von dir«, sage ich so überzeugend wie möglich. »Aber du sollst doch mitfeiern.“
»Wir könnten in Schichten arbeiten!«, sagt sie triumphierend. »Weißt du, ich habe da so ein Team beisammen! Wir waren alle im selben Kurs, also verwenden wir auch alle dieselbe Technik.«
Wenn ich mir ein Team aus mehreren Janices vorstelle, jede mit Glitzerlidschatten in Händen, wird mir etwas schwindlig.
»Gut«, presse ich hervor. »Also, das wäre ja wirklich ... was.«
Okay. Das muss mit auf meine Liste, ganz oben. Lass NICHT zu, dass Janice die Gäste schminkt.
»Ich geh lieber«, haucht sie theatralisch. »Luke nähert sich bei ein Uhr.« Bevor ich noch etwas sagen kann, verdrückt sie sich zu ihrem Auto, während Luke wieder in den Möbelwagen steigt.
»Unglaublich.« Er atmet schnell, und sein Unterkiefer ist steinhart. » Unglaublich. «
»Was ist denn?«, sage ich nervös. »Aber nicht fluchen, wenn Minnie dabei ist.«
»Becky, ich habe eine schlechte Nachricht.« Luke sieht mich offen an. »Es wird nichts mit dem Haus. Wir können nicht einziehen.«
Eine Nanosekunde lang glaube ich, er macht Witze. Aber er zuckt mit keiner Wimper.
»Aber ... «
»Irgendein Vollidiot beim Maklerbüro hat es an andere vermietet. Die haben es schon übernommen, und unser Makler hat es eben erst gemerkt.« »Aber, es ist doch unser Haus!« Meine Stimme wird ganz laut vor Panik. »Wir brauchen dieses Haus!«
»Ich weiß. Und glaub mir, die wissen es inzwischen auch. Sie suchen uns innerhalb der nächsten Stunde eine Alternative, sonst checken wir auf deren Kosten in ein Hotel ein.« Er atmet aus. »Was für eine Scheiße!«
Mir wird ein bisschen schwindlig. Das kann doch nicht sein!
»Ich sag lieber mal deinen Eltern Bescheid ...« Luke will schon aussteigen. »Nein!«, jaule ich fast. »Das geht nicht!« »Und was schlägst du vor?« Ich sehe, wie Mum mir aus dem Volvo zuwinkt, und im nächsten Augenblick bekomme ich eine SMS.
Können wir los, Liebes?
»Fahren wir einfach nach Maida Vale.« Ich lecke über meine trockenen Lippen. »Wenn wir Glück haben, ruft der Makler uns unterwegs an. Wir improvisieren irgendwas.«
Alf hat sich gerade wieder hinters Lenkrad geklemmt.
»Sind wir so weit?«
»Ja«, sage ich, bevor Luke antworten kann. »Fahren wir. Los geht's.« Wir brauchen eine gute Stunde bis nach Maida Vale, denke ich. Mindestens. In der Zwischenzeit haben die uns ein anderes Haus gesucht, und da fahren wir dann hin, und alles wird gut. Es muss einfach klappen.
Nur dass wir schon nach vierzig Minuten in Maida Vale sind. Ich kann es nicht fassen. Wo ist der ganze Verkehr geblieben? Hat sich denn alles gegen uns verschworen?
Wir fahren die Haupteinkaufsstraße entlang und haben immer noch kein Haus. Äußerlich bin ich merkwürdig ruhig, obwohl mein Herz vor Panik galoppiert. Solange wir fahren, ist alles okay.
»Fahren Sie langsamer«, sage ich Alf zum wiederholten Mal. »Nehmen Sie irgendeine verschlungene Nebenstrecke. Fahren Sie da rein!«, Ich deute auf eine enge, kleine Straße.